Sonntag, 14. Februar 2016

Blogumzug


Aus verschiedenen Gründen hatte ich es lange schon vor, schob es genauso lange vor mir her, bevor ich es dann heute endlich - dank einer sehr lieben Hilfe:) - erfolgreich in die Tat umsetzen konnte. Ab jetzt werde ich auf diesem Blog nicht mehr schreiben, sondern unter

www.fraurebis.wordpress.com

Der gesamte Blog ist umgezogen, alle Posts und Kommentare sind schon drüben, es ist nichts verlorengegangen. Für einige von Euch wird das Kommentieren nun deutlich leichter gehen, für einige auch das Lesen selbst.

Für hier also: Auf Wiedersehen.
Für dort drüben dann: Herzlich Willkommen.

Samstag, 13. Februar 2016

12 von 12 im Februar


Ein Reisetag ist kein Schreibtag. Darum kommt mein 12 von 12 wieder einen Tag zu spät. Und geschummelt ist es auch noch. Wenn ich nämlich noch weitere Stunden versuche, Reisebilder auszusortieren, wird es nie mehr was. Es sind und bleiben diesmal 15. (Von mehreren Dutzend. Das ist doch schon arg ausgewählt.)


Abreisetag.


Diesen Weg werden wir nachher nehmen. Im Moment treten wir noch aus dem Reisetaschenpackdurcheinander unseres Zimmers hinaus und lassen uns die Sonne auf die Nase scheinen. Die Tochter ist sauer, dass sie jetzt - wo das Wetter gut wird, und vor allem, wo sie einen Freund gefunden hat - abreisen soll. Ihren Zorn schleudert sie wohl versehentlich mit dem Frühstücksei zu Boden ...


... jedenfalls berichtet sie tränenüberströmt von dem Malheur, und wir versuchen, noch das Beste herauszuholen. So sieht das dann aus:)


Abschiedsblick aus dem Fenster auf "unsere" Hütte, von dem Tisch, der allabendlich zum Lesen, Schreiben, Spielen und Telefonieren diente.


Die Tochter nimmt ein paar letzte Fotos für die Freundin mit ...


... bevor wir abfahren. Immer höher, an all unseren Skibergen vorbei ...


... über den Pass ...


... mit einem Blick zurück.


Hinab vom Pass ins Tal, zunächst mit einem Boxenstopp, weil dem Kind schlecht geworden ist. Das kennen wir ebenso wie die zahlreichen Bars am Wegesrand, in denen man den entleerten Magen wieder füllen kann. Hier mit Plüschvorhang, heißem Apfelsaft, Toast und Kaffee für uns - und einem anschließend nicht mehr grün im Gesicht aussehenden Kind.


Irgendwann ist das Autobahntal in Sicht, ringsum wirkt es frühlingshaft, nur die Berge in der Ferne zeigen noch Winter an.


Wir fahren zunächst ein kleines Stück südwärts, um ...


... in einer Cantina Wein zu kaufen. Soviel in den Kofferraum eben hineinpasst.


Vor der Cantina scheint die Frühlingssonne, lebt ein Springbrunnen, lässt sich die Zeit vergessen.


Und dann ist wirklich Heimreise. Vorbei am Schlern, mit Erinnerungen an meine erste Italienreise 1991. Und die Tochter weiß zu berichten, dass sie in der Nähe dieser Wasserrohre doch mal gekotzt hätte. Danke, nein, für heute haben wir genug, sage ich.


Es wird allmählich dunkel. Das erkennt man auf diesem Bild nicht. Nur daran, dass die vielen Wegfotos, die ich am Nachmittag noch mache - Brennerpass, Innsbruck, Fernpass, Allgäu .. - alle leicht unscharf sind. Ich bin müde, es wird Zeit nach Hause zu kommen.


Eine größere Pause in Nesselwang, für Mittagabendessen und Wochenendeinkauf, und weil es die reichliche Hälfte der Strecke ist.
Dann folgt nur noch anstrengende dunkle Autobahn. Gegen 9 Uhr kommen wir an.

Andere 12-von-12-Einblicke gibt es hier.

Dienstag, 9. Februar 2016

Ein Weg aus guten Momenten


Schaue ich mich um, schaue ich auf meine derzeitige und die unmittelbar vor mir liegende Wegstrecke, fühle ich mich wie im Morast, wie in holprigem, umwegsamem Gelände, beschwerlich zu gehen, ohne Aussicht auf das jeweils nächste Wegstück, ohne Ahnung, wohin der nächste Schritt am besten zu setzen sei.
Am liebsten würde ich fliegen, würde schwebend über ein Stück des Weges kommen, oder es wenigstens überblicken. Doch das geht nicht, da kann ich noch so sehr mit dem Fuß aufstampfen, ich kann das Beschwerliche nicht aus der Welt schaffen, auf die Schnelle schon gar nicht. Und solange das so ist, hangele ich mich von festem Tritt zu festem Tritt, von Moment zu Moment, genauer: von gutem Moment zu gutem Moment.

Diese Woche in der Ferne etwa, die mir anfangs nur lang und unaushaltbar schien, die ist plötzlich, wenn ich nur genau hinschaue, voller kleiner Jetzt-Momente, an denen ich mich entlanghangeln kann, die mir Halt geben:

Wie an einem nebligen Schneeregentag plötzlich die Sonne durch ein Wolkenloch bricht und helles Weiß unter Himmelsgrau leuchten lässt.

Wie die Tochter vor der großen Skihütte sitzt und ein riesiger Hund vor ihr auf dem Boden liegt, beide ganz versunken - sie im Streicheln, er im Gestreicheltwerden.

Wie ich auf dem vertrauten Weg ins hintere Tal steige und dort plötzlich ganz allein sein darf, mit mir, mit der Schneestille, mit dem Himmel über mir.

