Sonntag, 24. November 2013

geerdet



Ich brauchte an diesem Wochenende ...
... den schlafanzüglichen Samstagmorgen, wo wir alle durch das Haus und die noch warmen Betten schlurfen, mal hier mal dort verträumt hängenbleiben, wo keiner so recht zum Tagesbeginn blasen will, wo sich alles wohltuend langsam dahinzieht,
... den Regenspaziergang zum Vormittagstreffpunkt des kleinen Kindes, Hand in Hand, Schirm unter Schirm,
... den Blick durch meine Kamera auf den Himmel über unserem Dorf und seinen Bewohnern,
... die Fahrt ins Buchgeschäft im Nachbardorf, das Stöbern in den Regalen, ewiges Plaudern mit einer lange nicht gesehenen Bekannten, alles ohne Blick auf die Uhr,
... das Treffen mit Freunden am Abend,
... Klavier- und Lesestunden mit Kerzen - ja Kerzen, in die man seinen Blick wunderbar versenken kann,
... Schlafen, immer wieder Schlafen (wie oft man an einem Wochenende einschlafen und aufwachen kann :))
Ich brauchte all das. Mehr als sonst.




Ich bin vom Vater einer Schülerin angegangen worden. Unflätig, subtil, perfide, immer noch eine Stufe mehr, seit Wochen schon. Nun beginnt es "Früchte" zu tragen - Weinen, Zittern, Angst bei mir.
(Doch, ja, ich habe Hilfe. Die stärkste in meiner Schulleitung - mit bedingungsloser Rückendeckung und vielfältigen Schutz- und Unterstützungsangeboten. Ich hätte diese Hilfe nur eher einfordern sollen. Nicht so lange die nette, pädagogische, stets nur im Interesse des Kindes (was braucht es jetzt von mir?), immer wieder neu auf den Vater zugehende (was mag nur sein Bedürfnis hinter all dem sein?), immer aufs Neue Hände reichende und zudem noch tapfere Lehrerin sein sollen, die das alles mit sich machen lässt.)
Morgen werden wir das weitere Vorgehen besprechen. Ich brauche nun keinen Schritt mehr allein zu gehen. Und werde es wohlweislich nicht mehr tun.
Und nun widme ich mich mal wieder den 120 Schülern, die ich sonst noch unterrichte.



Ich brauchte diesen Tag mit mir, mit meinen Kindern, mit dem Himmel über mir und der Erde unter meinen Füßen, um nach den Erlebnissen der letzten Tage wieder in einen ruhigen Lebensfluss zurück zu gelangen, um wieder zu spüren, wer ich bin, um wieder frei atmen zu können.

Sonntag, 3. November 2013

hindurchgeahnt


"... und ich hörte die Musik von Tausenden von Stimmen, ein leises Summen zwischen den Bäumen. Ich fühlte, daß ich in das kühle Wasser tauchte, und wußte, daß die Reise durch den Schmerz in einer absoluten Leere endete. Als ich mich auflöste, wurde mir die Offenbarung zuteil, daß diese Leere voll ist von allem, was das Universum enthält. Es ist nichts und ist gleichzeitig alles. Feierliches Licht und undurchdringliches Dunkel. Ich bin die Leere, ich bin alles, was existiert, ich bin in jedem Blatt des Waldes, in jedem Tautropfen, in jedem Aschestäubchen, das der Bach fortträgt, ich bin Paula und ich bin auch ich selbst, ich bin nichts und alles übrige in diesem Leben und in anderen Leben, unsterblich ..."

(Isabel Allende: Paula)

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Ferienfühlen


Gleich vom letzten Schulklingeln zu einer Kurzreise aufbrechen - sich durch Lüneburgs sonnig-rote Altstadt treiben lassen - Kaffees in Cafés und Rotwein am gedeckten Freundestisch trinken - durch raschelndes Buntlaub wandern - Herbstgewitter und Sonnengold in rasantem Wechsel durchleben - in Lesestunden, Kinderfilmabenden, Gesprächen und dem Sein mit mir selbst versinken ...

Und plötzlich ist da schon der Mitteltag der kurzen Ferienwoche. Abrupt will es innerlich umschwenken: vom guten Gefühl des Dahintreibens in die Enge des Getriebenseins. So viel wollte doch in den Ferientagen erledigt werden. Hinter allen Ecken lugen Aufgaben hervor.
"Man darf es nicht zu etwas Innerem werden lassen, dieses ungenügende Gefühl des Nie-fertig-seins", sagt die Freundin am Telefon.

Und ich weiß, dass ich mich in immer derselben Frage verfange: Wie schaffe ich es unbeeindruckt von den Bergen zu sein? Nicht gelähmt durch die vor mir liegenden, nicht euphorisch bestätigt durch die gerade bewältigten? Wie also in ein Sichtreibenlassen  gelangen, unabhängig von jeder Art Berg, unabhängig von jeder Viel-wenig-Bewertung, hinein in ein waches wahrnehmendes Gleiten?

 Den Blick staunend auf all die Farben richten -


 - jeden Schritt als einen Moment des Raschelns im Laub erleben -


 - und während jeder Schritt zu einem besonderen wird, formt sich ein Weg.


Ferienzeiten sind Übezeiten.

Freitag, 25. Oktober 2013

Ausgeflogen






Morgens in aller Frühe Gepäckberge in Autos gestopft, durch nebelverhangenen Nieselwald gewandert, Waldgesichter erlebt und aufblühende Off-Road-Kinder.




Das Landschulheim (doch noch) gefunden.
Mit-wem-bin-ich-im-Zimmer-Bangen in Luft aufgelöst und mit dem Jubel, weil sich alles gefügt hatte, mitgefreut. Das Mit-wem-sitz-ich-am-Tisch immer wieder neu ausgelost - und wieder mal beobachtet, wie schnell dann plötzlich jeder jeden kennt.




Mit Gummistiefeln im Bach gewatet. (Und danach zuweilen Wasserbäche aus den Stiefeln herausgeschüttet.) Staudämme gebaut, Blätterschiffchen schwimmen lassen.
Über Wildniswege, durch urige Wälder, vorbei an Wildschweinsuhlen und Hochlandrindskälbern gewandert.








Heftige Insektenstiche eingefangen (was fliegt denn jetzt noch rum?). Gestaunt wie cool man tränentreibenden Schmerz weghumpeln kann. Und na klar, die restliche Klasse hatte plötzlich auch Stiche über Stiche :)
Herausgefallene Zähne bewundert, verliersicher verpackt und blutende Wundlöcher tamponiert. (Ähm, Milchzähne natürlich. Das wusste ich auch noch nicht, dass das stundenlang bluten kann.)
Brandblasenpflaster und reihenweise Kühlpads verteilt. Und auch Heimwehpflaster, die einfach irgendwohin auf völlig unversehrte Hautpartien geklebt werden mussten :)
Mit Heimwehtränen mitgeseufzt und sie dann getrocknet, Mütter angerufen. Tolle Kinder, die sich gegenseitig zum Trösten und Beruhigen bei der Hand nahmen. Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen, Freundinnen zum Handhalten in ein Bett gepackt, Kuscheltiere rechts und links platziert, Beruhigungslampe von Zimmer zu Zimmer getragen.

Und dann das schon Geahnte: sie halten ungebrochen durch bis nachts um halb zwei. Auch nicht unerwartet: ab morgens um sechs toben sie schon wieder fröhlich munter lärmend durchs Haus. Dass sie dann allerdings am zweiten Abend auch wieder bis halb zwei ... naja. Die eigene (altersbedingte?) Müdigkeit veratmet und tagsüber durch Sekundenschlaf aufzufangen versucht.




