Sonntag, 26. April 2015

Sonntagsgeschreibe

ein Blogpost
fünf private Mails
dreizehn dienstliche Mails
ein Gutachten für einen Schüler
mein Lehrerkursbericht für die Abizeitung
eine Begründung für einen GLK-Antrag
eine Trauerkarte
eine Gesundwerdekarte
eine Geburtstagskarte
Tagesfragen im Tagebuch

Ich springe wie ein Sprach-Chamäleon zwischen Stilebenen, Wortschätzen, Ausdrucksformen hin und her, zwischen nah und nüchtern, zwischen flapsig und formell, und muss aufpassen, nicht Du mit Sie zu verwechseln oder mit der falschen Schlussfloskel zu enden.
Quasi alle meine Lebensrollen sind sich heute in meiner Feder begegnet. Zum Glück hat sich diese nicht verknotet, auch wenn das müde Gefühl bleibt, ich müsse jetzt zum Ende des langen Tages eine Art Verwirrung erlösen.
Also werde ich mich ans Klavier setzen, die Klarheit einer Bach-Invention sprechen lassen, und danach wiederum das Tagebuch betreten. Dorthin also gehen, wo das reine Nur-Ich die Worte formt. Damit ich nicht im Gewand einer meiner zahllosen Rollen ins Land der Träume steigen muss.

alldienstäglich

Ein Wochenende, das mich in zwanzig Fragen hineinwirft und zu wenig Energie mit sich bringt, mich auch nur einer von ihnen zu widmen, geschweige denn sie zu beantworten, ein solches Wochenende wendet mich den Quellen zu, welche durch die Woche getragen haben.
Meine Dienstage sind Wartetage an der Musikschule. Der Frühling befreit von den Cafés, in welchen ich winters warte. Der Frühling schenkt den Park, das Grün, das Licht, das Schlösschen, die Burg, und diese Woche dazu den Impuls, die Kamera mitzunehmen.



So werden Sichtbarrieren
zuweilen durchlässig.






So findet sich Klarheit


hinter
und zwischen den Gegensätzen.






So wird erkennbar, dass es Zeit braucht,


bis das Keimen und Knospen
zu farbigem Blühen heranreift.






Und dafür, dass aus Kargheit


Lichtfülle und
Lichtvolles entsteht.






Und trotz der Schatten, der bindenden,
der lastenden,


der manchmal kaum zu tragenden,
der verwirrten, verwirrenden,


trotz meines ganzes Schatten-Ichs






finde ich mich plötzlich


unmittelbar


aufgehoben im Leben des Parks
und staune.



Und weil einer meiner Energieräuber das stete Bestreben ist, Struktur und (vermeintlichen) Sinn in allem und jedem zu suchen, weil ich impressionistische Eindruckstupfer kaum je als solche stehen lassen kann, unabgerundet und uneingebunden in Form und Linien, mache ich mir gerade dies zur heutigen Übung. Mögen diese Bilder also einfach als sie selbst hier stehenbleiben.

Mittwoch, 22. April 2015

in die Woche geblickt #8


dankbar
dass wir eine Uniklinik um die Ecke haben, mit der bestvorstellbaren Versorgung, und dass es diesmal beim Schreck blieb, weil es einfach nur ein Infekt ist (der junge Arzt: „Merken Sie das denn nicht, dort ist ja alles entzündet?“ – „Nein. Ich merke gar nichts.“ – vielleicht habe ich mich so daran gewöhnt, ein Krankwerden nicht in Betracht zu ziehen und ein Schmerzgefühl gar nicht erst hochkommen zu lassen – dieser Freitagsnotfallbesuch gibt mir nun sehr zu denken; auch dafür bin ich dankbar)



berührt
von Vulkangestein, das – nun nach der Reise ausgepackt – die eindringliche Botschaft in sich trägt, dass Vergangenes, Erloschenes, Erstarrtes einerseits tatsächlich vergangen, erloschen, erstarrt ist, andererseits neue Lebensfarben schenkt, wenn man nur die eigene Schale dafür öffnet (kryptisch, und das löse ich hier auch nicht auf)



begegnet
intensiv und innig in der Erinnerung einem Tulpenmädchen, und seiner Tulpenfamilie ringsum




gespürt
die Kraft und Wärme der Frühlingsfarben - und wie!



