Mittwoch, 31. Oktober 2012

Tochterwissen

Neulich, im Auto nach dem Cellounterricht, erzählt sie mir, dass sie heute die 4. Lage kennengelernt hat. Boah, staune ich, das sei ja ganz schön schwer (und stelle mir vor, wie ihre kleinen Fingerchen nun von der vertrauten Position nach oben zu rutschen haben, wie sie dort auf der richtigen Höhe Halt finden müssen; und auch das Notenlesen bekommt ganz neue Dimensionen, da der bisherige Zusammenhang zwischen Note und Fingersatz aufgelöst wird - ich weiß das noch von meiner Gitarrenlernzeit). Das sei wirklich schwer, sagt sie von der Rückbank. (Und ich male mir schon aus, wie unser tägliches Üben nun von weiteren Facetten ihres "Böckchens" begleitet sein wird.)

Nach einer Weile: "Aber es ist gut, dass der Herr R. mir so schwere Aufgaben gibt." --- "Warum das denn?" (Mir dabei vor Augen, wie gesagt, das tägliche Übe-Böckchen.) --- "Na weil ich bei so schweren Aufgaben ja nie von allein sagen würde, dass ich die will. Darum ist es gut, dass er mir die gibt, ohne mich zu fragen." --- "Ja, aber dann musst Du die schweren Lieder doch auch üben???" --- "Ja, das ist ja gut, wenn ich die übe. Das macht sogar Spaß. Nur würde ich eben allein nicht Ja sagen dazu. Sowas sucht man sich doch nicht von allein aus. Und deswegen ist es gut, dass der Herr R. mir die aufgibt."

Ich werde vor Staunen still. Sie hat das Wesen schwerer Aufgaben irgendwie tief begriffen. Nie selbst gewählt, immer eine Herausforderung, und letztlich ... irgendwie "gut". Auch wenn das "gut" bei den wahrlich tiefen schweren Aufgaben des Lebens eine neue Bedeutung erlangt. Von solchen Aufgaben weiß sie zum Glück noch nichts. Sie macht ihre Lebenserfahrung an den Cellohausaufgaben. Und darin steckt irgendwie schon alles ...

Noch am selben Tag abends geht sie es an, und jeden Tag seither. Ganz ohne Böckchen. Manchmal schickt sie mich weg, um mit ihrer Herausforderung allein zu sein. Dann lausche ich nur von meinem Arbeitszimmer her, wie sie die G-Dur-Tonleiter hoch hinauf spielt. Und bis zum hohen g mitsingt, mit glockenreinem Stimmchen. Es berührt mich zutiefst.

(Zu den schweren Aufgaben des Lebens Ja zu sagen - und sich ihrer anzunehmen - dabei noch zu singen - so wie Du es mir vormachst. Tochter: ich höre.)

Dienstag, 30. Oktober 2012

zugemutet

Nun auch hier: ein Hauch von Reif auf den Blättern, kaum sichtbar zwar, aber von deutlichen Minusgraden umgeben. Es riecht nach Kälte, nach Winter. Und als ich morgens auf die Terrasse trete, fallen neben mir die Blätter. Ich bin irritiert.
Warum?

Erst allmählich wird mir das Ungewohnte bewusst:
Sie fallen nicht sanft und schwebend, sondern schnell - von der Schwere des Reifs zu Boden gezogen - geradlinig, zügig.
Sie fallen nicht leise und raschelnd, sondern mit einem hartgefrorenen Geräusch - jedes Landen von einem Klick begleitet - unaufhörliches Blätterfallklicken.

Seltsame Vermengung von Bildern, Geräuschen, Stimmungen, die so nicht zusammengehören, die nicht recht zusammenpassen wollen, die wir jedenfalls sonst nie zusammen erleben. In eine Welt der Gegensätzlichkeiten zieht uns dieser Herbstwinter hinaus, vermischt Widersprüchliches, bringt Kontraste einander nahe, führt sich als Bruch, als Einbruch in Gewohntes auf.