Wie wir unseren Freund treffen, den wir vor Jahren genau hier im Ort kennengelernt haben, und mit ihm intensive Gespräche übers Krankwerden, Heilen, Annehmen und Helfen führen.

Wie die Tochter mit ihrem kleinen Freund draußen im Schnee tobt, rotbäckig strahlend hineinkommt und ich kurz denke, sie ist nochmal 4 :)

Wie ich im Wald die Holzstapel entdecke und in den vielen Baumstammgesichtern Geschichten lese.

Wie mich das Telefon immer wieder über 1000 km heimwärts bringt.

Wie ich viele Stunden ruhig da sitze, lesend, schreibend, träumend, suchend.

Wie mir ab und zu wärmende, nährende, geborgenheitsspendende Gedankenfetzen zufliegen.

Wie sich mir immer wieder Nebelbilder zeigen, mit Wegen, Seilbahnen, Straßen und Bergrücken, die in der Unsichtbarkeit verschwinden, aber doch - das weiß ich - dort im scheinbaren Nichts weitergehen, und ich darüber nachsinne, dass das mit unseren Wegen ja möglicherweise ebenso ist.

Aus all diesen Momenten lässt sich doch eine Straße bauen? Oder ein Weg pflastern? Quer durch das unwegsame Gelände aus Sehnsucht, Unsicherheit und Traurigkeit lässt sich doch darauf weitergehen, irgendwie?

Montag, 8. Februar 2016

Von Brücken und Furten


Erst nehme ich sie gar nicht wahr, die Frage auf dem kleinen Blättchen, das hier im Hotel ausgelegt ist. Es geht darum, welcher "Waldtyp" man sei. Wenn man etwa an einen strömenden, tiefen Bach komme, ob man dann
a) viele Kilometer bis zu einer sicheren Brücke laufe,
b) sich einen Übergang aus Steinen quer durch die Strömung lege, auf dem man irgendwie versuche ans andere Ufer zu kommen, oder
c) am selben Ufer bleibe, um sich dort - notgedrungen, oder die Situation akzeptierend - einzurichten.
So etwa übersetze ich mir die italienischen Optionen. Und denke spontan b). Ganz klar b): Ich versuche, mit allen Mitteln, die ich zur Verfügung habe, hier und jetzt auf die andere Seite zu kommen. Ohne leichtsinnig zu werden, vertraue ich doch auch wackligen Steinen. Wenn die Füße nass werden sollten, kann man die Schuhe trocknen. Wenn ich abrutschen sollte, kann ich mich mit den Händen abstützen. Zur Not auf allen Vieren, irgendwie werde ich ans andere Ufer gelangen.
Früher, als wir durch bulgarische und sibirische Berge wanderten, in Gegenden, die außer von uns wohl nur von wenigen Menschen betreten wurden, da kamen wir öfter an urwüchsige Bachübergänge. Auf Brücken durfte man dort nicht hoffen, auf gangbare Furten auch nicht. Daher bauten wir uns unsere eigenen Übergänge. Und es ging immer gut. Immer kamen wir ans andere Ufer. Ein bisschen nass vielleicht, aber das machte nichts.

Heute Nacht dann dieser Traum. Ich muss mit dem Fahrrad durch einen Fluss. Es gibt keine andere Möglichkeit - weder eine Brücke noch eine flache Stelle - als mitten hindurch zu fahren. Die anderen Radler tun das auch, ich treffe und sehe mehrere, und alle kommen wohlbehalten ans andere Ufer.
So mache auch ich mich auf. Zunächst ist es flach, nur die Reifen sind im Wasser. Dann geht es tiefer. Und tiefer. Unerwartet tief plötzlich, das weiß ich noch. Bis mein Fahrrad komplett im Wasser verschwunden ist, nur noch der Lenker herausschaut. Ein Lenker aber reicht um weiterzuschieben, denke ich, und so schiebe ich. Ich habe keine Erinnerung mehr, ob es dabei nass, kalt, strömend, kräftezehrend ist. Ich gehe ganz selbstverständlich weiter, immer auf die andere Seite zu, ohne etwas zu fühlen.
Das nächste Erinnerungsbild zeigt mich am anderen Ufer. Ich habe es geschafft. Einfach so.
Nur: die beiden großen Packtaschen sind in der Strömung abgerissen. Die beiden größten Gepäckstücke mit dem größten Gewicht sind weg. Irgendwie halbherzig mache ich mich noch auf die Suche nach ihnen, gehe nach hinten zum Wehr, suche im Schilf, aber da sind sie nicht. Damit ist es dann gut. Es wird nichts Wesentliches darin gewesen sein, denke ich.

Aha, möchte ich sagen. Dort ist ja alles gesagt, in diesem Traum. Ein Kinderspiel, ihn mir zu übersetzen.
Ich muss nur mein Fahrrad mutig durch eine Furt schieben, oder aber Steine legen, um auf die andere Seite zu gelangen. Das Vertrauen aus dem Traum und von meinen Bergbachwegen mitnehmen. Losgehen und hinüberlaufen. Bis ich drüben bin.

Ach, wenn es so einfach wäre ...

Sonntag, 7. Februar 2016

Über die Geduld


Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und 
dann gebären...

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...