Häuser und Hütten im Wald gebaut. Vielfalt an Kreativstatik und -optik bestaunt.
Eier wurfsicher verpackt. Dabei beglückt über so viele Kinder, die ohne Hemmungen mit bloßen Händen in Matscheschlamm greifen, um das Ei bloß bruchsicher einzuhüllen. Überhaupt: so viele Kinder, die sich draußen in Wald und Nieselregen heimisch und glücklich fühlen.
Aus Naturmaterialien Gemälde gestaltet. Verblüfft, wie unterschiedliche Ideen und Gruppendynamiken sichtbar wurden. Auch Positionierungskämpfe. (Nicht nur harmlose, leider. Aber wenigstens wissen wir jetzt darum. Elterngesprächstermine gleich schon abgemacht.)




Gespielt, gespielt, gespielt.
Gelacht, erzählt, getanzt.
Die-Jungs-kommen-immer-in-unser-Zimmer-Gekreische, Wir-müssen-uns-mal-in-ihn-hineinversetzen-Mitfühlen, Als-mein-Opa-gestorben-ist-Gespräche und Meine-Mama-hat-mir-ein-Kuscheltier-eingesteckt-Geständnisse aufgeschnappt.
Wie klein sie noch sind!
Wie groß sie schon sind!





Durch sonnigen Herbstwald zurückgewandert. Müde Kinder kaum zum Schlurfen bewegen können. Und andere kaum von den Waldhängen herunter. Mit Gummibärchen immer weiter und weiter gelockt - bis zur heimischen S-Bahnstation. In der Bahn waren sie so ruhig wie sonst nie in den drei Tagen.
Innige Wiedersehens-Kuschelszenen mit den wartenden Mamas beobachtet.






Wie gut, wieder hier zu sein.
Wie gut, mit ihnen weggewesen zu sein.

Sonntag, 13. Oktober 2013

Montag, 7. Oktober 2013

98einhalb.


"... solche, die zu kennen ein Segen ist. In ihnen ist ein langes Leben still geworden. Arbeit ist getan, Liebe ist gegeben, Leiden ist gelitten worden - aber alles ist noch da, in Antlitz und Hand und Haltung und redet in der alten Stimme. Das haben sie aber selbst verwirklicht: durch die stets neue Annahme dessen, was nicht geändert werden kann; durch die Güte, die weiß, daß die Anderen auch da sind und ihnen das Ihre leichter zu machen sucht; durch die Einsicht, daß Verzeihen mehr ist als Rechthaben, Geduld stärker als Gewalt, und daß die Tiefen des Lebens im Stillen, nicht im Lauten liegen."
(Romano Guardini, in: Die Lebensalter - Ihre ethische und pädagogische Bedeutung)

Heute haben wir ihre Urne unter einen Baum gebettet.

Freitag, 4. Oktober 2013

Farben der Trauer

Dunkel und hell.
Erinnerungswolken kommen geflogen. Weißt-du-noch-Geschichten. Und auch solche, die nur einer von uns kennt. "Die Oma hat doch immer ..." - "Neee, echt? Das weiß ich ja gar nicht ..."
Hier wird gelacht, hier wird geweint.
In Fotos wühlen wir. Und in inneren Bildern.
Warm-wohlige Kindheitserinnerungen. Wenn ich sie erzähle, bin ich plötzlich mittendrin.
Sie fehlt.
Langsamkeit. Betäubung, immer noch. Weit-weg-Gefühl, mal stärker, mal schwächer. Alles in Wellen.
Urwunsch: Sitzen-sinnen-schweigen.
Ja, schweigen. Tage voller Schweigenwollen - und Funktionierenmüssen.
Menschen, die sich sehr zuwenden. Wärme empfangen dürfen. Einen Brief lesen von ihren ehemaligen Schülerinnen, berührend. Mit Freunden einen Abend voller Lachen und Lebenslust erfahren, und zwischendurch minutenlang gemeinsam schweigend ihr Foto anschauen. Begegnungsgeschenke, die glücklich machen. (Und auch Menschen, die sich abwenden. Aber das tut nicht weh. Hilflosigkeit - ich wusste früher ja auch nicht.)
Premiere: Man sagt zu mir "Herzliches Beileid". Ich lerne darauf zu reagieren. Ins Gespräch zu kommen. Gute Gespräche, sehr gute. Wie lieb ich sie habe ...
Sie fehlt.
Die Kinder suchen ihren Weg. Der Sohn steckt die Traueranzeige ganz tief hinten ins Regal - "damit sie nie wegkommt und nie kaputtgeht". Die Tochter zeigt ihre in der Schule überall herum. Und macht klare Ansagen: Welche Dinge sie von der Uroma als Erinnerung behalten möchte. Und welche Lieder gesungen werden sollen, auch welche Strophen, entscheidet sie.
Sie schlafen auf Omas Fernsehsessel, nun, da er hier steht. (Dass man drauf überhaupt die Nacht verbringen kann - selbst wenn man kurz ist?) Die Kinder kuscheln sich hinein. Und beturnen ihn tagsüber. Wir fürchten, dass er binnen 24 Stunden kaputtgeht, wenn sie so weitermachen:)
"Aber ich darf doch heute zum Tischtennis. Das hätte die Uroma doch vielleicht auch gewollt ..." Na klar, so sonnenklar: Sie will uns hier leben sehen. So richtig ganz doll leben sehen. Mit allem was wir lieben und wollen und brauchen, mit allem was uns Freude macht ... (sprachs zu ihren Kindern und hatte die Augen voller Tränen).
Sie fehlt.
Neue Familienkonstellation, neue Leerstelle in der Reihe. Nun bin ich nur noch Tochter und Mutter. Enkelin und Urenkelin nicht mehr. Großmutter und Urgroßmutter noch nicht. Symmetrisch irgendwie. Ein Sandwichplatz in der Mitte der Lebensreihe.
Reihenweise Lebensreisegedanken ...
Sie fehlt.
Doppelte Leerzeichen, Zeilen- und Randabstände, Schriftartsuche - woher soll ich denn wissen, wie man eine Traueranzeige formatiert. Und wie so ein Liedblatt gestaltet sein soll. Das hat mir niemand beigebracht. Und verdammt, warum stellt sich diese Technik so quer - die mp3-Musik will nicht auf die CD, die Druckerpatronen sind leer, der Laptop stürzt ab. Alles sperrt sich dagegen, eine Trauerfeier vorbereiten zu müssen.
Ist ja schon gut, ich werd schon wieder ruhig.
Aber bitte mal ein Stopp für uns. Die Brille für den Sohn, die Blutwerte der Tochter, mein immer noch dicker Zeh liegen brach, Erkältungen seit einer Woche, keine Zeit sich zu kümmern. Soll das wohl so sein, dass wir hier halbblind, halbkrank, humpelnd durch unsere Tage gehen? Fingerzeige unserer Körper.
Zeit wollte ich, nur Zeit. Langsam werden, anhalten, stehenbleiben, bitte.
Sie fehlt.
Staffelstäbe.
Ihre Sanftmut bräuchte ich. Wenn etwas in mir hochpulsiert: was hätte sie jetzt getan, was hätte sie gesagt, wie hätte sie es getragen? Ich möchte in der Zeit zurückreisen und noch einmal neben ihr stehen. Dabei sein, wie sie so war wie sie war. Genau hinschauen. Aber vielleicht ... habe ich ja genug gesehen. Bleibt als innerer Auftrag stehen, ihr Wesen weiter zu leben, irgendwie. Ob das geht? Ein weiter Weg, jedenfalls.
Und noch ein Staffelstab. Das Lebkuchenrezept ist wieder aufgetaucht. Omas legendäre Lebkuchen. Riesenkistenweise in Görlitz gebacken und zu uns nach Berlin geschickt. Von den Eltern in großen Tontöpfen im Schrank versteckt. Nicht gut genug versteckt - jeden Tag nach der Schule einen draus genascht - jetzt darf ich's ja verraten:) Also: das Rezept ist wieder aufgetaucht. Dieses Jahr im Advent ... ich freu mich drauf. Vermutlich werde ich ein paar Jahre üben, bis sie gelingen wie sie bei ihr waren.
Sie fehlt.
Die Strickjacke die ich trug, und das Tuch, in welches ich geweint habe, als ich vor zwei Wochen Abschied nahm, habe ich seither nicht abgelegt. Es ist warm darinnen. Na gut, die Strickjacke ist schon gewaschen zwischendurch. Aber das Tuch - mein Hals will in diesem Winter kein anderes. Ob und wann ich meine Tränen auswaschen werde ...
Sie fehlt.