So wie das Leben. So wie die Seiten des Lebens jedenfalls, die wir allzuoft und allzugern glätten wollten, dass sie seichter, sanfter, behutsamer mit uns wären. Nein, all das ist dieser Herbstwinter nicht. Er kommt unverstellt, kommt als er selbst, denkt nicht daran uns zu schonen. Wie das Leben eben.
Vielleicht würde ich an Tagen, an denen ich mich stark wähnte, danke sagen. Danke für diese Zumutung. --- An einem Tag wie diesem bin ich ganz still. Lausche zaghaft, verzagt fast. Die Natur lehrt uns - ja, doch - oft tut sie das. Nur mag ich manche Lektionen nicht so gern hören ...

Montag, 29. Oktober 2012

Erschreckt

Als er aus dem Landheim zurückkam - aus jenem, bei dessen Abreise ich schon ein wenig geschluckt hatte, weil die Kinder uns begleitende Mütter nicht mal mehr mit einem Winken bedachten, wie wir da überflüssigerweise und "peinlich" herumstanden - als er also nach drei Tagen zurückkam, konnte ich gar nicht so schnell schauen, wie er sich aus der kurzen Umarmung - ja, doch, er kam angeflogen, wie immer, wie es ihn wohl auch drängte - wieder löste. Mich regelrecht wegstieß. Das mit dem Umarmen, das möge er nun nicht mehr. Erzählen sei in Ordnung, ich dürfe auch was fragen, aber nicht mehr umarmen. Er sei jetzt in der Pubertät, und da sei das eben so.
So sehr wie ich über diesen ernsthaft ausgestoßenen Satz schmunzeln könnte, spräche ihn ein fremdes Kind zu einer fremden Mutter, so sehr bekomme ich einen Schreck. Einen richtigen, tiefen. Ich sitze vor ihm - ungläubig, verloren, tief getroffen. Bin doch eine alte Nichtloslasserin. Möchte mein Kind, mein immer noch kleines, so sehr an mich drücken. So wie es immer war - bis letzte Woche doch war es so. Er war so verkuschelt, er brauchte Kuscheln vor dem Einschlafen, zum Aufwachen, zum Erzählen von der Schule, und einfach so zwischendurch. Und nun? Ist er mit einem Schlag weg davon? --- Ich kann es immer noch nicht glauben. Mir tut es weh, und ich erschrecke über diesen Schmerz. Denn mein Kopf, der ist voll von Freude, ein großes, ein immer selbstständiger werdendes Kind begleiten zu dürfen, der ist fasziniert von all den Schritten, die er gerade in jüngster Zeit geht, über seine Wege ins "Jugendlichwerden" (so nennt er selbst es :)). Und meiner Herzensfreundin, die jeden Tag mit ihrem drei Jahre älteren Sohn genießt, der glaube ich gern, welch besondere Zeit auch die jetzt anbrechende sein mag. --- Aber tief in mir, in meinem ebenso verkuschelten Kleinkindmamaherzen, da tut es gewaltig weh. Ich weiß, dass ich diesen Schmerz ihm gegenüber nicht zeigen sollte, dass ich schon gar nicht ein "Recht" auf irgendeine Form der Nähe habe, aber mir treibt es die Tränen in die Augen. Ich fühle mich so unfähig. Er wächst so viel schneller als ich ...
Und dann - nun sind ja schon ein paar Tage vergangen seither - bemerke ich, dass da nicht nur Schmerz ist. Etwas hat sich geändert. Zunächst: so ganz hundertprozentig, so ganz abrupt ist er doch nicht weg aus den Umarmungen. Immer wieder mal kommt er, holt sich eine Berührung. Ich passe sorgfältig auf, dass ich ihm keine aufdränge, doch er holt sich den Körperkontakt wirklich selbst. Kurz nur, seltener als früher, und manchmal wirkt er dabei wie erschreckt über sich selbst, kann nicht einordnen, dass er dies doch noch braucht, obwohl er eigentlich nicht mehr wollte :)  Und jedes Mal durchfährt es mich freudig und wehmütig - wer weiß wie lange noch? - und mit einer neuen Achtsamkeit. Ich spüre in unsere nahen Begegnungen anders hinein, tastender, horchender, mit größerer Bereitschaft neue Klänge wahrzunehmen, das Altvertraute loszulassen. Ja, da sind neue Töne - und was für welche! Ich muss nur aufwachen, muss mich mit allen Fasern auf meinen großen Sohn einlassen ... was wird sich mir alles offenbaren???