geübt
zu sagen, was zu sagen ist, ohne mich drumrumzuwinden und mich mit meinem Gespreche im Kreis zu drehen, das Wichtige also so mitteilen, dass es bekömmlich wird und vielleicht sogar als Nahrung für zukünftige Entwicklung dient (konkret: ich prüfe, und das gibt zuweilen schlechte Noten, in dieser Woche sogar einige – und ich habe die „Badehosenrolle“ inne, wie Frau Henner sie hier so trefflich beschreibt - diese Rolle empfinde ich nicht immer als leicht, aber in dieser Woche hatte ich tolle Mitprüfer, und wir haben sehr lange und sehr ausführlich begründet und gesprochen und haben es tränenarm hinbekommen - puh)




geteilt
die Arbeit des Ausräumens, Streichens, Einräumens des Sohneszimmers – dies stand als schier unüberwindbarer Berg vor mir, und hätten wir dem Sohn das frische Zimmer nicht versprochen gehabt, ich hätte entmutigt Abstand genommen von diesem wahnwitzigen Plan mitten im laufenden Alltagsbetrieb – aber plötzlich war es schneller fertig als gedacht – und der Sohn ist so glücklich, ich ertappte ihn dieser Tage mehrfach, wie er in seinem Sitzsack lümmelte (in der "Chillecke":)) und einfach nur den Blick durch sein Zimmer streifen ließ



mir selbst geschenkt
abgegebene gelbe Abiturmappen, das allein ist schon ein Fest, dazu dann noch der Schnitt meines Kurses – hach!




Donnerstag, 16. April 2015

Schreibelust

Soeben überkommt sie mich. Einfach so, aus dem Nichts. Ohne mir mitzuteilen, worüber dies Schreiben eigentlich gehen soll. Ich sitze also und warte. Welche Gedanken losfließen. Welche Bilder aus meinem Erlebenswirbel herausquellen. Welche Wörter sich dazu einstellen.

Zum Beispiel Sonnenflut. Durch die Fensterscheibe mitten hinein ins Gesicht. Ob im Auto oder im Klassenzimmer, überall grellt sie ins Auge. Wunderhelles Gefühl. Selbst die nun sichtbar schmutzig-streifigen Scheiben lassen lächeln.

Oder Pubertätsgekichere. Klassenräume voll davon. Sonne lässt junge Menschen noch mehr sprießen als ohnehin schon. Manchmal will ich gar nicht die Lehrerin sein. Müsste die doch jetzt zur Arbeit gemahnen. Statt dessen pfeift sich in mir ein Liedchen und der Gedanke (kann sich ein Gedanke pfeifen?), dass diese auch ohne mein FürRuheGesorge durch den Tag kommen werden. Durch den heutigen zumal.

In der Altstadt im Café sitzen. Wartend. Will ja nicht zu früh an der fremden Schule aufschlagen. Studentische Vorbeiradelscharen (früher auch ich hier, gegen die Einbahnstraße, klar), von denen kommt niemand hier herein. Erst ab Jungmütteralter kauft man beim Bäcker, verstaut Frischgekauftes in Kitabrotboxen und braucht, je älter, desto mehr Zeit zum Herauspfriemeln des Kleingeldes aus der Börse. Wunderbare Gelassenheit auf allen Seiten. Da kommt ein Wie-immer-Herr-Müller? und ein stummer Stockfischkunde. Ein paar Morgenmuffel, eigentlich die Mehrzahl, gelegentlich eingestreut die morgens schon Tänzelnden. Fürs Tasse-zur-Theke-Zurückbringen bekomme ich ein Danke. Das müsste mir zu Hause mal passieren.

Wie hieß das Wort doch gerade: tänzelnd. Barfußtänze nämlich. Andere mögen in meiner Bewegung einfach nur Laufen sehen. Innerlich fühlt sich das anders an. Sobald mein Fuß im Frühjahr den Latsch von innen nackt berühren darf, geht es mir schwebend. Und mit den bloßen Zehen Bilder auf Staubgartentische malen - hach!

Wäsche-und-kein-Ende-in-Sicht. Das Haus ist voll davon. Wie kann ein sooo großes Haus sooo voll davon sein. Bestimmt spielt die Wäsche mit mir Hase und Igel. Oder bietet sich mir als Meditationsobjekt dar. Falten, legen, stapeln, und dabei immer schön bei mir bleiben. Nicht abschweifen.
Tema con variazioni: Unausgepackte-Reisetaschen-und-kein-Ende-in-Sicht. Usw.
Aber Augen und Gedanken bleiben nicht, wo Wäsche und Taschen es gern wollen. Unwillkürlich geraten in den Blick:
Staubmäuse. Sockennirvana. Was nicht alles hinter dem Regal liegt. Vielleicht finde ich dort auch all die italienischen Wörter, die letzte Woche noch meinen Kopf belebten und nun weggepustet sind. Wieso sind Ärmel und Hosenbeine immer nach innen verkrumpelt. Wer schleppt eigentlich immer die vielen überflüssigen Sachen mit auf die Reise. Wer hat schon wieder den Schrank der Tochter nicht aufgeräumt. Und warum trägt die ganze Familie die gleichen schwarzen Socken. Sortiert man die nicht besser mit der Luxzahl von Flutlicht?
Apropos: Kommt da allmählich die Notwendigkeit einer neuen Gleitsichtbrille in Sicht? Wiederum kann man das Lesen mit halbhimmelwärts gerichtetem Kopf ja auch als Gymnastik auffassen, oder nicht? (Und: wer das jetzt nicht versteht, ist vermutlich noch zu jung.)