Freitag, 27. September 2013

Dankbar


... dass ich nun endlich Worte finde. Öffnende, befreiende Worte, aus dem Kokon heraus, der mich seit nunmehr einer Woche von der Welt trennt und dabei doch tief ins Leben hineinführt.

... für Tränen, für viele Tränen. Für manche ganz besonders. Für Tränen, die neue Türen öffnen.

... für die Menschen, die mich trotzdem in den Arm nehmen. Trotzdem? Weil Du doch schon so alt warst, und es doch lange abzusehen war, und es schließlich ein guter Tod, und was-will-man-mehr-alles-bestens ist, wenn ein Mensch so uralt und so friedlich geht. Und trotzdem. Ich lehne mich in jeden umarmenden Arm hinein. Und in manches Menschen Gegenwart wage ich sogar zu weinen.

... dass mir dazu - ich weiß nicht woher - irgendwoher die Kraft zum "Funktionieren" geschenkt wird. Die Tage dieser Woche haben alles gefordert.

... für eine innige Begegnung, noch im August. Du warst wacher und präsenter als bei unseren Besuchen zuvor. Du hast die Kinder berührt. ("Weil sie so gute Laune hatte. Und wir uns mit ihr richtig unterhalten konnten ...") Und mich hast Du berührt. Sehr. Als Du meine Tochter nämlich mit meinem Namen ansprachst. Diese Liebe, aus der Verwirrung heraus. Verwirrt nur über Namen und Daten, Generationen und Zeiten. Schall und Rauch. So warm, so klar, so ganz Du in Deiner Liebe.

... für eine letzte Umarmung, damals im August. Sie ist mir in und unter die Haut geflossen. Ich war mir bewusster denn je. Schon viele Jahre hatte ich beim Abschied gedacht, dass es das letzte Mal sein könnte. --- Diesmal habe auch ich es vielleicht gespürt? Jedenfalls habe ich nicht wie sonst Fotos gemacht. Nicht Dich, nicht unsere Begegnung festzuhalten versucht. Vielleicht hatte ich endlich begriffen, dass wir Dich loslassen müssen.

... dass Du mich - Zufall nennt man das? - vor einer Woche nun auf dem Weg, mich von Dir zu verabschieden, in einen Zug gesetzt hast, der über lange Strecken ausgerechnet an dem Radweg entlang führte, welchen ich vor einigen Wochen mit dem Sohn genommen hatte. Entgegengesetzte Richtung. Entgegengesetzte Stimmung. --- Im Schweren das Gute, das Leichte, das Lebensfüllende finden. Darin warst Du mir Lehrerin. Ich saß im Zug, fuhr Dir entgegen, sah auf den Radweg und spürte Dich. Beglückend durch den Tränenschleier hindurch.

... für den stillen Raum, in welchem ich von Deinem stillen Körper Abschied nehmen durfte. Ob Du noch da warst, oder schon nicht mehr? Hier oder dort? Beides? --- Du warst ganz bei Dir. Ganz im Frieden. Und warst um mich herum. Durch Deine kalte Haut strömte alle Wärme, die mich seit meiner Kindheit getragen hat. Ich habe Dich lange gehalten und gestreichelt. Ich hätte wohl einen Tag oder länger dort sitzen mögen. Und doch war auch ich im Frieden, als ich die Tür zum Raum Deines Körpers dann hinter mir schloss.

Dankbar.
Dankbar vor allem dafür, dankbar sein zu können.
Mein letztes Wort an Dich war Danke.


Heute vor einer Woche um diese Zeit hast Du noch geatmet. Ganz still schon, ganz flach, oder ganz unruhig? Wir wissen es nicht. Werden es nie wissen. Du hattest vorher keine Zeichen ausgesendet, dass es nun soweit sei. Jedenfalls hatte niemand diese Zeichen lesen können. Vielleicht wolltest Du niemanden um Dich haben. Hast Du es gespürt? Wo warst Du, jetzt genau vor einer Woche? Hast Du gesehen, dass Du in die Tür eintrittst, die auf die andere Seite führt?
Ich glaube ja. Ich glaube, Du wusstest es ganz genau. Und wolltest den Schritt allein gehen. All-Ein.
Das fühlt sich nach Frieden an, nach tiefem Eins-Sein.

Mein Leben lang warst Du um mich. Immer. Immer warst Du da.
Dieses Nie-mehr ist nicht zu begreifen.
Meine geliebte Oma, ich trage Dich in mir.
Für immer.

Sonntag, 15. September 2013

Fragen an mich selbst


Könnte ich nicht die zarten Gedulds-, Gelassenheits- und Fröhlichkeitspflänzchen dieser Tage weiterwachsen lassen in die nächsten Wochen und Monate hinein? Wenn ein Glas umfällt, weil sie auf ihrem Stuhl kippeln, wenn die Zimmer wie Kraut und Rüben aussehen, wenn sie längst nicht mehr so schnell aus ihren Betten springen wie am ersten Tag, wenn sie lesen, wo Beeilung nötig wäre, wenn sie sich dem Tischabräumen durch Wegflitzen entziehen, wenn sie also, nun ja, ähm, einfach Kinder sind - könnte ich dann nicht immer so gelassen reagieren wie in dieser Woche? - Ich habe sie ja schon gebeten, meine "Kontrollinstanz" zu sein. Wir sprachen in den Ferien über unsere unguten ritualisierten Situationen, wir sprachen über meine Gereiztheits-, Ungedulds- und Schimpfauslöser, und darüber, was jeder von uns braucht und sich wünscht, und was jeder beitragen könnte und sollte. Und dann habe ich sie gebeten, mich zu erinnern, wenn es wieder zu arg wird mit mir ... Sie sind großartig in ihrer Offenheit: "Mama, Du wolltest doch ..." Stimmt, denke und sage ich dann. Sie haben so Recht.

Wie bewahre ich auch meine anderen guten Anfänge dieser Woche? Nämlich etwa: Schlafen zu gehen, wenn die Müdigkeit dies gebietet, und sei es auch erst kurz nach neun. Mich nicht von all den Ich-wollte-doch-noch's und Ich-muss-aber-noch's abhalten lassen. Mich zur Ruhe hinzusetzen, wenn ich es brauche. Meine Kinder in den Arm zu nehmen, wenn ihnen oder uns danach ist. Mir nicht durch die ubiquitäre Unordnung im Haus und die noch nicht ausgepackten Reisetaschen und die Arbeitsberge jeglicher Art unser Zusammensein verderben zu lassen.

Wie kann ich lernen, mich nicht umgehend als schlechte Mutter zu fühlen, wenn dem Sohn die Turnschuhe nach den Ferien dann doch zu klein geworden und der Tochter die Lieblings-Rosa-Hosen auf Hochwasser geschrumpft sind? (Hilfe, hat es im August Wachstumshormone geregnet im Hause Rebis?)