(Und nun wage ich kaum, dies zu veröffentlichen. Schaue voller Bewunderung zu all Euch Großkindmüttern da draußen - wie Ihr diesen Schritt geschafft habt, zu dem ich mich noch so unfähig fühle. --- Mut macht, dass alle Mütter dieser Welt ihn gehen. Und ihn zu gehen schaffen. --- Mut macht auch, dass ich in der Schule mit den Älteren viel lieber, vielleicht auch viel besser arbeite als mit den Kleinen, dass also das Alter, welches ich bei meinen Schülern am meisten liebe, bei meinen Kindern erst noch bevorsteht, noch lange nicht erreicht ist ...)

Sonntag, 28. Oktober 2012

Soeben ...

... bei uns im Garten. Die Schneebilder, andernorts zu sehen, kann ich kaum glauben. Ebenso wenig wie die Temperaturen, die das Thermometer neben mir anzeigt. Meine Haut sagt anderes. Vielleicht lässt sie sich vom Auge über ihre Wahrnehmung hinwegtäuschen? Vielleicht bin ich ein so augendominierter Mensch, dass ich auch nicht spüren kann, was der Sohn jetzt gerade erstaunt durchs Haus ruft: "Draußen riecht's nach Winter ..."












































Mittwoch, 24. Oktober 2012

Arbeitsweg

Bin gestern sehr früh eingeschlafen, so erschöpft, noch bevor ich erzählen konnte: Ja, ich habe es getan, wieder mal! Mit dem Fahrrad zur Arbeit nämlich, zu meiner Dienstagsarbeit. So sieht es unterwegs aus ...










Das war auf dem Rückweg, in der warmen Mittagszeit.

Morgens ist es stockfinster, ich kann das schwarze Wasser hinter den schwarzen Bäumen nur erahnen. Eine unglaubliche Stimmung. Und ein sehr erlösendes Schwarz. Denn bevor ich auf den Fluss treffe, liegen 10 km Bundesstraße hinter mir. Gegen halb sieben morgens über die abgeschiedenen Felder traue ich mich nicht. Deswegen der Radweg dicht an der Straße, auf der mich jedes entgegenkommende Auto dermaßen blendet, dass ich mein eigenes Fahrradlicht und den Weg vor mir kaum noch sehe, immer nur hoffen kann, dass mein Reifen stets die Mitte zwischen Böschung rechts und Fahrbahn links beibehält. Deswegen: erlösendes Schwarz des Flusses. Von hier ab ist alles gut. --- Wie unterschiedlich die gleiche Farbe wirken kann ...

