Montag, 23. Januar 2012

seufztraurig

Manche Elterngespräche hinterlassen einen in dem Bedürfnis, das Kind einfach nur in den Arm zu nehmen und die Eltern einfach nur zu rütteln.
"Da können wir wohl nicht mehr machen", sagt die Kollegen zu mir, und ich zur Kollegin, als wir tief atmend wortlos wieder im Lehrerzimmer stehen.
Nein, können wir nicht. Denn weder in den Arm nehmen noch rütteln gehört - über das Verbale hinausgehend - zu unseren Befugnissen.
Und dann sehe ich den Bergab-Weg dieses Kindes vor mir ...

Sonntag, 22. Januar 2012

Impressionen aus der Arbeitsamkeit

Euch einen Blick durch die Luke meines Klausurdaseins, mir ein kleines Stündchen Schreibens gönne ich ...

Zunächst:
Das Neue - es ist überwältigend wie für mich geschaffen. (Oder umgekehrt?)
Das vorab. Es erfüllt und befriedigt und befriedet mich.

Und dann:
Es ist viel. Sehr viel. Zum Nichtschaffen viel. Schenkte man mir für dieses erste Jahr einen Schaltmonat - ich würde die erste Woche, oder gleich zwei, jetzt und hier und heute verbrauchen. Eine Woche wüsste ich sofort zu füllen, mit Dringlichlistendingen, ohne dass das äußere Leben weiterläuft und immer neue Dringlichlisteneinträge produziert. Und den Rest des Monats könnte ich im Laufe des Jahres vermutlich auch locker mehrfach verwenden ... so viel ist es.
"Zum Nichtschaffen", schrieb ich oben. Ja. Ich werde Perfektion abbauen, Laissezfaire erlernen müssen. Anders wird es auf lange Sicht nicht funktionieren. Meine Mitternachtsschlafregel breche ich fast täglich. Arbeite den einen Tag bis 3 Uhr morgens, weil es gerade läuft, und kippe den nächsten Tag fast um, folgerichtig. So geht das nicht weiter.
Meine 24-h-Wochenendfrei-Regel muss ich aussetzen. Nicht dran zu denken, bis auf Weiteres.

Aber - um mal vom Wesentlichen zu erzählen:
Die Offenheit in den Gesichtern. Gespannte Erwartung. Der meinen verwandt - das passt!
Der Kollege, der freigebig alles - ALLES - teilt, was er je erarbeitet hat, Unterstützung auf allen Ebenen anbietet, und dazu so zugewandt, so herzlich-strahlend. (Das erwartet man jetzt bei nem Mathematiker nicht unbedingt ;-))
Die Abteilungsleiterin, die für das Einführungstreffen mit allen Neuen nicht nur persönlich maßgeschneiderte Mappen mit wichtigen Unterlagen vorbereitet, sondern morgens um halb sechs - wie sie sagte - auch noch ein Blech Kuchen gebacken hatte, damit wir gut zusammensitzen an unserem ersten Tag. (Wie lieb das ist ...)
Interessante Menschen, die auch neu anfangen: Die Frau, die alle Kontinente bereisen will. Die junge Physikerin, mal eben hat sie noch ein x.tes Kind bekommen, sieht aus wie 25, und hat es wahrscheinlich einfach drauf. Und eine hat lange, lange in Italien gelebt ...
Der Stellvertreter vom Chef, der einen auf dem Flur anspricht, als wäre man schon seit langem bekannt, als wäre man vor allem sehnlichst erwartet und von Vornherein in seiner Tätigkeit anerkannt - oh, das könnte auch ganz anders sein.
Herzliche Begrüßung auf den ersten Sitzungen. Unterstützung, immer wieder: "Kann ich Dir noch irgendwie helfen?"
Ausblicke und erste Einblicke in fachliche Horizonte - Gebiete, Themen, Arbeitskreise, zu denen sich jetzt die Türen öffnen für mich ... das ist irgendwie, hm, als hätte ich darauf schon immer gewartet. Da werde ich intensiv an Fragen arbeiten, die ich schon mein Berufsleben lang in mir trage. Raum für Reflexion des eigenen Tuns. Zusammenarbeit mit Kollegen, die in gleicher Weise entflammt, an den gleichen Punkten suchen und fragen und tasten - das ist schon irgendwie besonders. Sehr. Ein beruflich gemeinsames Auf-dem-Wege-sein - wie erfüllend das ist!
(Und noch eine Neuentdeckung: eine leckere Pizzeria in der Nähe meines neuen Arbeitsortes, von der ich bisher überhaupt nichts wusste ...)