Welche Minuten des Tages - also: des ganz normalen Alltages - könnte ich als meine, meine ganz eigenen deklarieren? Klitzekleine Zeitfenster zum Sitzen, Nachsinnen, Schreiben, Lesen, Klavierspielen, Schweigen, Träumen, Nichtstun? ("Fenster" ist ja hier ein gutes, ein passendes Wort: Öffnungen für Licht und Leben, Wege zwischen Innen und Außen. Notwendig, sehr.)

Ist es in diesem Beruf je möglich, ein echtes Ende-und-Fertig-Gefühl zu empfinden? Gedanken an Schuldinge ein paar Stunden lang draußen vor der Tür zu lassen, bis ich wieder bereit bin, sie an meinem Tisch zu bewirten? Wenigstens ganz manchmal wünschte ich das - an jedem ...zigsten Abend, an jedem ... zigsten Wochenende vielleicht. (Ich wage keine Zahlen zu nennen. Es ist ja eher eine grundsätzliche Frage, wie ich es schaffe, mich mit Mühle und Hamsterrad zu arrangieren.)

Und dabei: Lässt sich diese meine unbändige Schullust und -freude, dieses Glücksgefühl, wenn ich nun wieder mit 30 kleinen oder großen Köpfen gemeinsam auf Wanderschaft durch Zahlen- und Denkwelten gehe und dabei versuche, Ratgeber, Geländer und Tränentaschentuch in einem zu sein, wenn Berge (zu) hoch und Täler (zu) tief sind, lässt sich also dieses Traumberufs-Gefühl bewahren für noch mindestens 23 weitere Schuljahre? Zusammen mit der Kraft, die dafür nötig ist? Das wäre ganz wunderbar großartig. (Wenn ich ältere Kollegen anschaue, werde ich sehr nachdenklich. Um nicht zu sagen: sehr pessimistisch.)

Wo muss ich lernen, "Nein" zu sagen?

Wo muss ich lernen, "Ja" zu sagen?

Bin ich eigentlich dankbar genug? Dankbar für jeden Tag, für jeden Moment? Für all das, was mir geschenkt ist ...

Fragen an mich selbst.
Vielleicht wächst man eines Tages in die Antworten hinein.


PS. Und noch eine marginale Frage: Wenn der kleine Zeh Umfang und Volumen des großen angenommen hat, wenn der Fuß bis zum Mittelspann aussieht, als hätte man ihm ein Silikonkissen eingespritzt, während die Färbung sich die Auberginen des heutigen Abendessens zum Vorbild genommen hat - geht man dann zum Arzt? Wenn ja, zu welchem? Wenn ja, wann? (Hab auch so genug zu tun.) Und vor allem: Wenn ja, was macht der dann überhaupt? Vom Aua beim Laufen und von der sehr unkomfortablen Enge im Schuh wird er mich wohl kaum befreien können. Bleibt ihm doch auch nicht viel zu sagen als: "Ein gebrochener Zeh ist schließlich kein Beinbruch."
Oder? (Ich ringe noch mit mir. Bis ich fertig gerungen habe, berühre bitte niemand meinen Zeh. Aua.)

Montag, 9. September 2013

Tag Eins

Früh und einfach aufgestanden, selbst die Kinder (so gute Stimmung am Frühstückstisch war selten - sie haben sich wohl doch sehr gefreut), überpünktlich aus dem Haus gekommen, dann jeder für sich seinen ersten Alltagstag begonnen, Kollegen geknuddelt, ungefähr alle, ein paar Ferienerzählbröckchen ausgetauscht, und dann schon viele Arbeitsdinge, wie durch Katapulte hineinbefördert waren wir plötzlich wieder drin in unserer Schulwelt, die ersten Schüler unterrichtet, großen noch ein wenig müden Augen begegnet, mich noch nicht sehr heimisch gefühlt an meinem Lehrertisch, aber doch bereit und weit geöffnet für alles was da ansteht, neuen Kollegen ein paar Pfade an der Schule gezeigt, mittags die Tochter von ihrer Schule abgeholt, Eis gegessen, ihre strahlenden Augen gesehen wegen der neuen Lehrerin, und weil all ihre Freundinnen ebenso strahlten gleich sehr beruhigt gewesen, zufällig den Sohn im Dorf getroffen, der spontan Latein zu seinem neuen Lieblingsfach erklärt hat und auch sehr zufrieden wirkte, die Kinder nach Hause geschickt, dienstbesprochen, fachkonferenziert, mit den besten Mathekollegen der Welt so Vieles, so Ideenreiches ausgetauscht, etliches geplant und vereinbart, mal kurz Luft geholt, Stühle geschleppt, Klassenraum für die Kleinen vorbereitet, Stuhlkreis und Schokoladentäfelchen und so, geschaut ob ich nicht zu kreidebestaubt aussehe, mich daraufhin kurz geschüttelt und abgeklopft, in die große Halle gespurtet, wo die Kleinen, die ach so winzig Kleinen schon füßescharrend auf ihren Bänken sitzen, wir Klassenlehrer aber auch ganz schön aufgeregt, bis wir endlich die 30 kleinen Hände schütteln und in unser Zimmer, das erst noch unseres werden muss, hinübergehen, ein Stündchen mit ihnen verbracht, erste Tränen getrocknet, erste Beunruhigungen aufgefangen, gelacht, gespielt, gesagt was morgen passieren wird, kurz vor dem Dunkelwerden verabschiedet, bis in 12 Stunden, sagen wir, bekannte Eltern getroffen und neue kennengelernt, Vorabvertrauen gespürt und als wohltuend empfunden, gestanden, geredet, Sekt getrunken, bis in 11 Stunden, hätten wir jetzt beim Verabschieden sagen müssen, zu Hause die Kinder gerade noch wach erlebt, noch eben schnell die Ranzen packen, und - uiui - die erste Hausaufgabe ist noch nicht ganz fertig, aber das wird schon noch in den nächsten Tagen mit dem Wiederankommen in Rhythmus und Aufgaben, gekuschelt, mitgefreut über das Schöne, was ihnen der erste Schultag offenbar geschenkt hat, immer noch mitfreuend, unendlich müde und geschafft, fast schon eingeschlafen.
Es geht uns gut.

Alltagsanfänge

Erstaunlich, dieses unterschiedliche Zeiterleben. Vor einer Woche waren wir schon fast zu Hause. Eine Woche sind wir wieder hier - so lang wie die Hälfte unserer Reise. Eine Woche schon? Eine Woche erst? So kurzverflogen, einerseits. So vollgestopft, andererseits. Viel zu viele Lebensdinge in viel zu kurz erlebten Tagen. Gerade im Kontrast zum Unterwegssein fällt es auf, stößt es auf, verwirrt es mich. Schon am ersten Tag, am Morgen nach dem Ankommen. Wir waren kaum 12 Stunden da, und unendlich vieles war geschehen. Gespräche, Aus- und Weggepacke, Organisiererei und Telefoniererei, dazwischen schnell schlafen, schnell essen, schnell sein, schnell tun. - Und vorher, da waren 12 Stunden, oder 15 gar, einfach die Zeit zwischen Ankommen und Abfahren. Nichts hatte zu geschehen außer waschen, ruhen, essen, schlafen, nachdenken über die Wege des nächsten Tages und schreiben über die des vergangenen. Elementares Sein. - Und nun ist es wieder verflixt komplex. Was sich alles so in ein Taglein hineinzupressen versucht. Mein Ruhe-Faden, der sich von Berlin bis hierher gezogen hat, schwebt im Moment vielleicht wie eine Spinnwebe rings ums Haus, oder er hat sich in den Fahrradspeichen verfangen - ich suche ihn noch vergebens in diesen neuen Tagen.