Und noch ein Sehenserlebnis. Weil ich mit dem Fahrrad mal eben schnell in die Stadt hinein fahren konnte, ließ ich endlich meine Brille richten bzw. austauschen - seit Wochen spricht der Optiker auf meinen AB, ich solle vorbeikommen. Spontanentschlossen tat ich's gestern. Hatte aber keine Ersatzbrille dabei und musste die Wartestunde "blind" verbringen. Naja, nicht blind. Aber so verschwommen, dass ich niemanden und nichts außer Konturen erkenne. Vielleicht habe ich also Menschen verprellt, die mich freundlich anlächelten und ich hab's nicht bemerkt, vielleicht hab ich Bekannte übersehen, hab sonstige Ungeschicklichkeiten begangen. Hilflos, war mein Gefühl.
Bis ich mich setzte, auf den Innenhof meiner Studentenjahre, verschwommene Wolken von Farben und Licht schauend, in vertrauter Umgebung, und alles war gut. Aber doch ungewohnt. Und Neugier war in mir ... so dass ich meine Kamera beauftragte, für mich zu entdecken, was sich in den Farbwolken verbirgt. --- Sehr faszinierend: da waren Konturen, da war Erahntes und Nichterahntes, Vertrautes und Überraschendes ...





























Nein, da ist nichts "Besonderes" auf den Fotos. Mich faszinierte lediglich, dass ich von all dem nichts - NICHTS - gesehen hatte. Manches habe ich in all den Jahren mit Brille auf der Nase nie wahrgenommen.
Insofern ... ist es also doch etwas "Besonderes"?
Wie oft mag uns das mit unserem "normalen" Sehen auch so gehen - wir sehen, und sehen doch wieder nicht ...

Montag, 22. Oktober 2012

Herbstwetterfahrtgedanken

Mein Fotoapparat sollte im Auto liegen, bei diesen Farben, jetzt, hier, für all diese Bilder - das denke ich schon seit Tagen, da ich wieder regelmäßig durch die Landschaft fahre, durch meine Studentenstadt, an meinem Fluss entlang, über die Hügel, morgens, abends, mittags - sehe allerorten fotografierende Menschen, vom Rad gestiegene, schaue neidvoll, rechne immer wieder durch, ob nicht auch ich - nein, knapp 100 km Tagestour sind einfach zu viel für das langsamere Vehikel - und bin noch ganz betäubt von dem Licht, das mich soeben nach Hause begleitet hat. War auch schon im Auto betäubt, so sehr, dass ich das an der Tankstelle gekaufte Feierabend-Eis auf dem Beifahrersitz liegenließ. Bis zu Hause. Da schwimmt es nun ...

Den angekündigten Temperatursturz mag ich nicht glauben, und kann es nicht, und sehe ihn nicht vor mir, da er in dieser goldgefärbten Luft nicht greifbar wird (und will es nicht, jedenfalls solange der Sohn im Landschulheim ist, für Winterwetter nicht eingekleidet, so wie seine Klassenfreunde wohl auch nicht, diese großgewordenen, die sich heute morgen aber sowas von nicht verabschiedet haben von uns Müttergrüppchen, die wir beginnen peinlich zu werden :) - nunja, wer so schnell lospubertiert, würde wohl auch mit einem Temperatursturz fertigwerden, versuche ich meine Muttersorgen loszulassen).

Und doch, wer weiß wie schnell - alles geht derzeit schnell. Vieles unerwartet. Sechs Blaulichtwagen bin ich heute begegnet - sechsmal eilige Fahrt ins Werweißwohin, sechsmal eine ungeahnte Lebenswende, und kurz vor meinem Dorf noch das Kreuz, das seit einigen Wochen auf unsere Landstraße schaut - einige Kilometer nur von dem Kreuz entfernt, das seit sechseinhalb Jahren daran erinnert, dass nicht jedes Kind neben seiner Mutter großwerden darf, und nicht jeder Vater seine Tochter am Ende eines Schultages wieder in die Arme schließen darf. Tagtäglich fahre ich an diesen Kreuzen vorbei.

Die Tochter liegt oben im Bett, ungewöhnlich um die Zeit, der Schulstart fordert seinen Tribut - in vier Tagen sind Ferien. Alle drei sehnen wir sie herbei. Alle drei brauchen wir mehr Schlaf, mehr Ruhe, brauchen uns, brauchen das sich in Ferientagen so herrlich ausbreitende Nichtstun.