Man muss Geduld haben
mt dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich, 
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

(aus einem Brief von Rainer Maria Rilke "an einen jungen Dichter¨)

Freitag, 5. Februar 2016

im Januar


(Ich gebe es auf, ich richte mich damit ein, und das ist wahrscheinlich sogar gut. Nämlich dass es mir in diesem Leben, na: in diesem Blog jedenfalls, wohl nicht mehr gelingen wird, pünktlich zu sein. Nicht bei selbstverursachten Terminierungen wie etwa dem Wunsch(?), genau zu Monatswechsel zu schreiben. Nicht bei Anlässen, die dringlich schreibendes Reagieren nahelegten und mich damit in langandauerndes innertextliches Verharren ohne Finale (=Textprodukt) werfen. Nicht bei der Aufarbeitung von Vergangenheiten irgendwo zwischen Radreisen und Familiensachen.
Jedenfalls: Ich gebe es auf. Die nächste Stufe wäre jetzt, die entschuldigende Vorrede auch noch wegzulassen. Für heute setze ich sie erstmal ganz klein. In der Hoffnung, dass Menschen mit schwerlesenden Augen genug technische Hilfsmittel beherrschen, um sich die Schriftgröße altersgerecht:) hinauszuzoomen.)

den Monat und das Jahr mit ein paar kranken Tagen, Schlappgefühl und Halsweh begonnen, die noch aus dem alten Jahr herüberragten; trotzdem aber war mir im Innern heil und hell zumute - an den Kranktagen und danach, den Monat hindurch und darüber hinaus, immer heiler, immer heller, ja ...
*
Schule und Arbeits langsam angehen können, weil wir zunächst einen Drittelmonat Schulferien hatten, dann aber umso heftiger starten mussten:
mit 120 Klassenarbeiten, Korrekturen, mündlichen Noten und Zeugnissen,
mit Konferenzen am laufenden Band,
mit einem fast doppelten Klassenlehrerjob, da mein Coklassenlehrer ausfiel,
dabei mit viel Unterstützung durch meine Chefs, immerhin,
und mit einem Neustart am anderen Dienstort (der meine Für-mich-Zeitfenster wieder kleiner werden lässt, ich muss zusehen, trotzdem in der Ruhe zu bleiben)
*
irgendwann hatte der Korrektur- und Notenmarathon ein Ende, und ich verbrachte das letzte Wochenende des Monats auf einem einsamen Gehöft mit zwei (wenn auch leider nicht drei) wunderbaren Menschen, in Innen- und Außenfeuerherzensgespräche eingewoben
*
und Musik gab es - wie immer in unserem Hause, wie immer in diesem Monat zumal: beide Kinder spielten wieder bei Jugend musiziert,
und ich hatte erstmals den Eindruck, dass ich mich emotional nicht mehr so stark hineinhänge, nicht mehr fürs Üben so sehr verantwortlich fühle - ein sehr gutes, befreiendes Gefühl,
umso besser (! - ja, doch: das könnte so stimmen) gelang beiden ihr Vorspiel; der Sohn darf jetzt noch weiterüben, da es eine Runde weitergeht
*
Was noch?
Ach, ich könnte, wenn ich's denn hier erzählen würde (was ich aber nicht tue), noch einen Roman anfügen. In dem spielen Telefone, Briefpapiere, Krankenhäuser, Zahnärzte, Fotoapparate, Kopfhörer und weitere marginale Alltagsgegenstände wichtige Rollen. Die Hauptrollen aber ... ach, ich wollte ja nicht erzählen. Deswegen bleibt hier nur stehen: Die Hauptrollen spielen drei Pünktchen, noch unausgefüllt.

Donnerstag, 14. Januar 2016

12 von 12 im Januar


Es war ja klar. Mich hat dieses 12 von 12 im Dezember begeistert, dieses Herzeigen von 12 Bildern aus meinem Tag. Aber ich dachte mir damals schon, wie das wohl gehen mag, an einem "echten" Tag, an einem, der so voll ist wie mein ganz normales Leben eben oft ist. Da ist nicht Platz für 12 Fotos, nicht Platz zum Drüberschreiben.
Und dann ... habe ich mir die Kamera gestern doch ins Tagesgepäck gesteckt. Ich brauche halt zum Aufschreiben noch den Folgetag. 12 von 12 im Januar in der unpünktlichen Variante für berufstätige Mütter.

Um halb sechs klingelt der Wecker, das ist Absicht. Nun, vermutlich werden die meisten Wecker mit Absicht gestellt. Ich meine: Die frühe Uhrzeit ist Absicht. Die Kinder müssen erst eine Stunde später raus, ich möchte diese frühe Stunde für mich allein. Seit Jahren nehme ich mir die, fülle sie wie es gerade passt. Im Moment mit Lesen.


Halb sieben wecke ich die Kinder, sie stehen auf und pubertieren dabei grummelnd durchs Haus, eine dreiviertel Stunde später sind sie weg, ich denke "puh" und habe bis zu meiner eigenen Abfahrt eine reichliche Stunde. Dienstags muss ich nicht in die Schule, sondern an meinen anderen Dienstort. Heute erstmals wieder nach halbjähriger Pause; ich erinnere mich kaum noch, wie es geht. Vermutlich aus diesem Grund war ich schon am Vorabend fertig vorbereitet. Die Zeit bis zur Abfahrt fülle ich mit Schulvorbereitungen für Mitwoch. Ja, da auf dem Boden, das ist noch sehr durcheinander. Bis zum Mittwochsunterricht sind ja auch noch 23 Stunden Zeit.


Nebenher fülle ich Gepäckstück um Gepäckstück für meinen Tag. Erschreckt sehe ich am Ende den Berg. Das Große ist das Tochtercello. Sie kann es am Nachmittag schlecht selbst in die Stadt schleppen (wegen ihrer Minikörpergröße), also nehme ich es schon mit. Rechts vorn steht die Schultasche (die auch dienstags so heißen darf), links vorn die Fototasche (die nur heute mitdarf). Dahinter der Kaffee-Tee-Kekse-Korb, wir können ohne das dort nicht leben. Im Beutel davor für alle Fälle ein Wasserkocher, weil - wer weiß - irgendwer während meiner Abwesenheit die für Heißgetränke nötige Technik entwendet haben könnte. Im orangefarbenen Beutel all das Zeugs, das vorhin noch auf dem Boden lag; könnte ja sein, dass ich unterwegs zum Weitermachen komme. So habe ich dienstags schon oft gedacht, man gibt ja nicht auf.