Tastentolpatsch. Familienintern wurde der Titel mir zugesprochen, unangefochten. Wobei, dies Kriechen in der Ungeschicklichkeit nährt akustische Erkenntnis. Nämlich dass, worüber ich zuvor hinweggefegt bin (hinwegzufegen vermochte!), Substanzielles enthält. Im Ton für Ton erst höre ich mir zu. Und entdecke. Und forme. Langsamkeit als Hörbarmachung.

Wiedersehenswoche. Von den "Kleinen" schrieb ich schon. Die Kollegen haben nur den Montag als Anlauf gebraucht, um schon wieder im Vorferientempo dahinzugaloppieren. Ich ja mit ihnen. Und die Abiturienten sind in ihre Nachprüfungsdepression gefallen und reiben einem diese unter die Nase. Von den Erfahrungen der älteren Generation (wie das klingt ...) - das sei normal, von Prüfungsfreude könne man eben nicht ein Leben lang zehren - wollen sie nichts hören.
Und dann Zufallsbegegnete an jeder Ecke. Den einen dreimal in zwei Tagen getroffen. In drei verschiedenen Schulen. Huch? Dann die aus ferner Vergangenheit. Auf dem Schulflur gegenseitig angelugt. Studienbekannte - das war sie bestimmt. Die Faltenschicht von zwanzig Jahren verhindert Soforterkennen. Mich selbst würde ich ja auch nicht als Ich benennen, hätte sich die Alterung über Nacht (dr)aufgetan. Dafür sieht der Kollege mit dem 50. Geburtstag jungbrunnengebadet aus. Der liebste  Chef der Welt sorgengegrämt und -gebeugt. Und dann gibt es noch die Alterslosen. Also: die, bei denen sich kein Gedanke auf irgendein Alter richtet. Nur auf das Sich-gegenseitig-Sehen, welches Tage reich machen kann.

Wiederkehrerleben. Heraus aus dem Zustand, die Tage immer nur wegarbeiten zu müssen, zurück in ein sich lebendig anfühlendes Sein. Zurück? Lange war ich nicht dort. Oder hier. Jedenfalls: Da. Ferien sind ja doch für etwas gut. Wenn diese Erkenntnis wenigstens im Nachhinein kommt.

Sicher war dieses Schreibegelüste jetzt unbewusst prokrastinierenden Ursprungs. Daher beende ich es abrupt und abrundungslos. Die gelben Mappen des Abiturs liegen Schlange und würden sich in quängelnder Ungeduld am liebsten gegenseitig überholen.

Sonntag, 12. April 2015

Ferienende


Gestern auf der Fähre schaute ich noch mit einer Mischung aus Befremdung und Bewunderung auf all die fleißigen Großfamilienmütter ringsum, welche in perfekt organisierten Abläufen mit ihrer Kinderschar Französischvokabeln und Lateintexte durchexerzierten.

Heute nun schlägt der Sohn selbst das Mathebuch auf, während wir traditionell in unserer Dorfkneipe das Ferienende begehen. Er offenbart, dass er übermorgen eine Arbeit schreibe. Auf seine Aufforderung - Frag mich mal was! - beginne ich in den Kratern seiner Erinnerungsreste zu stochern. Alsbald blaffen wir uns gegenseitig an. - Ich verstehe überhaupt nicht, was du von mir willst! - Hast du im Unterricht eigentlich auf deinen Ohren gesessen? - Solche Fragen kommen in unseren Arbeiten nie dran! - Oh, hast du ne Ahnung ... (Wer ist denn hier die Mathelehrerin, denke ich leicht erbost.)

Ich kann das eben nicht so wie diese Fährenmütter. Wir sind uns einig, das Mathebuch jetzt lieber wieder zuzuschlagen. Morgen ist auch noch ein Tag.

Und heute sind Ferien, noch. Das Dorf duftet nach Frühling und strahlt so warm, wie wir es in ganz Sizilien nicht fanden. Der Garten schaut abendsonnenrötlich zu, als ich Kissen und Stühle wieder einsammle. Was für ein Sturm hier gewesen sein muss! Die Waschmaschine rumpelt sich durch die Wäschegebirge, der Rotstift ist leider nicht ausgetrocknet und nimmt sich lustlos der Aufgabe an, weiter in den Abituren herumzukritzeln, wo er vor der Abfahrt stehengeblieben war.
Das eine Kind plätschert singend und stundenlang im Duschwasser, das andere versucht am Klavier, weiße und schwarze Tasten zu sortieren, und keines von beiden gibt mir eine Antwort auf die Frage, was morgen in die Brotboxen hineinsolle.
Alles bestens also. Alltag, wir kommen.