Montag, 26. November 2012

nachts

Jetzt - genau jetzt - bräuchte ich jemanden, der mich sanft in den Arm nimmt, der mich hält, ganz fest hält. So dass ich weinen könnte, weinen wie ein Kind.
Es ist so viel plötzlich, so viel zu viel. Und so wenig, woraus ich zehren könnte.
Ich möchte jetzt ganz klein sein dürfen. Einfach nur noch klein.

Sonntag, 25. November 2012

Zweimal

Kaum zwei Wochen lagen dazwischen.
Zweimal in so kurzer Zeit stehen wir im Glockenläuten einer kleinen Kapelle, inmitten von Gräbern, mit Blick über ein Dorf auf die Weite der umliegenden Hügel. Beide Male inszeniert das Licht abrupte Wechsel von herbstenem Leuchten und windiger Düsterkeit, unwirklich fast. In die Menschentraube hinein - zu viele sind gekommen, um Platz im kleinen Kirchenraum zu finden -  tönen Lautsprecherworte, vermischen sich mit Hagelgeprassel auf Schirmen, mit geweintem Schneuzen, mit dem freien Himmel über uns.
Zweimal in so kurzer Zeit, zweimal stehen wir dort.

Ich weiß nicht, wo all das deponieren. Muss innehalten. Hier. Jetzt. Am Wochenendvormittag. Ein bisschen was lassen. Erzählen ...

... davon, dass diese beiden, rechnet man ihre Lebensalter zusammen, immer noch ein Vierteljahrhundert jünger waren als meine Oma, welche sich in diesen Tagen - mag sein? - allmählich auf ihren letzten Weg begibt. In all der Ruhe, die sie immer in sich trug. Als ich da auf den Hügeln stehe, in diese beiden fremden Leben hineinlausche, von denen Abschied genommen wird, da fließt mein eigener Schmerz des Loslassens mit, und Dankbarkeit. Beides. Es ist vielleicht ein und dasselbe.

... von der Hilflosigkeit, mit der all die jungen Menschen am Grab stehen, ihre Tränen unterdrückend, unterdrückt habend (wer weiß wie lange schon), bis diese sich laut schluchzend Bahn brechen. Mitten hinein in die Worte, die einer von ihnen versucht zu setzen. Worte, dem Freund mitzugeben, Worte, von denen wir noch vor wenigen Monaten nicht ahnten, wie bald sie zu sagen sein werden - damals, als diese noch auf unseren Schulbänken saßen. Sie wissen sich nicht anders zu helfen als die Erwachsenensprache zu wählen, diese Nachruf-Sprache voller Unfassbar!-wirwerdenihmeinehrendesAndenkenwahren-Erschüttert!-Worthülsen für das Unsagbare.
Die Erwachsenen vermögen ihre Sprachlosigkeit ja auch nicht anders zu kleiden. Schicken dem gewesenen Arbeitskollegen Kränze von zwei Meter Durchmesser hinterher - mir wird kalt - all diese Berufskränze an den Wänden der kleinen Kapelle - und mir wird warm: das kleine Blumenherz, zart am Boden liegend, mit innigen Worten auf kleine lebendige Herbstblätter geschrieben, von seinen drei allerliebsten Menschen.
Und noch wärmer: als die kleine Schwester spricht, voller humorvoller augenzwinkernder Liebe ihrem großem Bruder sagt, was sie ihm schon immer mal sagen wollte ... und ich denke beruhigt, mit dieser Tante an Deiner Seite, und mit solcher Vaterliebe in Dich hineingeschenkt, da wirst Du gut geführt werden bei all Deinen nächsten Schritten, kleine J. So bleiern sie auch sein mögen.

... von den Urteilen, die ich vorher in mir trug. Oder nein: von deren sanfter Auflösung - als sie von ihrem Sohn erzählen, als in einem kleinen Stück Holz, welches wir da draußen noch nicht mal sehen können, so alles sichtbar wird über diesen Menschen, und über seine Familie, die ihn noch einmal zu sich nach Hause geholt hatte. Wie ich mich getäuscht hatte ...