Im Auto am Fluss entlang ist Pause, gefühlt.
Eine ruhige halbe Stunde, Musik.


Kurzer Boxenstopp am Supermarkt, weil mir die Keksvorräte für eine ganze Gruppe dürftig erscheinen. Und weil er viel fotogener ist - trotz Regen - darf der Fluss aufs Bild, und nicht der olle Supermarkt.


In der Stadt angekommen, sorgt eine neue Baustelle für panische Parkplatzsuche, verzögerte Zeitplanung, hektisches Kopieren, flüchtiges Gedankensortieren. Gerade noch rechtzeitig bin im Seminarraum, puh. Sehen immer sehr nüchtern aus, diese Räume.
Kurz danach sind die Plätze belegt, fällt die kahle Hässlichkeit kaum mehr auf. Mir ja sowieso nicht, denn ich bin zweieinviertel Stunden am Routieren. Neue Gruppe kennenlernen, erste Beziehungsfäden knüpfen, Ängste und Hemmungen abbauen (auch auf meiner Seite übrigens), Atmosphäre schaffen - das ist am ersten Tag Schwerstarbeit.


Ganz plötzlich ist es eins, alle gehen, und ich sacke zusammen. Durchatmen, kurz besinnen, wer ich bin, und neuorientieren, was jetzt kommt.
Zwei Stunden bis zum Tochtertreffpunkt. Zeit für - ähm: Mittagessen? - Vergessen, großer Mist. Hier in der Ecke gibt es nirgends etwas zu kaufen. Ich darbe also bei Keksen, Kaffee und meinem Aufgabenstapel. Dokumente sortieren und ins Moodle einstellen, Sitzung nachbearbeiten, die nächsten Sitzungen vorbereiten, solange die Gedanken und Ideen dafür sowieso in meinem Kopf sind. Und kopieren. Man kopiert sich ja so durch sein Lehrerleben ...


Ich bin im Flow, verpasse die Zeit. Arme Tochter. Während ich das Auto zur Musikschule bringe und ihr mit der Straßenbahn entgegenfahre - sie soll heute das Umsteigen am großen Platz mit mir üben und es ab nächste Woche allein schaffen - realisiere ich, dass ich zu spät komme. Handy raus und anrufen, dabei Ticket vergessen zu kaufen, einsteigen, und - upps: ich fahre gerade schwarz. Diesen Nervenkitzel halte ich genau zwei Stationen durch, dann steige ich aus. Ich kann das nicht. Ich muss ein Ticket kaufen, die Bahn ist natürlich weg. Nuja, wo wir eh schon zu spät sind.


Das geduldige Kind wartet regennass und fröhlich, und ich habe auch plötzlich gute Laune. Darf ich doch einfach mit ihr am Straßenbahnfenster durch die graue Stadt fahren. Grau ist ja manchmal nur äußerlich.
Vermutlich waren dies die ruhigsten 10 Minuten meines Tages, da in der Bahn. Denn während ich der Tochter noch zusehe, wie sie ihr Cello in die Musikschule schleppt - da, ganz klein, rechts vom Tor - ...


... und wie ich mich einmal kurz umdrehe und den baumverzierten Himmel über dem Parkplatz fotografiere ...


 ... da klingelt der Sohn durch. Er muss - keine zwei Kilometer entfernt - von Ort A nach Ort B, hat wenig Zeit zwischen seinen Terminen, und seine Bahn kommt nicht. Hm. Ich erwäge kurz, die Sache mit dem Auto in die Hand zu nehmen, winke diese hingenuschelte Idee aber schnell ab, bevor er sie aufgreifen kann - im Berufsverkehr ist dies ohnehin Quatsch - und dirigiere ihn telefonisch auf Alternativrouten. Gut erklären kann ich ja, sagen meine Schüler.
Jedenfalls: mir reicht's. Ein Café als Rettung, ich weiß gar nicht, ob ich Brötchen oder Klo dringender brauche. Tee offenbar scheint das Unwichtigste zu sein. Sonst hätte ich den Beutel nicht gedankenverloren mit Schild und viel zu spät hineingeworfen. Die blasse Farbe spricht Bände. Egal.


Die Tochter kommt nach verkürzter Probe zu früh aus der Musikschule - uff, ich hatte doch gerade meine freien 20 Minuten:( - der Sohn muss eingesammelt werden, Berufsverkehr und Dunkelheit auf dem Heimweg, Abendessen, Kinderschuldinge, die immer abends erst aus den Taschen kriechen, und - als dann endlich beide im Bett sind - die Erinnerung, dass ich für morgen früh noch lange nicht alles fertig habe... Naja, ich bin sie gewohnt, solche Tage. Schaffe es, noch einmal zwei Stunden durchzuziehen und darf dann die Schultasche packen.
So sieht es in ihr aus.


Und ehrlich: Ganz so ist nicht jeder meiner Tage. Das wäre nicht auszuhalten. Von Zeit zu Zeit aber, ja, doch  ...

Andere 12-von-12-Einblicke gibt es hier.