So vieles in einer Woche. Soll ich jetzt darüber schreiben, was das für Dinge waren, die mich gleich wieder ganz ernüchtert (und gefühlt bauchgelandet) hier im Alltagssein haben aufprallen lassen?
Selbst schuld, dass ich die Steuererklärung nicht auf die Zeit vor den Urlaub gelegt hatte. Tagelang und formularstapelweise herumgeplagt mit Sätzen wie "Soweit die unter a) ausgewiesenen Beiträge für die Basisabsicherung unter dem für Ihre persönlichen Verhältnisse zu Grunde liegenden Höchstbetrag für die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen liegen, können die unter b) ausgewiesenen Gesamtbeiträge bis zu diesem Höchstbetrag geltend gemacht werden." - Nein, das muss man nicht verstehen. Tue ich aber leider doch, nach dem zwanzigsten Durchlesen. Deswegen habe ich einen Zwang in mir, das alles durchschauen zu wollen. Kostet so viel Zeit. Und lässt meinen Geiz siegen, der mir einflüstert, nicht etwa einem Steuerberater das viele Geld in den Rachen zu werfen. Aber jedes Jahr vertue ich Lebenstage und -wochen damit ...
Nicht selbst schuld, dass mein Computer spann und spinnt. Und das, wo ich von jetzt ab wieder so richtig auf ihn angewiesen bin. Also auch hieran Tage verbracht. Beschäftigung, die ich nicht wirklich liebe. Bei der es mir vorkommt, als lebte ich nicht, sondern verwaltete nur mein Leben. Und noch immer klappt so manches nicht ...

So vieles in einer Woche. Die Kinder hatten, glaube ich, eine gute letzte Ferienwoche. Museums-Ausflug, Wald-Wanderung, Schwimmbad, Bibliothek, Freundesbesuche hin und her, Straßenfest, Grillabend. In letzter Minute gepackte Ranzen (nicht dass wir sechs Wochen Zeit dafür gehabt hätten:), und die Zeugnishefte sind doch immer wieder neu verschollen nach so langer Zeit), aufgeregte Telefonate - wann müssen wir morgen wo sein? (die Elternbriefe des Julis zählen zu den ebenso verschollenen Dingen), Dusche, wie war das nochmal - wir legen abends schon die Sachen bereit?, huch, es ist schon gleich neun, Mama ich kann nicht schlafen und bin so aufgeregt (woraufhin der Sohn meint, erst nochmal sein Lateinbuch durchblättern zu müssen), und nun schlafen sie endlich doch, meine Drittklässlerin und mein Sechstklässler. Wie groß das klingt ...

So vieles in einer Woche. Es war ja auch die Woche des Ankommens in Schulwelten. Darauf hatte ich mich - und wie! - gefreut. Gehüpft wie ein kleines Kind, als ich am Freitag wieder in der Schule war. Einfach so, um ein paar Dinge zu erledigen, um Kollegen zu treffen, um Unterlagen und Papiere aus meinem Fach zu holen. Klassenlisten vor allem. Neue Listen, neue Namen, neue Gesichter, die mich da schon zwischen den Zeilen anschauen. Ich freue mich sooooo. Das Vorbereiten ging in diesen Tagen noch sehr schleppend, alles dauert unroutiniert lange, die eingefahrenen Arbeitswege im Kopf sind verschüttet und zugewuchert. Aber die Gedanken an das Neue, was da auf mich zukommt, machen so froh, so warm, so vorfreudig aufgeregt.
Ja, aufgeregt bin ich. Morgen gleich meine neuen 11er. Zum siebten Mal werde ich vor einen Kurs treten, zum siebten Mal werde ich die ersten Worte sprechen, die man zu Beginn der Kursstufe und als Einleitung der 18 Monate bis zum Abitur so sagt. Und zum ersten Mal frage ich mich: Was sagt man denn so? Zum ersten Mal weiß ich nicht, ob das gut und richtig und sinnvoll ist, was mir auf der (gedanklichen) Zunge liegt, ob ich damit überhaupt treffe und streife, was in den 21 Köpfen der 15- und 16-Jährigen (die heute vielleicht auch nicht einschlafen konnten) jetzt vorgeht. Zum ersten Mal bin ich mir ganz unsicher, welches die geeigneten ersten Worte sind. So lange habe ich selten an einer ersten Stunde vorbereitet. Seit Tagen eigentlich denke ich darüber nach.
Und morgen abend begrüßen wir unsere neuen 5er. Zwei Jahre soll das schon wieder her sein, dass ich in der großen Halle saß und darauf wartete, Gesichter und Augen zu der Namensliste zu sehen. Morgen Abend werden wir wieder dort sitzen, mit der gleichen Co-Klassenlehrerin, mit der gleichen Einführungs- und Kennenlernstunde, mit der gleichen Aufregung - jedenfalls von mir kann ich das sagen -, mit der gleichen Freude hoffentlich. Nur mit anderen Kindern.

Gut fühlt es sich an, wieder zur Schule zu gehen. Fast glaube ich, dass sich mein Ruhe-Faden dort versteckt hält. Dort, wohin ich es kaum erwarten kann wieder zu kommen. Nun muss ich nur noch müde werden und ein wenig einschlafen, bevor in wenigen Stunden der Wecker klingelt.


Dienstag, 3. September 2013

Tag 15: Zwingenberg - Zuhause

Die Vorfreude auf den Geburtstags-Geschenke-Tisch treibt den Sohn sensationell früh aus dem Bett und aufs Rad und dann noch zu ungeahntem Tempo an. Er lässt sich auf keine Diskussionen mehr ein - wollen wir nicht doch den flachen Weg über Lorsch nehmen, der ist aber ein bisschen weiter? - es soll schnell gehen, heißt die einzige Devise. Wir fahren also frei nach Gefühl (und ein bisschen Navi), immer nahe an der Direttissima. Immerhin kennen wir uns hier mit dem Ortsnamen gut aus, und die Bergkette links des Weges gibt Orientierung, Verfahren unmöglich. Das Tempo allerdings droht mich umzuhauen. 30 km ohne jedes Päuschen bei ausreichend Gegenwind rast er vor mir her, dann ertrotze ich mir, einem Kleinkind mit stampfendem Fuß gleich, eine Verschnauf-Kaffeepause. Die unromantischste Ecke, an der wir je gesessen haben. Aber sie liegt halt gerade am Weg. 10 km später bestehe ich auf einem Mittagsimbiss mit längerer Pause, Ladenburg bietet sich dafür an. Wenn wir nichts zu uns nehmen, kollabieren wir noch, denke ich inzwischen wirklich. --- Noch 30 km bis nach Hause. Wir fahren dann doch ein wenig ruhiger. Sprechen über Ankommens- und Heimatgefühle, wie wir "unsere" Welt hier wiederfinden, wie wir uns dabei fühlen, wie es wohl hier für Fremde ausschauen mag, wie wir anders blicken als vor der Reise. Es erstaunt mich, wie viel Vertrautheit ich empfinde, bzw. wie mich diese erwärmt. Selbst die Dörfer in der Rheinebene - schnurgerade Straßen mit Häusern, die man nicht wirklich abwechslungsreich nennen kann, eng eines am anderen, typischerweise mit den Giebeln zur Straße gestellt, man sieht also nicht mal warmziegelrote Dächer - lassen mich ein Hach fühlen. Nun haben wir zwei Wochen lang die verschiedensten Dorfantlitze durchfahren, immer wieder ein Wie-schön empfunden, ein Wohlgefühl beim Betrachten des Neuen, Anderen, Ungewohnten - aber nur bei diesen hiesigen Dörfern stellt sich mein heimatliches Hach ein. Ist ja eigentlich klar. Und andererseits doch wieder nicht. Denn als ich vor 23 Jahren hier in die Gegend zog, durchflutete mich eher ein Nein-wie-schrecklich-Fühlen. In all den Jahren hat sich dieses also verwandelt ... --- Auch der Sohn zeigt Berührung - durch "unseren" Fluss, "unsere" nächste Stadt, "unsere" Wege. Es fühlt sich seltsam an, quasi auf touristischen Pfaden durch die eigene Gegend zu fahren. Vorbei an "unserem" Eisladen - der leider in der Sommerpause ist. Wir wollten uns dort eigentlich eine letzte Stärkung gönnen. Dafür trinken wir dann dort unser letztes Wasser aus. --- Apropos touristisch: Während ich unterwegs irgendwannn völlig enthemmt war, was touristisch anmutende Kleidung anging - der Zweck ging ja doch vor - durchzuckt es mich kurz vor dem Ziel: Hier könnte man ja schon Bekannte, schlimmstenfalls Schüler treffen. Ich ordne unwillkürlich mein Äußeres etwas:)) --- Meine Güte, warum haben wir aber auch in einer hügeligen Gegend gebaut! Wir wären natürlich gern locker in unser Dorf eingerollt. Es ergibt sich aber eine mühsame Ankunft unter keuchenden Atemgeräuschen. Geschafft. Fühlt sich unspektakulär an. --- Gepäck abbauen (wie immer), Fahrräder verstauen (wie immer), Dusche und Umziehen (wie immer) - und dann beginnt der Nicht-wie-immer-Teil. Geburtstagskuchen, Kaffee, Sekt, Geschenke auspacken. Erzählen, erzählen, erzählen. Ankommen.
PS: Ungeheuerlich, wie bequem sich eine Normaltastatur anfühlt. Und ein Normalcomputer. Nur der Konsequenz halber blieb ich jetzt beim zeilenumbruchlosen Stil. --- Und weil es die technische Ausstattung endlich zulässt, lade ich ein erstes Foto (von über 900) hoch.