Also:
Es geht mir wunderbar.
Und daran, die Räume für mich, für das Schreiben und den Schlaf, und vor allem für meine Kinder - die Armen :( - wieder freizuräumen, arbeite ich. Es wird schon werden ...

Sonntag, 8. Januar 2012

gefüllt, erfüllt

Diese Tage, diese Stunden stehen ganz im Zeichen dessen, was morgen ein bisschen und übermorgen so richtig beginnt.
Ich fühle mich wie vor meiner allerersten Unterrichtsstunde im Leben: die Sehenswürdigkeiten Moskaus, Russisch Klasse 10. Sehe alles noch vor mir ...

Bestimmt drei Wochen lang hatte ich mich vorbereitet.
Alles tausendmal bedacht, umgedacht, weggedacht, neugedacht.
Materialien erstellt, verworfen, umkonzipiert, optimiert.
Tag für Tag Kopfkino dieser riesigen 45 Minuten.

Und dann lief es --- irgendwie. Anders als gedacht. Nicht besser, nicht schlechter. Eine reale Unterrichtsstunde mit Unerwartetem, Ungeplantem, Unplanbarem. Und vor allem mit echten Schülern. (Die waren mir während meiner Vorbereitungen ja im Nebel versteckt gewesen :))

Auf wackligen Knien kam ich nach 45 Minuten raus und war einfach nur erleichtert, dass es vorbei war. Wenig später, nachmittags, als ich mich gerade in die Erschöpfung fallen lassen wollte, fiel es mir siedendheiß ein: "Oh neee, morgen ist ja schon die nächste Stunde!!!" (Dass es eine zweite Stunde geben würde, und eine dritte und so, hatte ich die drei Vorbereitungswochen lang erfolgreich ausgeblendet :))
Nächster Tag - nächste Stunde also. Diesmal ohne drei Wochen Vorbereitung.
Und es lief trotzdem :)
Und von da ab ging es, Stunde für Stunde, immer weiter, immer weiter.
Nunmehr 11 Jahre lang.

Und heute - sitze ich wieder so da. Wie damals vor meiner ersten Stunde.
Seit Wochen bereite ich mich vor.
Alles tausendmal bedacht, umgedacht, weggedacht, neugedacht.
Materialien erstellt, verworfen, umkonzipiert, optimiert.
Tag für Tag Kopfkino meiner Begegnungen der nächsten Tage.

Und dann läuft es ---- irgendwie??? Anders als gedacht??? Mit Unerwartetem, Ungeplantem, Unplanbarem??? Wieder bin ich Anfängerin, wie damals ... oder naja, nicht ganz: die Adressaten meiner Bemühungen verschwinden nicht ganz so im Nebel wie damals. Und dass es eine zweite, dritte, vierte ... Runde geben wird, blende ich diesmal nicht ganz so erfolgreich aus.



Ich bin dann mal wieder am Schreibtisch. Es bleiben noch 36 Stunden. Gut gefüllt werden die sein: Materialien erstellen, verwerfen, umkonzipieren, optimieren ...




Ach ja, und nicht ganz unwichtig:
Nicht nur gefüllt sind meine Tage. In erster Linie sind sie erfüllt.
Erfüllt - von all dem, was auf mich zukommt.
Erfüllt - von all dem, auf das ich zugehe.
Erfüllt - weil das hier ganz Meines ist.
Erfüllt - weil bei jedem Schritt durch die Vorbereitungsberge ein tiefes Ja in mir schwingt.
So ist das ...

Donnerstag, 5. Januar 2012

... wo? ... entwerde ...