Montag, 11. Januar 2016

Ferienbrücke


Der erste Ferientag ist immer auch ein letzter Schultag.
Ich sehe uns da noch durch die Gänge hasten, Broschüren, Unterschriftenlisten, Klassenarbeiten, Januarplanungen, tausend Zettel verteilen, ausfüllen, besprechen, abgleichen, kopieren, tackern, abheften. Es ist gar nicht lange her.
Wie wir dann aus der Unruhe heraus auf die Dienstbesprechungsstühle sinken, sehr persönliche Worte vom Chef hören, ins alte Jahr hineinerinnernd, ins neue hinausblickend. Und dass wir nun alle in den Ferien auftanken sollten.
Wir beginnen damit umgehend, mit einem Glühwein vor dem Lehrerzimmer, als Schritt über die Ferienschwelle. Die Lieblingskollegin hat sich wegbeworben, das überrascht mich nicht, und es tut weh. Ich bin noch stiller als sonst. Die umherschwirrende Fragerei Was machst du in den Ferien, fahrt ihr weg, hast du schon alles fertig für Heiligabend? geht mich kaum etwas an. Wunderbare Kollegen sind es, mit denen ich zusammenarbeite, aber in den Ferienwelten trennen sich unsere Wege. Da sitze ich schon jetzt ein wenig fremd im Raum.

Irgendwann gehen wir nach Hause, mit Korrekturenstapeln unterm Arm und noch nicht verebbter innerer Unruhe. Die ersten Ferienstunden leiden unter der angespannten Erwartung, die ich ihnen aufbürde. Das ist ja immer so. Niemals falle ich sofort in die Ferien und fühle mich befreit. Ein Übergang will Weile haben. Ich nutze diese Stunden für Schreibtischarbeit. Etwa, die Unterlagenstapel des Schuljahres 14/15 aufzuräumen. Liegen ja lange genug hier herum.
Irgendwann - es ist kurz vor Heiligabend - wird es Zeit, mich von der Schreibtischarbeit loszueisen. Ich muss dies konsequent und abrupt tun: Tisch leerräumen und ein Puzzle auf ihm ausbreiten.


Ja, meine jahrzehntealte Weihnachtsferientradition - ich baue tagelang riesige Puzzle zusammen - hilft wie immer, die Schule für den Moment hinter mir zu lassen. Diesmal entsteht auf dem Tisch ein Blick in eine Mittelmeerwelt; er ist mir zu bunt. In einem anderen, größeren Bild setze ich eine Weltkarte zusammen. Sehr symbolisch, sinniere ich. Teile und Teilchen des alten Jahres, welche sich über den Jahreswechsel hinweg allmählich zu einem Ganzen zusammenfügen werden.


Mit dem Puzzle auf dem Tisch breitet sich Ruhe in mir aus. Das Gefühl rastloser Enge wird an den gedanklichen Rand gedrängt, und ich seufze. Durchatmen gebiert zuweilen tiefes Seufzen. Und Leere. Ich weiß gar nicht, wie viele der ersten Ferienstunden ich einfach nur dasitze. Auf dem Sofa, auf dem Boden, selbst im Auto, vor dem Aussteigen. Mit Kerzen, abends mit Wein, mit Stift in der Hand, und ohne. Ohne alles, nur mit mir selbst.

Die Weihnachtstage kommen und gehen, ich werde krank. Kaum hat jegliche Spannung nachgelassen, setzt mein Körper ein Zeichen, zieht mich in die Waagerechte, tut weh, hustet, niest, fühlt sich zittrig an. Polstert die Welt mit Watte aus, bettet mich in eine dumpfe Höhle. Der Körper nimmt sich sein Recht, nach all den vergangenen "gesunden" Monaten, in denen ihm außer Funktionieren nichts gestattet war.
Ungeduldig und zähneknirschend gestehe ich ihm dies zu, brauche ein paar Tage, bis ich es zu genießen beginne. Ja, doch, genießen, auf eine Art. Körperliches Ruhiggestelltsein als Beet, als Nährboden für frisch aufknospende Kräfte. Geist und Seele dürfen wach sein und unbeirrt wandern, suchen und sich sehnen, während der matte Körper mich davon abhält, mich erneut dem Hasten auszusetzen.

Und irgendwo dort, in meinen Krankseinstagen, muss sich mir ein gewaltiges Kraftreservoir aufgetan haben. Ich merke es beim Auftauchen aus dem Fieber, während ich mich schon dem Ferienende nähere. Später als sonst, langsamer auch, gehe ich es an. Nicht - wie geplant - schon letzten Montag, nicht mit diszipliniert abgearbeiteten Pensen, sondern allmählich, in einem verträumten Tempo drifte ich durch die Aufgabenberge und singe dabei innerlich. Meine üblichen Arbeitswutanfälle sind diesmal kurz, die zugehörige innere Erstarrung bleibt ganz aus.
Und nein, ich schaffe bis zum ersten Schultag nicht alles, lang nicht alles, starte mit großen Überhängen auf der To-do-Seite in den ersten Schultag.

Vielleicht ist es aber gerade das, was sich jetzt gut anfühlt: ein Stück Selbstdisziplin und Strukturiertheit abgeschüttelt zu haben, für dieses eine Mal?
Als ich mit einer viel jüngeren Kollegin, die ähnlich durchorganisiert und perfektionistisch wie ich durch ihr Berufsleben marschiert, eine warme Neujahrsumarmung austausche, sprechen wir über unseren Begriff von "guten Ferien", von "gut" allgemein.
"Nicht gut", sagt sie, "weil ich nicht alles weggeschafft habe."
"Das kenne ich", sage ich, "und doch war es diesmal bei mir anders, dieses 'gut'."
"Oh", sagt sie, "ich möchte von Deiner Weisheit etwas abhaben."
Sie zwinkert dabei, und ich zwinkere auch. Und doch wissen wir beide, dass wir hier einen wahren Kern gestreift haben.