Und über all dem schwebt seit Tagen eine Wolke dumpfen Misshagens - oder schwebt sie in mir? - des Misshagens über meine Wege, meine Aufgaben, meinen bevorstehenden Rollenwechsel - vom Arzt zum Richter (wie es in der Pädagogik oft genannt wird).
Wer bin ich, dass ich in fremde Lebenswege eingreifen darf? --- Und werde es doch bald tun müssen. Mit Zahlen, die ich in Formulare eintrage. Und die darüber entscheiden, ob der- oder diejenige ... oder ob eben nicht. --- Wer bin ich? --- Aus dieser Aufgabe möchte ich meinen Kopf wie aus einer Schlinge ziehen. Am liebsten mich drücken. --- Und bin darum sehr dankbar, heute als willkommene Ärztin, sozusagen, empfangen worden zu sein. Dort wo ich heute war, beratend, helfend, gemeinsamwegsuchend.

Mein Heimkommensgedankenpotpourri ...

Samstag, 20. Oktober 2012

umentschlossen

Nun war ich doch noch auf den Feldern. An einem solchen Tag kann man nicht nicht rausgehen ...


































pflichtgebunden, seufz

Und warum bist Du nicht draußen, fotografieren? - werde ich gefragt. Und frage ich mich selbst.
Weil ich hier gegen die Uhr anarbeite. Weil die wenigen Wochenendstunden einer unendlichen Dringlich-bis-Montag-Liste gegenüberstehen. Darum. Verzicht, Selbstdisziplin, Zähneknirschen. Und eine Träne im Augenwinkel, dass ich dieses Licht, diesen Nebel, diese Farben, diese Morgenstimmung, dieses Tageserwachen nur durch die Fensterscheibe sehen darf, durch die ungeputzte, nur aus dem Augenwinkel heraus, aus dem tränenbenetzten, nur von drinnen, wohin es nicht in seiner vollen Unglaublichkeit dringt.
(Ich sollte mich dringend um Versöhnung mit meiner derzeitigen Lebenssituation bemühen.)

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Wut

Kaum auseinanderzuhalten, auf wen sie sich richtet:
Auf andere? Weil wieder und wieder und wieder die Dinge nicht so sind wie sie sollten ...
Auf mich selbst? Weil ich unfähig bin einzufordern, was ich brauche, ganz unbedingt brauche ...
Ich kann es nicht erkennen.
Und gestehe mir die Wut wohl nicht mal zu. Selbst, als ich sie kaum noch bändigen kann, greift meine wohlerzogene Hand noch schnell nach der Plastikdose - statt des näherstehenden Weinglases -, um diese - statt dieses - in den Ausguss - statt auf den Boden - zu schleudern. Ein abgebrochenes Eckchen - statt einem Fußboden voller Splitter. Und fast geräuschlos - den Lärm des Glases hätten alle gehört, hätten geschaut, gefragt, sich gefragt, vielleicht mich gefragt ...
So kontrolliert agiere ich selbst noch, wenn sie mich ergriffen hat.

Aber ---
vielleicht sollte ich doch mal Glassplitter sprechen lassen?
Aber - das Gegen-Aber sozusagen ---
ob das die Richtigen hören und sehen würden, oder wieder nur die Nichtgemeinten? Und ob sie die Sprache der Splitter verstehen würden?
Doch besser nicht das Glas genommen, wiegele ich ab.
(Ratio kann auch zum Gefängnis werden.)

PS, etliche Stunden später:
Aber eines muss man ihr lassen: die Wut setzt Energien frei. Was für welche! Wenn ich diese auch nur für Alltagsdinge nutzte.

Dienstag, 16. Oktober 2012

... vom Sehen ...