(Wir hätten vor der Ankunft natürlich noch eine Runde ums Dorf fahren können. Andererseits hätte der Zähler uns dann plötzlich 000.00 angezeigt - und ob wir das gewollt hätten;)

Tag 14: Hanau - Zwingenberg

Nach abendlicher konspirativer Besprechung mit der Hotelwirtin steht morgens ein Kuchen umringt von 12 Teelichtern auf unserem Frühstückstisch. (Daher die Supermarktdringlichkeit am Vortag.) Der Sohn ist berührt, zeigt es aber nur verhalten und erst später. So wie man als 12jähriger eben ist. ---- Herzlichen Glückwunsch, mein Großer! Wie unendlich glücklich ich bin, dass das Leben uns zusammengeführt hat. Diese Reise und überhaupt die Lebensreise mit Dir zusammen beschenkt mich immer wieder so reich! --- Wir verlassen Hanau nicht ohne ein Wir-waren-da-Foto mit und vor den Grimm-Brüdern. Dann teilen wir 10 km Main-Radweg (mir scheint, wir lassen auch wirklich keinen Fluss aus) mit Sonntagsausflüglern, halten die Romantik des Mains bei Offenbach fotografisch fest und verschwinden im Wald. Da wir nun im Wesentlichen nur noch südwärts müssen, haben wir die Wahl zwischen Wegen in der Rhein-Ebene (weiter westlich) oder in der Hügellandschaft (weiter östlich). Ratet mal, für was wir uns entschieden haben. - Ja richtig. Sogar um den Preis, dass wir Waldwege gegen Stadtasphalt eintauschen müssen. Lieber Stadt als nur das kleinste Hügelchen, heute mal. Unglaublich, wie schnell und einfach sich 76 Flachlandkilometer fahren! --- Geburtstagskinder bekommen tagsüber bei kleinen Pausen immer wieder kleine Überraschungen gereicht. Leckeres, was wir hier nicht jeden Tag hatten. (Auch wieder: Daher die Supermarktdringlichkeit am Vortag.) Oder auch Anrufe und SMSs. Und Caches. --- Darum sind wir trotz wehender Fahrt erst spätnachmittags in Darmstadt. Dort feiern eine Million Menschen ein Fest. Es erschließt sich uns nicht welches. Wir haben zu tun, mit unseren Rädern schiebend durchs Gedrängel zu kommen. Und werden dabei als Sonntagsfahrer beschimpft:) Ein Widerspruch lohnt der Worte nicht, wir suchen Nahrung. Und finden welche. --- Ein letztes 20-Kilometer-Flachlandstück vor einem wirklichen Heimatgefühl - aus der flachen Rheinebene auf die ersten Odenwaldberge blicken! --- Es folgt die letzte Überraschung des Tages. Auch konspirativ vereinbart, sogar größtenteils vor den Ohren des Sohnes. Kurz vor dem Ziel bekomme ich schon einen Schreck, als er auf der Straße plötzlich sagt, da stehe unser Auto. Er meint aber nur Typ und Farbe. An unserem wirklich-wahrhaftigen auf dem Hof der Jugendherberge fährt er dann, noch ganz strapaziert von der Auffahrt (Jugendherbergen liegen so wie Ortsteile immer auf Bergen) blicklos vorbei. Ebenso wenig Blicke hat er dafür, wer sich sonst noch so im Garten der JH herumtreibt. Ich winke ihnen schon hinter dem Rücken und drehe mich unauffällig so, dass sie einfach in sein Gesichtsfeld fallen MÜSSEN. Es dauert trotzdem noch - bis zu dem Ausruf: "Was macht Ihr denn hier?!" --- Der Rest des Abends ist gemütlich Geburtstagsessen mit Papa und Schwester. (Auch ich bin ganz erfreut. Hatte ich doch mein Töchterchen SEHR vermisst.) --- Die einen fahren dann 45 min mit dem Auto wieder nach Hause, die anderen legen sich ins karge Jugendherbergszimmer und lassen sich diese letzte Etappe nicht nehmen. Nicht mal ein Stück Gepäck geben wir mir. (Was aber eher mit unserer Müdigkeit zu tun hat und dem Unwillen, zu später Stunde noch sortierend in den Taschen zu wühlen.)

Montag, 2. September 2013

(Tag 14: Hanau - Zwingenberg)

Wir sind fast zu Hause, von hier (Zwingenberg) ist es noch eine harmlose Tagesetappe. Deswegen setzen wir uns jetzt schnell und außergewöhnlich früh (d.h. zu meiner üblichen Blogschreibzeit) auf die Räder und geben dem nach, dass es uns nun doch spürbar nach Hause zieht. Tag 14 und Tag 15 erzähle ich dann bequem von der heimischen Riesentastatur aus, heute oder morgen ...