Der erste Schultag ist immer auch ein letzter Ferientag.
Wenn ich heute lockere, witzige, wortgewandte Stunden halten, offen (und vielleicht strahlend?) in Schüleraugen blicken, mich im Lehrerzimmer an Dutzenden Umarmungen erfreuen und dabei sogar dieses hingeknallte "Frohes Neues!" tapfer ertragen konnte, dann blitzen hier deutlich meine Ferien in den ersten Schultag hinein. Das Durcheinander mit all den Zetteln, Absprachen, Plänen und Vorbereitungen ist ein ähnliches wie am letzten Schultag, nur ich bin eine andere. Ich gehe mitten hinein in die Gespräche, mit der Referendarin über ihre Lehrprobenängste und die Bedrängnisse der abzugebenden Prüfungsarbeit, mit dem Seminarkollegen über Planungen und Nichtplanungen, mit dem Coklassenlehrer über seinen sterbenden Vater und seine Misskommunikation mit den Eltern unserer Klasse - beides -, mit der Parallelkollegin über unsere Zeitnöte und all das, was eigentlich schon bis vorgestern fertig gewesen sein sollte und wir jetzt irgendwie aus dem Boden improvisieren müssen. Für all das kann ich  mich heute öffnen, so zwischen Tür und Angel der Unterrichtsstunden, weil ich mich von der Vorferienerschöpftheit erholt fühle.

Es ist wirklich unglaublich, wie sich ein letzter und ein erster Schultag unterscheiden können. Wieviel Energie einem die dazwischenliegende Ferienbrücke zu schenken vermag. Ferienzeiten als Geschenkezeiten. Als Zu-mir-find-Zeiten. Auf so vielen Ebenen. So ist das in den Ferien.

Wünsche an ein neues Jahr


Vor einem Jahr begann ich einen Eintrag unter derselben Überschrift mit diesen Worten:
Das neue Jahr ist noch ganz jung. Seine ersten Tage gehören immer noch dem Innehalten. Dass wir erst nach dem 6. Januar mit der Schule beginnen, schenkt die Möglichkeit sanft anzukommen. Immer schon war mir ein bewusstes Hinübergehen wichtig, kann ich mich doch an sehr viele erste Januartage meines Lebens erinnern, an die mit ihnen verbundenen Gedanken, an die Weisen, wie neue Jahre begonnen haben, und auch an gute Vorsätze, natürlich.
Wie aber bei anderen Menschen auch: Gute Vorsätze scheiterten. Das muss vielleicht so sein, wenn man seine eigenen Schritte in dieser frischen noch unberührten Jahresschneedecke mit Erwartungen und Bemühungen und Vorstellungen überfrachtet. "Von nun an soll meine Spur gerade verlaufen, oder eben in besonders schönen Kurven – von nun an hebe ich die Füße mehr und schlurfe nicht mehr – von nun an ändere ich meine Schrittweite so, dass ich nicht mehr außer Atem komme – von nun an trete ich kein einziges zartes Pflänzlein mehr tot, und keine Fliege – von nun an führe ich meinen Weg in Bögen sowohl an kraftspendenden als auch an dürstenden Orten vorbei – von nun an laufe ich richtig …"
Ich glaube, solche Vorsätze können uns nicht daran hindern, weiterhin falsch zu laufen. Ich jedenfalls werde auch in näherer und fernerer Zukunft schlurfen, torkeln, trampeln, irren … müssen. Und dürfen. Ja, es gibt vielleicht nur einen einzigen lebbaren Vorsatz: Ich nehme mir vor, mir diese meine Gangart in all ihrem Ungeschliffensein zu erlauben. Und selbst hier ziehe ich sofort zurück: Mein innerer Richter wird nicht lange auf sich warten lassen. Muss ich denn nicht auch ihm gestatten, weiterhin so durch mein Leben zu ziehen wie bisher? (Mit meinem inneren Richter kenne ich mich zu schlecht aus, um hierauf eine Antwort zu haben.)

So also stehe ich vor dieser unberührten Jahresfläche, die zu beschreiten ist, und halte inne. Ich werde meine Spuren setzen, sie werden weiterhin nicht meiner Vision und keinem Ideal der Welt entsprechen, ich lasse diese Illusion los. Aber ich darf mir etwas für sie wünschen. Ich darf mich bereit machen, darf Hoffnungen leben, darf mich der Bequemlichkeit entziehen und der Veränderungsarbeit aussetzen – und dann Wünsche an meine Schritte, an mein Gehen in diesem neuen Jahr richten.

Ein Jahr später stehe ich wieder vor einer unberührten Jahresfläche, und es geht mir ganz genau so. Nur meine Wünsche, die ganz konkreten, die haben sich ein wenig verändert. Die damaligen, die finden sich hier. Ich möchte jetzt überhaupt nicht auseinandernehmen, welche erfüllt, welche offen geblieben sind. Ich schreibe einfach von meinem diesjährigen Wünschen.

Ich wünsche mir gesund zu bleiben. Immer noch wünsche ich mir das. Das "oder zu werden" des letzten Jahres kann ich weglassen. Wie gut es sich anfühlt, dies schreiben zu können. Ich spüre mich als gesundet, fast rundum. Sehe aber - ich muss mich nur ein wenig umschauen -, wie schnell sich das ändern kann.