So gern möchte ich das Grau des Nachmittags, das Dunkel des Abends, die heranziehende Nacht mit meinen Augen von heute Morgen anschauen. Möchte in den Schatten, die mich bis zur Taten-, Gedanken-, Wortlosigkeit lähmen, ein Echo finden, einen Nachhall des unglaublichen aufsteigenden Licht, und des Morgennebels, der, wie Atem vom Fluss ausgehaucht, dem anderen Ufer seine scharfen Konturen nahm. Und des Mittagshimmels, der Sonne, der warmgelben Farben des Herbstes.
--- Ich möchte solche Bilder gar nicht loslassen. Möchte - habe ich schon meine Kamera nicht dabei gehabt - sie hier wenigstens mit Worten festzurren. ---
Und spüre: nein, sie fließen fort, sie sind nicht zu fixieren, sie gehörten dem Moment.
Für das Jetzt --- genügen Aufnahmen von Vergangenem nicht --- und auch nicht die Hoffnung auf einen neuen Sonnenlichtmorgen am Fluss.
Für das Jetzt --- gibt es nur, was ich jetzt sehe, mit meinen jetzigen Augen.
Was heißt hier "nur"? Es ist größte Herausforderung, das Jetztschauen in einem jeden Augenblick zu üben. Und es ist größte Offenbarung - ahne ich leise.
Zarte Fäden dieser Ahnung - und dazwischen breite Bänder voller Sehnsucht nach Bildern wie die heutmorgigen. Wodurch wird mein Lebensstoff zusammengehalten? Von den Fäden? Von den Bändern? Ein Muster, mir nicht erkennbar ...

(Kaum kann ich es zulassen, ohne Schlusssatz zu enden, ohne Pointe, ohne Moral. - Und doch: Offenheit als solche stehen lassen - Augenblicke haben schließlich auch keinen Schlusssatz.)

Sonntag, 14. Oktober 2012

Erlebensstaufließen

Da ist so vieles.
Ein Hauch besonderen Lichts,
der unerwartet warme Blick eines Menschen,
nicht geahnter Schmerz, immer noch,
die in Zugewandtheit hingehaltene Hand eines Menschen - ich weine, weil es jemand so gut mit mir meint,
ein Traum, mich nichtverstehend zurücklassend,
Begegnungen in Ehrlichkeit, wo sonst Fassade vorherrscht,
Tränen, und das Gefühl zu ersticken,
und das Vertrauen, dass es ein Quäntchen Luft gibt, überall,
Fragen, Zweifel, Besorgnis bergeweise,
Staunen, immer wieder, wie die Kinder mich ruhig an ihre kleine Hand nehmen, Wege aufzeigend, Augen öffnend,
die Herbstfarben, der Morgennebel --- ein tiefes Aaaah aus mir heraus
...
all das.

Es staut sich in mir. Es bräuchte Raum, es bräuchte vielleicht Worte es hinauszusagen, vielleicht Musik es hinauszusingen, vielleicht Bilder es hinauszumalen. Manchmal stelle ich mir vor, dass es eines Tages die dünne Haut, meine dünne Haut, einfach zerreißen wird. Besser gesagt: sprengen wird.

Heute Nacht, vorhin, habe ich geträumt: Ich war irgendwo, eine Veranstaltung, ein Seminar, was weiß ich, jedenfalls habe ich anderswo übernachtet. Am letzten Morgen zogen sich die Dinge in die Länge, und zogen sich, und wollten nicht recht vorwärtskommen. Alle anderen packten nach und nach ihr Köfferchen, eilten zum Sitzungsbeginn - pünktlich, fast pünktlich, mit entschuldbarer Verspätungsmenge jedenfalls.
Ich war die letzte. Wie gelähmt. Bis es nicht mehr lohnte sich zu beeilen. Denn all die Morgenschritte standen wie eine Mauer vor mir. Kam ich aus der Dusche, hatte sich ein neues zu Tuendes vor mir aufgebaut. Packte ich Dinge in meinen Koffer, rutschten auf der anderen Seite andere heraus ...
Irgendwann das Verstehen: ich werde es nicht schaffen. Und ich muss es nicht schaffen. Ich werde überhaupt nicht mehr hingehen. Als ich gerade dabei war, mir eine Notlüge zurechtzugrübeln, holte mich lautes Herbstwindblätterrauschen in meinen Sonntagmorgen, den realen.
Hm.
Nein, das ist nicht der Fragezeichen-Traum. Diesen verstehe ich sehr gut. Jedenfalls jetzt beim Aufschreiben. --- Soeben habe ich meinen Morgenablauf angehalten, den realen. Mal schauen, was passiert, wenn ich dies aus dem Traum in die Wirklichkeit übertrage ...