... von einer Mutter und einem Vater am Grab, andere Menschen umarmend - kraftsuchend, und dabei noch kraftspendend, so will es mir scheinen. Ich wage kaum, von dieser Umarmung anzunehmen, denn nicht ich bin es doch, die jetzt Trost braucht .... Und von einer Ehefrau, die auf ihre tränengeschüttelten Töchter sich stützt, stützen muss, um weitergehen zu können. --- Bilder, ich nehme sie in aller Tiefe mit.

... von ihr, wie sie plötzlich auf dem Schulflur steht, sich glaubt entschuldigen zu müssen, dass sie den Vortrag in diesen Tagen nicht wird halten können - und ich sie nur wortlos in den Arm nehme. Und ihr zu ihren Gedanken - das hätte mein Papa doch nicht gewollt, dass ich mich nun gehen lasse - versuche ein paar von meinen zu geben - über Schwachsein und Starksein und darüber was das Herz braucht und sucht und entscheidet. Ich ahne, dass dies in den nächsten Monaten unsere dringliche Aufgabe ihr gegenüber sein wird: sie vor ihrem Sichverpflichtetfühlen, ihrem eigenen Ich-muss-doch-aber zu schützen.

Und dann das Gefühl von Schuld. Schwer zu fassen. Seine blauen Augen, da links in der Bank, noch so klar vor mir. --- Was habe ich versäumt? Versäumt zu sagen, zu tun, zu spüren, zu halten, zu hören. Wie mag diese Frage erst in seinen Nächsten kreisen ...

Und das Gefühl von Leere. So viele Nichtbegegnungen, Uneigentlichkeiten, Nichtwesentlichmomente im alltäglichen Schulleben. Und Hilflosigkeit, auch das, unter uns Kollegen. Vieles wäre zu sagen, mit vielem wären die Tränen zu füllen, die wir gemeinsam an den Gräbern geweint haben. --- Und schon ist wieder kein Raum dafür im Schulalltag. Oder richtiger: nehmen wir uns diesen Raum nicht. Schon gehen wir weiter, jeder für sich. Wachgerüttelt, ja, gewiss, und wie. Aber ob der Same, den eine jede Begegnung mit dem Tod schenkt, nun auch keimen, wachsen, reifen darf?

Mittwoch, 21. November 2012

... dieser November ...

Schon wieder eine Todesanzeige im Lehrerzimmer.
Schon wieder dieser Imperativ:  Mensch, lebe wesentlich.

Danke, ich habe vernommen.
Ich brauche keine weiteren Fingerzeige.

Ich will weinen.
Jetzt.
(Meine Tränen tropfen auf die Karte, die ich morgen auf den Weg schicken werde. Liebe J., schreibe ich. Für die weiteren Zeilen fehlen mir die Worte. Dieses Kind ist zu jung, eine solche Karte zu bekommen.)

Sonntag, 11. November 2012

rückgeblickt, vorgeschaut


Was für eine Woche!

Der Versuch, aus dem Beben heraus wieder in die Arbeit hineinzufinden. In der Mitte des Lehrerzimmers die schwarzumrandete Anzeige mit den so vertrauten hellen Augen. Nicht zu realisieren, immer noch nicht. Die Beerdigung - Stunden wie in anderer Sphäre. Zurückzukehren in die Alltäglichkeiten, irgendwie.

Mitten hinein in diese Woche treffen Sohnesschulnachrichten, die mich weinen lassen, den Sohn dann auch, weil nach wochenlangem Hochgefühl - all sein Schul(er)leben würde endlich gut - doch die altvertrauten Sorgen wieder auftauchen. (Es wäre ja ein Wunder gewesen, wenn nicht.) Wir sprechen lange an dem Tag, bleiben beide ratlos. Vielleicht doch mal professionelle Beratung holen?

