Sonntag, 8. November 2015

Herbstradeln Tag 4: Gaildorf - Bad Wimpfen


Bis auf die ersten Morgenkilometer - die fast noch dunkle, jedenfalls nebeldiesige Auf-und-Ab-Strecke nach Schwäbisch Hall - ist mir mein Weg heute nicht neu. Und das, ich bin selbst erstaunt, ändert alles. Mein Sehen, mein Lauschen, mein Betrachten, mein Erwarten. Dass ich nicht zum ersten Mal hier entlang fahre, lässt mich sofot ins Damals rutschen, es nimmt mir mein Erleben. Jedenfalls einen Teil davon.

Damals, vor anderthalb Jahren war es, probierte sich die Tochter auf einer ersten Übernachtungsradtour. Wir wollten für den Sommer wissen, ob sie diese Reiseart möchte, und wieviel sie fahren kann. Unsere beiden Tagesetappen und noch ein bisschen mehr fahre ich heute in einem Rutsch.
Ich durchlebe die ganze Strecke immer mit Blick auf das Damals, merke ich. Erinnere mich, hole Emotionen wieder hervor, gleiche ab. Und bin irritiert, wenn es streckenweise keine Erinnerung gibt. Denn seltsam, die Linie als Ganze ist mir entfallen. Pünktchen flammen auf, oder ausgewachsene Punkte, aber kein Ganzes.
Dort hinter jener Ecke kommt gleich ... hier haben wir gehalten ... hier gegessen ... dort gesessen ... hier war sie wütend ... dort kraftlos ... hier lachten wir ... hier mussten wir uns vor Hitze die T-Shirts ausziehen ... hier lag ein Geocache ... und dort noch einer, den wir nicht fanden ... hier fotografierten wir ... dort schnauzte uns der Mann an ... hier sahen wir den Segelfliegern zu ... dort den Schützen ... hier gab es ein Eis ... und dort nicht.
Punkt um Punkt ersteht vor meinem inneren Auge. Dazwischen sind Lücken. Blicke, die ich noch nie gesehen habe. Oder die ich einer anderen Reise zugeordnet hätte.

Wie kommt das? Was fädelt sich als bleibende Erinnerung ein, was nicht? Wieso sind es keine Linien, nur unterbrochene Muster, die in mir bleiben?
Und wieso versperrt mir das Altdaseiende ein Neubetrachten? Dies ist meine wichtigste Frage. Wieso hatte der Weg heute keine Chance, mir zu einem neuen zu werden?
Wie kann, wie könnte ich denn mit Erinnerungen umgehen, dass daraus etwas Neues erwächst? So dass das Alte nicht perpetuiert, sondern zu einem fruchtbaren Boden für neues Keimen wird? So dass ich nicht in Wehmut und Bedauern rückwärtsgewandt lebe und mir das Hinterhertrauern zum Leitmotiv wähle?
Hier bin ich an einer für mich wesentlichen Frage angekommen. (Bei der es um so viel mehr als Radfahren geht.)

Die Antworten darauf werde ich nicht heute finden, nicht jetzt. Zumal sowieso Zeit ist, mich wieder auf den Weg zu machen. Denn was ich bei allem Erinnern auch spürte: Ich vermisse sie, die Tochter. Und den Sohn. Es zieht mich nach Hause.
Jetzt.
Letzte Etappe.

3 Kommentare:

  1. Ich staune ja über dein Gedächtnis, über geografisch-topografisches Erinnerungsvermögen. Ich muss eine Strecke mindestens fünfmal gefahren oder gelaufen oder geradelt sein, damit ich mich an sie erinnern kann.

    Schön, wie du deinen Widerspruch beschreibst. Ach, wie gut ich das kenne.

    Danke, dass ich mitradeln durfte bei dir. Und ich hoffe, du findest einen Platz, wo du dich deiner langen Unterhose (die bei uns schon Anlass für viele Running Gags gab) entledigen kannst.

    Herzlichst Soso, mit dem Wunsch für einen guten Schulstart morgen früh.

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  2. Lange Unterhose?
    Will mitlachen!
    Dafür wünsche ich auch, was dir Frau Soso wünscht!

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  3. Ja, ich konnte mich der Hose entledigen:)
    (Und dann habe ich sie fast auf der Bank liegen lassen.)
    Euren Running Gag würde ich ja - wie Sonja - auch gern belachen ...

    Und nun hoffe ich, gut in die Schulwelt hinüberzufinden.

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