PS (einige Stunden später):
Abrupt von den Rufen des Alltags aus meinem Morgenträumen gerissen, habe ich mich den Aufgaben hingegeben. Zwangsläufig, wider Willen, könnte ich sagen. Und doch: es war anders. Ein Fließen, angestoßen durch meine wenigen Wortsucheminuten am Morgen. Worte und Unsagbares, still gespürt, nur ich für mich, beim Tischdecken, beim Wäschesortieren, beim Hausaufgabenbegleiten, bei den tausend Handgriffen, die zwischen meinen Morgenzeilen und diesen hier liegen.
Die Worte sind wieder weg. Das schweigend mir Zugeflossene ist geblieben - als beruhigende Ahnung tief in mir. Worin sie besteht?
Vermöchte ich es genauer zu sagen, würde ich es tun. Sage ich es mit den Worten, die ich im Moment habe, klingt es einfach. So einfach, dass es kaum mehr verständlich sein kann:
Dein Weg liegt vor Dir. Nimm ihn. Nimm ihn so, wie er ist. Und verstehe nicht jede Felswand als Deine Unfähigkeit. Sieh sie als Überforderung, als von Dir nicht verschuldete.
Ja, überhaupt, welche Schuld? Und welche Unfähigkeit?
Schau, was hinter Dir liegt, was noch vor einem Jahr war, und vor zweien. Schau, was sich verändert hat. Hättest Du das je gedacht? Schau Dich im Spiegel an.

Ich danke meinem Traum. Sehr.
Und was ich heute morgen noch vorhatte - Bilder von der Reise zu zeigen, die jetzt vor einer Woche endete, mich in diese Bilder zu versenken, sie wieder vor mich zu holen - das findet nun keinen Raum mehr in der zeitlichen Enge dieses Sonntags. Das macht nichts. Es ist gut so. Ich schaue nun meine Aufgaben an. Und mich in ihnen. Gehe weiter. Mein Weg liegt vor mir. Irgendwo durch die Felswand hindurch. Oder an ihr vorbei. Oder an ihr hinauf, weil ungeahnte Seile sichtbar werden. Oder ich warte ein Weilchen ab, bis mein Weg mich findet.

(Und soeben, ganz zuletzt, habe ich noch die Überschrift des Posts verändert. Habe den 12 Buchstaben des Morgens 7 weitere angefügt.)

Dienstag, 2. Oktober 2012

Kapazitätsfragen

Klickt man auf diese Seite, scheint es, als wäre ich versunken oder verschlungen - in oder von so manchem. Beides trifft nicht zu. Im Gegenteil. Hinter meiner Schweigekulisse verlaufen ruhig-stimmige Tage, gefüllt mit allem, was der Alltag mit zwei Kindern und zwei halben Stellen eben so abfordert. Als zu Beginn der Schultage die eine Arbeitsstelle noch nicht gestartet hatte, also ich nur halbtags schulisch unterwegs war, dachte ich, das wäre auch genug - mehr als genug. Mittlerweile presse ich die zweite halbe Stelle wieder hinein - und versuche dennoch den guten Anfang weiterzuleben.