Die Frage "Wo?" kann für dich zum Schleier werden. Dann gleichst du jemandem, der einen Korb voller Brotlaibe trägt und dennoch um Krumen bettelnd von Tür zu Tür zieht. Klopfe lieber an die Pforte deines Herzens! Du stehst bis zum Hals im Wasser, fürchtest dich aber vor dem Verdursten. Du bist wie eine Perle am Grunde des Ozeans, die fragt: "Wo ist bloß das Meer?" Das "Wo?" wird zu einer Wolke, die sich vor die Sonne schiebt.

...

Reiche mir den Kelch mit Deinem Wein,
Du Unsichtbarer!
Nähe ist ein dicht gewebter Schleier,
kein Wunder, dass Du mir verborgen bleibst.
Welchen Sinn soll mein Rufen haben,
wo Du mir doch näher bist als meine Halsschlagader?
Rufe gelten nur den Weitentfernten,
dem Geliebten ist das Flüstern vorbehalten.

...

Gottesnähe hat nichts mit Entfernungen oder Richtungen zu tun, sie lässt sich nicht messen. Sich Gott zu nähern, bedeutet nicht, sich nach oben oder unten zu bewegen. In Gottes Nähe befindet sich, wer dem Gefängnis des irdischen Seins entflohen ist. In Nichtsein gibt es weder "unten" noch "oben", weder "nah" noch "fern". Dort im Nichtsein triffst du auf Gott.

...

O Welt aus Wasser und Lehm, seit ich dich kenne, habe ich tausenderlei Drangsal und Kümmernis erfahren.
Du bist ein Weidegrund für Esel, nicht die Wohnstatt Jesu, warum nur habe ich dich je kennengelernt?
Wie ein Baum strecke ich meine Hände empor, aus Verlangen nach dem Einen, nach dem ich mich sehne.
Die Zweige wachsen empor, weil sie von oben kommen, ich eile meinem Ursprung entgegen, weil ich ihn kenne.
Wie lange soll ich noch von "oben" und "unten" sprechen? Meine Heimat ist die Ortlosigkeit, ich stamme von keinem Ort, denn ich weiß, woher die Orte stammen.
Nein, schweig still, entwerde im Nichtsein, werde zu Nichts, sieh, ich kenne die Dinge des Dinglosen!


(Rumi)


Plötzlich trifft man auf solches.
Ein Lichtbeben.
Ob ich wage, die Worte hier so stehen zu lassen?

Licht

Dienstag, 3. Januar 2012

zusammengezogen

Heute vor einem Jahr ist dieses Bild entstanden. Es ist mir ganz nah.



Und doch: Wenn ich mir die Zeit, die seither vergangen ist, wenn ich mir mein Jahr auf einen Punkt zusammengezogen vorstelle, sehe ich ein komprimiertes Farbenuniversum, ein unglaublich dichtes stoffdurchtränktes verwirbeltes kaum zu entwirrendes Flimmern.

Ist das immer so, wenn man aus der Ferne, aus dem Abstand schaut?

Mein Morgentext

Wenn du über die Gegensätze hinausgegangen bist, die der Verstand erschafft, dann wirst du wie ein tiefer See. Deine äußere Lebenssituation, und was immer dort passiert, ist wie die Oberfläche des Sees - manchmal ruhig, manchmal windig und rau, entsprechend den Zeiten und Gezeiten. Doch in seiner tiefsten Tiefe bleibt der See ungestört. Du bist der gesamte See, nicht nur seine Oberfläche, und du bist in Verbindung mit deiner eigenen Tiefe, die in völliger Stille verbleibt. Du setzt den Veränderungen keinen Widerstand mehr entgegen, bleibst nicht mehr im Kopf an Situationen hängen. Dein innerer Frieden ist nicht mehr davon abhängig. Du verweilst im Sein - gleichbleibend, zeitlos, unsterblich - und du bist für deine Erfüllung und dein Glück nicht mehr von der äußeren Welt ständig wechselnder Formen abhängig. Du kannst sie genießen, mit ihnen spielen, neue Formen erschaffen, die Schönheit von all dem würdigen. Aber du hast kein Bedürfnis mehr, daran festzuhalten.

(Eckhart Tolle)