Sonntag, 1. September 2013

Tag 13: Crainfeld - Hanau

Teil zwei der Auffahrt nach Hartmannshain - es sind doch noch 140 Höhenmeter, die wir uns einsam schnaufend hocharbeiten. Gerade als der Kopf vom Gequält- und Fluchmodus in den meditativen Zustand übergeht und ich im Treten versinke, sind wir oben. 570 m - höchster Punkt der Reise. Wir feiern dies mit Milchkaffee und Schorle und verlassen den Biergarten, als erste Radlerhorden - es ist Wochenende - eintreffen. Die Landschaft, die Blicke, der Radweg weiterhin traumhaft, während wir viele viele Kilometer abwärts rollen. Wenn wir zwischendurch mal treten müssen, Ortsdurchfahrten und so, fühlen wir uns gleich angestrengt. Wirklich, wir rollen über weite Strecken bis Ortenberg - das sind 25 km und 450 Höhenmeter. In die umgekehrte Richtung hätte ich das ja nicht fahren wollen, stelle ich mir vor. Wären wir aber, wenn nicht die Zecke ... Na, vielleicht hätten wir das auch geschafft. --- Jedenfalls sind wir jetzt so tief wie seit der Elbe nicht, glaube ich. Um der ungewohnten Tiefluft und Wärme - spürbar anders als oben! - zu entfliehen und noch etwas vor dem Mittagsimbiss getan zu haben, schrauben wir uns zum Ortskern von Ortenberg hoch. --- Die restlichen 40 km, mit einem Wort gesagt, ziehen sich. Die Zivilisation kommt näher, die Autofahrer werden unfreundlicher, der Horizont ist häuser- und industrieüberschüttet. Der Bahnradweg ist weiterhin fabelhaft ausgeschildert und asphaltiert, aber die Hügel, DIE HÜGEL!!! Irgendwann quälen wir uns beide, brauchen immer häufiger Pausen, wollen nur noch ankommen. Abwechslung durch zwei Caches am Wegesrand, immer wieder Trinkpausen, und dann tatsächlich noch Anhalten, um die Regenjacken herauszuholen. Es hatte schon den ganzen Tag danach ausgesehen, abends erwischt es uns noch. --- Übrigens: Wir kamen den ganzen Tag an keinem einzigen Supermarkt vorbei. Es ist zwar löblich, dass die Radwegeplaner den gemeinen Radler vor einem unbedachten Großeinkauf an Getränken schützen wollen, aber heute - Samstag und Geburtstagsvortag - hätte ich einen gebraucht. Doch doch, in Hanau Stadt war dann einer. --- Diesmal keine Adressen aus dem Radwanderführer nutzen können, keine Lust stundenlang zu googeln, völlig überhöhte Preise hier im Rhein-Main-Gebiet, daher habe ich einfach bei booking com das Günstigste gegriffen (naja, günstig geht anders). Was man dem nicht ansah: wir schlafen hier umgeben von Spielhallen und Erotikshops. Ein paar andere Hotels sind auch noch in der Nachbarschaft, und das unsere ist wirklich in Ordnung, aber es gibt schon Typen auf der Straße, wo der Sohn nur den Kopf dreht. Ich eigentlich auch, doch ich habe im Leben schon mehr gesehen. --- Vorteil der Lage allerdings: nur ein paar Schritte in die Fußgängerzone, und dort eine leckerste Pizzeria. Danach fallen wir erschöpft wie selten ins Bett.

Samstag, 31. August 2013

Tag 12: Queck - Crainfeld

Morgenspaziergang in Nebelfeldern, Sonne im Schleier kaum zu erahnen, taubenetzte Spinnweben - so beginnt immer der Herbst. Kurz vor acht zieht es auf, der Himmel ist blau. --- Ein paar Kilometer bis Schlitz, wunderbare Altstadt auf einem Berg, nicht überlaufen, da nicht geschäftsgepflastert, nur ein einzelner Autofahrer irrt wie wir da herum. Das kleine Cafe hat leider geschlossen. Wieder unten an der Straße suchen wir dann nach einem solchen, eine ältere Frau bietet uns Hilfe an, wir sollten in das kleine gute gehen, da hinten in der Gasse, und dann ... ach was, sie bringe uns hin. Es ist nicht diese Gasse, auch nicht die nächste und übernächste, und es geht immer bergauf - und so stehen wir das zweite Mal auf dem Marktplatz:) Cafe hat immer noch zu, aber sportlich war unsere Suche. --- Kaffeelos fahren wir weiter - wow, was für ein Radweg! Bis Bad Salzschlirf (diese Ortnamen merkt sich doch kein Mensch, ich muss jetzt beim Schreiben ständig nachschauen) fliegen wir, dort Eis und Kaffee. Echte Kurstadt, wir wirken in dieser Umgebung etwas fremd. --- Lauterbach - wir bummeln etwas herum, finden auch die Figur des kleinen Weiß-nicht-wie-er-heißt, der nach der Legende seinen Strumpf in der Lauter verloren hat - dies passiert uns zum Glück nicht:) - und kaufen Mittagspicknickzeugs. --- Aufwärts, immer aufwärts geht es jetzt auf dem Vulkanradweg - nach den ersten 50 Höhenmetern finden wir einen Picknickplatz mit Aussicht. Felswände rechts und links des Weges, Spuren des Vulkans, der hier feuerte, und ein Landschaftsbild, von dem ich die zwei Stunden der Auffahrt gern einen Film mitgedreht hätte. Kann mich nicht sattsehen. --- Weil der Weg auf ausgedienten Bahntrassen gelegt ist, geht es nie richtig steil, immer gleichmäßig bergauf. Gut zu fahren, gut zu schaffen. Ab und zu taucht aus dem Dickicht ein stillgelegter Bahnhof auf, ein verwunschenes Schloß plötzlich neben dem Weg (so sieht es aus), eine kleine Stadt am Horizont. Und wir fahren völlig auto- und kreuzungsungestört auf der schmalen Asphaltspur - was für ein toller Radweg. (Es gibt hier noch viel mehr davon, ich glaube hier komme ich wieder her. Ist von uns ja nicht weit.) --- Ubernachtung noch vor dem höchsten Punkt, 100 Höhenmeter haben wir uns für morgen gelassen. Ein Dorf, von dem der Blick in die Ferne schweifen kann, kaum drei Straßen, Tante-Emma-Laden, die alten Frauen sitzen auf Bänken vor ihren Häusern, dahinter in einem kleinen Stall ein paar Kühe ... Und für den Sohn gibt es hier sogar einen Cache. --- Morgen wird es uns nach 5 km Auffahrt und 40 km Abfahrt ins Rhein-Main-Gebiet führen. Wir werden einen Zivilisationsschock erleiden. --- PS: Wir sind so sehr aus der Zeit geworfen, dass mir erst heute beim Blick auf den 30.08. aufgefallen ist - grübel grübel - dass der August ja 31 Tage hat und folglich der 1. erst am Sonntag... Wir waren zwei Wochen davon ausgegangen, dass der Sohn am Samstag Geburtstag hat. Um ein Haar hätte ich einen Frühstart hingelegt beim Gratulieren.