Versuche, mein Schlafkonto nicht wieder in die roten Zahlen rutschen zu lassen. Das tut sooo gut - ich träume sogar wieder. (Heute Nacht zum Beispiel, dass ich, mitten im tiefen Wasser schwimmend, mit einer Landkarte (wasserfest!) den Weg zu suchen hatte. Jetzt beim Schreiben klingt's vielleicht dramatisch? Beim Erleben war es ein heiterer Traum ...)

Versuche, die Kinder nicht wieder aus den Augen zu verlieren - selbst wenn sie ihre ersten Schulschritte mehr und mehr selbstständig gehen, wenn sie von Tag zu Tag mehr in ihre neuen Aufgaben hineinwachsen. So abwesend wie im letzten Schuljahr möchte ich nicht wieder sein - nie wieder! Im Moment ist unsere Kommunikation sehr rund - selbst Situationen wie das permanente Vergessen von Jacken in der Schule haben wir kommunikativ im Griff :)

Versuche, die kleinen Oasen im Alltag aufzuspüren, die kleinen Geschenke am Wegesrand.
Mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, auch den weiteren Weg, kilometerlang in der Morgendämmerung am Fluss entlang. Und möglicherweise im Mittagsregen zurück ...
So manche Schulstunde, so manche Arbeitsbegegnung wird gerade zur Kraftquelle, da ich mich so intensiv darauf einlassen kann.
Eine Reise zu einer Tagung, ich möchte fast sagen: Einer Reise der Stille - an Orte des Versinkens auf Hin- und Rückweg, auf Wegen abseits von Autobahnen (wie gut, dass ich zu "geizig" war mir eine Vignette zu kaufen), in der Berührung durch ein Unterrichtskonzept und die es verkörpernden Menschen, und überhaupt in dem nicht erstmaligen Eindruck, dass unsere südlichen Nachbarn ihren Kindern, ihren Schülern um so vieles behutsamer begegnen im Schulischen, dass hier gelebt wird, was ich manchmal kaum noch wage zu träumen ...
Ein paar freie Tage vor mir, Brückentage, wie man hier sagt. Mit Sohn und Fahrrädern nach Gießen fahren, ins Mathematikum. (Upps, die Webseite sieht gerade so karg aus - das war doch früher anders?) Er wünscht sich das so. Und falls es regnet in diesen drei Tagen, die wir uns für den Weg gegeben haben, dann sollen wir in einen Zug steigen, wünscht er sich ...

Liest sich gut, liest sich stimmig? Ja, es fühlt sich auch so an. Und doch - da ist ein großes ABER. Nämlich: Alles sonstige liegt brach. Wäsche sowieso - die Kinder morgens vor leeren Schubladen. Aufräumedinge türmen sich. Bücherregale, lang schon aufzubauen. Die Telefonanlage einzurichten. Freundeskontakte in der Warteschleife. Computereinrichtung - manches dringend, manches einfach nur, weil dann vieles schneller ginge und dadurch letztlich Zeit zu gewinnen wäre. Arzttermine, verschlampert oder gar nicht erst abgemacht. Der Optiker ruft dauernd an, die Brille wäre fertig - ja doch, ja - nur wann soll ich da hinfahren? Ein Wunder, dass noch keine Zahlungsmahnungen eintrudeln. Und wann, fragt die Tochter, reparieren wir endlich unsere Kuschelschildkröte Emma?
Zu viel, viel zu viel. All das passt nicht mehr in meine Tage.
Ja, ist das alles zu viel? Kinder, Arbeit, Schlaf - und mehr geht nicht?
(Und wie machen das andere Frauen???)

Voller Worte war ich an so manchen Tagen. Hätte gern geschrieben. Voller Fotos ist meine Kamera, noch nicht mal auf den Computer überspielt. Ich wage kaum anzukündigen, dass ich hier noch einiges erzählen und zeigen möchte. Eigentlich habe ich es vor ...