Donnerstag, 5. Januar 2012

... wo? ... entwerde ...

Die Frage "Wo?" kann für dich zum Schleier werden. Dann gleichst du jemandem, der einen Korb voller Brotlaibe trägt und dennoch um Krumen bettelnd von Tür zu Tür zieht. Klopfe lieber an die Pforte deines Herzens! Du stehst bis zum Hals im Wasser, fürchtest dich aber vor dem Verdursten. Du bist wie eine Perle am Grunde des Ozeans, die fragt: "Wo ist bloß das Meer?" Das "Wo?" wird zu einer Wolke, die sich vor die Sonne schiebt.

...

Reiche mir den Kelch mit Deinem Wein,
Du Unsichtbarer!
Nähe ist ein dicht gewebter Schleier,
kein Wunder, dass Du mir verborgen bleibst.
Welchen Sinn soll mein Rufen haben,
wo Du mir doch näher bist als meine Halsschlagader?
Rufe gelten nur den Weitentfernten,
dem Geliebten ist das Flüstern vorbehalten.

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Gottesnähe hat nichts mit Entfernungen oder Richtungen zu tun, sie lässt sich nicht messen. Sich Gott zu nähern, bedeutet nicht, sich nach oben oder unten zu bewegen. In Gottes Nähe befindet sich, wer dem Gefängnis des irdischen Seins entflohen ist. In Nichtsein gibt es weder "unten" noch "oben", weder "nah" noch "fern". Dort im Nichtsein triffst du auf Gott.

...

O Welt aus Wasser und Lehm, seit ich dich kenne, habe ich tausenderlei Drangsal und Kümmernis erfahren.
Du bist ein Weidegrund für Esel, nicht die Wohnstatt Jesu, warum nur habe ich dich je kennengelernt?
Wie ein Baum strecke ich meine Hände empor, aus Verlangen nach dem Einen, nach dem ich mich sehne.
Die Zweige wachsen empor, weil sie von oben kommen, ich eile meinem Ursprung entgegen, weil ich ihn kenne.
Wie lange soll ich noch von "oben" und "unten" sprechen? Meine Heimat ist die Ortlosigkeit, ich stamme von keinem Ort, denn ich weiß, woher die Orte stammen.
Nein, schweig still, entwerde im Nichtsein, werde zu Nichts, sieh, ich kenne die Dinge des Dinglosen!


(Rumi)


Plötzlich trifft man auf solches.
Ein Lichtbeben.
Ob ich wage, die Worte hier so stehen zu lassen?

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