Ich wünsche mir, dass es mir gelingt, mich meiner Bedürfnisse anzunehmen. Was so einfach klingt, so einfach sein könnte, für andere ja auch einfach ist, das ist für mich oft unendlich schwer. Bin ich dabei weitergekommen in diesem Jahr? Ich weiß es nicht. Ja, doch, ich fühle mich von innen nicht mehr so zernagt. Ich glaube, ich bin mir bewusster geworden, wohin es mich zieht, dürstet, drängt, sehnt. Was nun fehlt? Worte zu finden. Noch nichtmal an konkrete Adressaten gerichtet, sondern zunächst einmal überhaupt meinen Mund verlassende Worte. Klare oder verschwommene Worte, egal, für den Anfang.
So viele Situationen, in denen ich mich nicht um mich kümmere - ich wünsche mir, dass ich fürsorglicher mit mir selbst umzugehen vermag, dass ich offen kommuniziere, was ich brauche, dass ich mich nicht verkrieche hinter einem dauernden "ach, es wird schon so gehen".

Ich wünsche mir auch die Bedürfnisse anderer Menschen wahrnehmen zu können. Bei einigen der mir nah Seienden ist das gar nicht so einfach. Gern würde ich Geduld, Gelassenheit, Ausdauer, Humor und all das, was für dauerhafte gute Beziehungsfäden nötig ist, in Überfülle haben. Das ist ja aber wohl zu vermessen gewünscht, und darum wünsche ich mir einfach ein bisschen davon.

Ich wünsche mir immer noch mehr Begegnungen. Das letzte Jahr war schon nicht schlecht, hm, genaugenommen war es großartig gut, was Begegnungen angeht. Aber es gibt Momente, wo ich mich ungut einsam fühle. Ich würde gern weniger verloren, weniger fremd durch mein Leben reisen. Das ist natürlich nicht damit getan, dass ich einfach mehr Menschen treffe. Eher sollte ich versuchen zu lernen, in jeglichen Kontakten nicht so viel Kraft aus mir ziehen zu lassen, nicht so viel negative Energie in mich dringen zu lassen, innerlich frei zu bleiben, auch in schwierigen Kommunikationssituationen. Begegnungen, die keine mehr sind, mit offenen Worten abzubrechen. Und dann: bei neuen, wirklichen Begegnungen mich hineinzugeben und demütig das zarte Pflänzchen zu nähren.

Ich wünsche mir Unterwegssein. In Form von Reisen, von offenem In-die-Fremde-gehen. Neugier wünsche ich mir, und unängstliches Zugehen auf neue Situationen. Und auf mich selbst zu. Ja, mein Unterwegssein als stetige Reise zu mir selbst zu begreifen, das wäre nicht das schlechteste Reiseziel.

Ich wünsche mir - immer noch - mehr loslassen zu können. Selbstgestrickte Terminkorsetts, selbstaufgebürdete Verantwortungen, selbstgeschaffene Erwartungen, all das.
Besonders dringlich scheint mir mein Umgang mit der Zeit. Meine To-do-Listenobsession kommt fast schon als Gegenwartstötung daher. Permanent rutsche ich in Unbehaglichkeitsgefühle, weil das Zukünftige schon vor seinem Eintreten übervoll, ja, nicht zu bewältigen scheint. Meine Listen sind nie "abgearbeitet", so als ob mich das Gefühl nicht alles zu schaffen, stets nicht zu genügen, nicht ausreichend schnell zu sein, magisch anziehen würde. Was verschafft mir denn solche Befriedigung beim Auflisten meiner Aufgaben, warum führe ich mir das Zuviel so beharrlich vor Augen? Ich sollte vielleicht von To-do- auf Done-Listen umstellen. Oder überhaupt keine Listen mehr führen. Jedenfalls wünsche ich mir, dass Daten und Termine weniger Macht auf mich ausüben. Dass ich nicht so häufig über die Gegenwart hinausdenke, dass ich im Jetzt der Zeit die Weite des Raumes dankbar erfahre. Vielleicht schaffe ich es sogar, mein Morgenstille-Ritual wieder einzuführen? Vielleicht schreibe ich wieder mehr?

Ich wünsche mir mehr vom Schneegefühl. Was ich, glaube ich, erklären muss. Schnee schenkt mir im selben Moment Jungsein mit kindlicher Freude - der Schneeball formt sich sozusagen von allein in der Hand:) - und Altsein, was ich als den Frieden einer besänftigenden Decke erfahre. Zwei Sehnsüchte werden gleichermaßen genährt, in einem Atemzug. So müssten alle meine Tage verlaufen: in einem Bogen vom Geborenwerden durch die erst noch zu formende Form hindurch in ein besänftigendes Ende mündend. Und dann würde ich leise hoffen, dass mir solche Schneegefühlstage klarere Formen und eine deutlichere Antwort auf die Frage mitbringen, worin meine Lebensenergie aufgehen soll.

Und ich wünsche mir etwas, was scheinbar gar nicht zu mir passt: mehr Mut zu Verrücktheiten, zu Unvernünftigem, zu Ungewohntem, zu Dingen, die "man" nicht tut.

Hm, eine lange Liste.
Manches kann ich durch eigenes Tun und Sein und Gehen und Innehalten beeinflussen. Trotzdem mag ich auch diese Dinge eher als Wunsch denn als Vorsatz lesen. Ich möchte sie jedenfalls - sollten sie zu mir kommen - als Geschenk empfangen, in Demut.

Dienstag, 5. Januar 2016

Zurückerinnert in ein reiches Jahr


Ja, ich bin zu spät. Die letzten Tage lag ich so erkältet und mit matschigem Kopf im Bett wie lange nicht. Aber auch ohne dies ist die Verspätung dieses Blogeintrags passend, ist doch eines der mich umtreibenden Themen, derzeitig besonders, ein anderer Umgang mit selbstgeschneiderten Terminkorsetts. Nichts anderes ist es, wenn einem das Kalenderdatum zum Zwang gerät. Besser wäre es doch, hier einfach sagen zu können: Ganz gleich ob am 31. Dezember oder am 2. Januar oder am 37. Juni - ich danke für ein vergangenes reiches Jahr. Und dafür, dass ich dies jederzeit, auch heute, am 5. Januar, tun darf.