Und eine Begegnung, die tief in mir meine ureigensten Fragen aufwühlt, meine so unbeantworteten. Hin und hergerissen zwischen Gefühlen jeglicher Art. In dieser Woche musste so manches Platz finden.

Wie schon so oft sind es unsere Musiklehrer am Freitagnachmittag, die mit ihrer liebevollen Fürsorge für die Kinder (und für mich - ich darf ja dort auch lernen :)) die Woche besänftigt, befriedet enden lassen.

Und weil ich durch die Tage wie gelähmt gegangen bin - oder nein: nicht gelähmt, sondern in der dem Ganzen angemessenen Geschwindigkeit, lediglich kollidierend mit dem von der Arbeitswelt geforderten Tempo - und weil ich in meinen Ferien (Ferien - waren da irgendwann Ferien???) dem Wichtigsten Raum gegeben hatte, den Kindern, den Träumen, den Begegnungen, dem Ich, fast ausschließlich all diesem, statt den Arbeitsbergen, und weil ohnehin jetzt im November unsere dichteste Arbeitszeit beginnt, deswegen werde ich hier von den ausstehenden Aufgaben schier erdrückt. Das presst mir die Kehle zu, das lässt das Herz holpern, das fühlt sich nach Fliehenwollen an ...

Bis ich heute Morgen hier sitze, mit Kerze und Kaffee, mir die Gespräche der vergangenen Tage durch den Kopf ziehen lasse - und plötzlich weiß, dass es Lebkuchenteig-Zeit ist. Dass wir dieses Jahr wieder eigene Häuser backen werden, mit den Kindern tagelang Teig kneten, ausrollen, backen, zuschneiden, mit "Mörtel" zusammenkleben - viele kleine Häuser. Und dann an einem der Adventstage Freunde der Kinder einladen werden, vielleicht auch deren Mütter, um die Häuschen zu verzieren. Nachher werden wir herumtelefonieren, einen Termin suchen und hoffentlich finden (das ist in der Adventszeit ja nicht so einfach), uns verabreden.

Gleich fühlen sich meine Arbeitsberge leichter an - mit der Aussicht auf den Teig in der anderen Wagschale. Denn dort liegt ja nicht nur der Teig, der zu formende, zu gestaltende. Dort liegen die Kraft, die hineinzustecken, und die, die herauszuziehen ist, und die Kinder mit ihren Strahleaugen, ihren süßigkeitenglücklichen Mündern, all das.
All das. Bald.
Und damit schon jetzt, irgendwie.

Dienstag, 6. November 2012

abrupt

Mal abgesehen davon, dass einen das Ferienende immer irgendwie unerwartet überfällt, zumal nach solch wunderbar stimmigen Tagen, aus denen es viel zu erzählen und weiterzutragen gäbe, mal abgesehen davon, kam es diesmal mit besonderer Wucht. Solche Nachrichten tragen immer Wucht in sich. Geeignet, einen Teil des Seienden von seinem Platz zu schleudern. Um an neuem Ort Blüten blühen zu lassen, später irgendwann. In dieses Später können wir uns nur allmählich hineinbewegen, kriechend, strauchelnd, ungläubig - selbst wenn wir den Weg schon kennen und eigentlich wissen - wissen könnten - er fühlt sich an wie beim ersten Mal.
Im Moment ist Schweigen - es formen sich keine Worte - wie auch. "Endlichkeit und Ewigkeit ziehen in mir ihre Kreise", das las ich heute, hier bei ihr, und ich nehme es mir mit, um mehr zu erzählen als nur nichts.

Und noch etwas, nicht unwichtig: Nun trafen jene Zeilen genau in dem Moment ein, als ich mich hierher an die Tasten begab um zu danken für die unglaublich liebevollen Worte, welche mich am Freitag erreichten. - Ich bin seither verstummt. Wir alle. Solch ein Schweigen im Reden heute in der Schule ... - Ich danke daher kurz von hier aus: Mich hat alles erreicht, mich hat alles berührt. Und welche Verbindung sogar zu den Geschehnissen seither, in manchen Eurer Worte ... Staunend.