An seinen letzten Tagen streifte ich - wie immer - gedanklich im vergehenden Jahr umher. Ließ meine Blicke durch Fotoordner, Tagebuch und Blogeinträge wandern, nahm den Familienplaner von der Wand und blätterte, ebenso im Taschenkalender. Ein Kaleidoskop des vergehenden, nun vergangenen Jahres kam zu mir zurück. Es entfaltete sich vor mir mit all seinen Schätzen, seiner Weite, seiner Fülle.
Ich staune. Ja, ich möchte danken.

Danke für mein Leben mit diesen wundervollen Kindern, immer und immer wieder ...
... wie jedes auf seine Art, auf sehr eigenen Füßen durchs Leben geht und zuweilen mich sanft an die Hand nimmt, so dass auch ich neu schauen und meine Schritte anders setzen kann ...
... wie der Sohn voll in die Pubertät eingetaucht ist (inklusive Schlafen bis 2 und größtenteils liegendem Absolvieren der Tagesstunden:)) und wir trotzdem nicht den Beziehungsfaden verloren haben, nach jedem - beiderseitigem - Laut- und Ungeduldigwerden wieder aufeinanderzu gehen können und uns eine neue Form der Nähe erarbeiten ...
... wie die Tochter ihren Schulwechsel mit jauchzender Freude bewältigt hat, neue Freiheiten und Möglichkeiten gustiert, in ungeahnter Selbstständigkeit zurechtkommt (und auch ich - bei Kind2 nun also - lerne loszulassen, mich nicht mehr so sehr für ihr Lernen verantwortlich fühle und es darum umso besser läuft) und - das Wichtigste - endlich in einer Klasse gut angenommen ist, neue Freundinnen gefunden hat, sich verabredet, übernachtet, Geburtstage feiert, all das, was manche Kinder immer schon haben und hatten, darf sie nun auch erleben.

Danke für die Menschen, die ich als Geschenk auf meinen Wegen erleben darf ...
... für nahe und fernere Freunde, mit denen wir häufig oder selten zueinanderfinden ...
... für neue Menschen hier im Ort, die wir erst in diesem Jahr kennengelernt haben und mit denen es spontan so herzlich warm ist, dass wir uns auf mehr freuen dürfen ...
... für innige Begegnungen in diesem Schreibraum; in diesem Jahr sind kostbarste Fäden hinzugekommen, die weit über das Virtuelle hinausreichen.

Danke für meine Arbeit, in der ich mich nach wie vor im schönsten Beruf der Welt wähne ...
... für die täglich geschenkte Lebensfülle der jungen Menschen, die ich im Aufeinanderzugehen sehen darf ...
... für meine in jeder Hinsicht herausfordernden 10. Klassen, mit denen wir noch Berge besteigen müssen, dann allerdings zum Ende des Schuljahres - als Belohnung? - gemeinsam nach Berlin fahren dürfen ...
... für die Fragen in den Augen der 7t-Klässler, für die sie kaum Worte finden können, und für meine Ideen, die mir hin und wieder kommen, so dass manchmal ein "Ach so" aus Schülermund und -augen mich ganz demütig macht ...
... für unser Lehrerzimmer voller Kollegialität, Hilfsbereitschaft und Lachsalven, und für meine Schulleitung, die nach wie vor und immer noch mehr die beste der Welt ist.

Danke für mein Unterwegssein ...
... für mehrere lange Radl-Alleinreisen, erstmals mit Zelt, mit noch intensiverem Draußenleben, an den frühlingskalten Mecklenburger Seen vorbei, sommers entlang der Ehemalsgrenze, und dann im herbstlichen Bayern  ...
... für Reisen in den italienischen Schnee, nach München, nach Hamburg, nach Berlin, zu einem wiederum belebenden Klassentreffen, auf ein einsames Gehöft (das an jenem Wochenende alles andere als einsam war) ...
... und nicht zuletzt für die Wege rund um unser Dorf.

Danke für die viele Musik hier in unserem Hause ...
... wie die Kinder sich im Musizieren zu Hause fühlen, sich in immer neue Projekte stürzen, beglückt von Musikwochen zurückkehren, immer wieder gutgelaunt in ihren Unterricht gehen und von ihren Lehrern zurückkehren ...
... dass wir nun das schwierige Thema des Klavierlehrerwechsels beim Sohn angegangen sind, mit hoffentlich erfolgreichem Ausgang ...
... und auch wieder für unser Wettbewerbsdurchleben (wobei es dieses Jahr an unsere Grenzen ging, weil beide Kinder zum Landeswettbewerb und der Sohn wiederum zum Bundeswettbewerb fuhr; uns allen wurde spätestens dort bewusst, dass die Kinder unbedingt vor der Ehrgeiz- und Erfolgsfalle zu schützen sind, zumal beide dies selbst aus dem Bauch heraus signalisieren).

Danke für jeden Moment, in dem ich bei mir sein durfte ...
... schreibend, lesend, fotografierend, Klavier spielend, Dinge betrachtend, staunend, atmend, sitzend, einfach nur da sitzend ...
... insbesondere für die Ruhe, welche sich im letzten Vierteljahr in mir ausbreitete, da ich meine Teilzeitfreiheit vor allem dafür nutzte, alles langsamer anzugehen.

Danke auch für all das, was in diesem Jahr fehlte. Es wäre, schriebe ich es auf - wie vielleicht bei jedem Menschen? - eine lange Liste.
Wie letztes Jahr schon schreibe ich mir dies dazu:
"Die wesentlichen Dinge kannst du nicht machen, sondern nur empfangen. Aber du kannst dich empfänglich machen!"
(aus Martin Schleske: Der Klang)