Freitag, 30. August 2013

Tag 11: Berka/Werra - Schlitz OT Queck

(Jetzt habe auch ichs kapiert mit diesen OTs:)) Herbstnebelige Stimmung vor dem Fenster, Luft und Morgentemperaturen auch sehr herbstlich. Daraus wird ein wunderbarer Spätsommertag. Überhaupt hier mal ein Hoch auf das Wetter dieser Tage: perfekt würde ich es nennen. Nicht auszudenken, wie wir all das bei 36 Grad im Juli/Anfang August hätten fahren wollen ... --- Ein Frühstücksgespräch mit der Wirtin über Leben im Grenzland, über den Umgang mit Unterschieden, über früher und heute. --- Und wieder verlassen wir den Ort erst um halb elf. Wir sind eben einfach so spät dran:) --- Das letzte thüringische Dorf. Und mit Thüringen endet der Asphaltweg. Jedenfalls da wo wir fahren. Abrupt geht es mit einem Trampelpfad weiter, man könnte es auch naturbelassen nennen. Dann Buckelpiste über Baustelle, dann Holzbohlen durch Schilfmeer, mit Lücken und Brücken. Spätestens hier beginnt das Abenteuer Spaß zu machen. Zumal die Landschaftsstimmung einfach nur zum Einatmen ist. Den ganzen Tag lang, überall. (Nur was es mit diesen eigenartigen Kali(?)Bergen auf sich hat - Bergbau im wahrsten Sinne des Wortes? - das muss mir später mal jemand erklären.) --- Aber um die hessischen Radwege gleich mal zu rehabilitieren: später werden sie wunderbar. Vor allem mit vorbildlicher Beschilderung. Unsere R7- bzw. R1-Pfeile stehen an jeder Ecke. Sogar da, wo selbst wir uns nicht verfahren hätten. Dazu wunderbar gute Untergründe. Autoarme Streckenführung. Wenn jetzt bitte noch der Gegenwind ausgeschaltet werden könnte ... --- Pausen in Heringen und in Bad Hersfeld - wir landen jeweils an sehr gesichtslosen Ecken von Fußgängerzonen und haben auch keine Lust nach Attraktiverem zu suchen - "draußen" wartet die Landschaft. Hangeln uns von Fluss zu Fluss, heute Werra und Fulda, und ein paar kleinere. Über-/Unterqueren zum x-ten und (x+1)-ten Male die Autobahn, auf der wir sonst den Weg Berlin-Zuhause zurücklegen. Werratalradweg, später einer der Bahnradwege Hessens. --- Dazwischen ein Berg (bzw. was man mit dem Fahrrad so Berg nennt). Hochschrauben bis auf 400 Meter, ich nutze glaube ich zum allerersten Mal den allerkleinsten Gang, schaffe streckenweise gerade noch so Schrittgeschwindigkeit und weiß spätestens in dem Moment, dass ich für eine Alpenüberquerung nicht geeignet bin. Oben wieder Betrug um die schöne Aussicht, denn da liegt ein Dorf. Ist ja auch kein Berg im eigentlichen Sinne. --- Auf der anderen Seite darf man hinabrollen, mit Tempo 30-40, in geschwungenen Kurven, Asphalt glatter geht es nicht, wir allein, der Wind im Gesicht und in den Ohren. (So stelle ich mir Bobbahnfahren vor. Ich wusste gar nicht, dass eine kleine Rennfahrerseele in mir steckt:)) --- Dazu das Licht im Laub, das Grün, Wiesen wie auf der Alm, all die Blüten. --- Später, im Fuldatal, wo wir auch übernachten, stellen wir beide fest, dass es aussieht wie in unserem Tal zu Hause. Ja, wir nähern uns. Noch vier Tage wohl.

Donnerstag, 29. August 2013

Tag 10: Eisenach - Berka/Werra

Eisenach entpuppt sich morgens doch als normal belebte Stadt. --- Um das Bach-Museum unbesorgter besuchen zu können, bauen wir alles Gepäck vom Fahrrad ab und schleppen es - wie angeboten - hinter den Empfangstresen. Dann ist dort voll. Die Damen sind trotzdem noch freundlich zu uns:) --- Wir lassen uns stundenlang durch das Museum und die Musik treiben. Alle halbe Stunde fragt einer den anderen, ob wir gehen wollen. Nö, sagt der andere dann. So wird es zwei, bis wir - ganz beseelt - wieder draußen sind. Nach dem Besuch im Museumsshop wird es in den Packtaschen etwas enger. --- Ein Imbiss, die Georgskirche (in der der kleine Johann Sebastian im zarten Alter von zwei Tagen getauft wurde) und dann fällt uns ein, dass da ja noch eine Radtour war. Die Wartburg lassen wir für diesmal links liegen (im wörtlichen Sinne). Beim Rausfahren aus der Stadt den Blick starr nach links oben gerichtet, sehe ich sie wenigstens einmal zwischen den Häusern aufscheinen. Aber wirklich nur einmal. Der Blick wiederholt sich nicht. So fahre ich für ein Foto zurück, und der Sohn stöhnt mal wieder wegen meiner Fotogelüste. --- Wir fahren ein Stück auf dem Herkules-Wartburg-Weg (nomen est omen), dann ein wenig Rennsteigradweg (auch nicht gerade seicht) und sind damit für heute eigentlich schon bedient. Selbst die Motivation des Sohnes schwächelt. Als dann auch noch der Werratalradweg mit einer saftigen Steigung anschließen will, verlieren wir ganz freudsch mal wieder die Schilder und landen auf der (flacheren) Landstraße. --- Ein erstes Zipfelchen Hessen - wir merken es an den Wahlplakaten -, eine Kaffeepause und ein Gespräch mit dem Wirt, dass hier früher das Ende der Welt war. Und weiter, immer zwischen den Bundesländern hin und her. Grenzen nicht mehr zu sehen. --- Von hinten treibt uns nun eine Gewitterfront an, das beschleunigt unseren Tritt. Doch kurz vor dem geplanten Ziel Gerstungen erwischt sie uns doch. Brrr. --- Apropos geplantes Ziel. Das mobile Internet hatte eine beruhigend lange Liste an Unterkünften ausgespuckt, doch merke: OT heißt Ortsteil. Dies sollte auch von der flüchtigen Routenplanerin mitbedacht werden. OTs befinden sich nämlich vorzugsweise auf dem Berg, eine halbe Stunde entfernt in die Richtung, wo man vor einer halben Stunde noch war, oder am anderen Ende des Bundeslandes. --- Ganze zwei also befinden sich im Kernort und sind natürlich belegt. Wir telefonieren weiter, bibbernd und mit klammnassen Fingern unter einem Vordächlein hockend. Also: Berka/Werra ist es geworden. Und wieder nach dem letztlichen Ankommen der Gedanke, wie gut es uns hier getroffen hat. Nochmal Thüringen, von seiner freundlichsten Weise. Eine letzte Soljanka, eine letzte Vita-Cola:) --- Hier war es so nah zur Grenze, dass die Menschen damals nicht mal einfach so Besuch in ihre Häuser bekommen durften. Unvorstellbar. +nd heute: Als ich abends durch die dämmernden Straßen laufe, ist hier für mich weniger Ende der Welt zu sehen als etwa in den abgeschiedenen brandenburgischen Dörfern oder in so manchem Dorf in der Ecke, wo wir wohnen. --- Ach ja, wo wir wohnen: das rückt näher. Wir teilen schon Kilometer duch Tage. Ich will gar nicht eilen. Nicht nur, weil es noch 100 km lang heftig auf und ab gehen wird ...

Mittwoch, 28. August 2013

Tag 9: Erfurt - Eisenach

(Ich habe die Übersicht über (Wochen)Tag und Datum verloren, musste jetzt nachrechnen. Immerhin weiß ich noch, von wo nach wo wir heute gefahren sind :)) --- Um halb zehn Start an der Pension. Eine Stunde und 6 km später können wir sagen, dass wir Erfurt jetzt allmählich hinter uns lassen. Dazwischen lagen mehrere Ehrenrunden und einige Kreuzungen, die wir mehrfach passierten. Und die slapstickartige Situation, dass Karte, Navi, Passantenaussagen, Radwegschilder, Sonnenstand und Bauchgefühl stets in sechs verschiedene Richtungen wiesen. Nicht vorstellbar? Mir bis dahin auch nicht. Erst als wir beschlossen, die Schilder konsequent zu ignorieren (ich glaube, die führen einen da echt im Kreis) und die Passanten auch, uns nur noch auf Karte und Überlegung einzulassen, da ging es. --- Den ganzen Tag hatten wir Weitblick aufs wunderbare Land, links in der Ferne die Thüringer-Wald-Ketten, sonnenleuchtende Felder, Wellenformen überall - wirkt beruhigend. --- Ein paar Kilometer fahren wir auf dem Bach-Radweg mit - für die ganze Rundreise bis nach Arnstadt und Ohrdruf reicht die Zeit nicht (aber das ist was zum Später-mal-machen). Heute liegt auf dem Weg das Bach-Stammhaus in Wechmar, wo JSBs Großvater lebte und wo - so sagt man hier - das musikalische Leben der großen Bachfamilie begonnen hat. --- Ein paar Kilometer weiter eine schnelle Runde in Gothas unspektakulärem Zentrum, wo wir schon sehr auf die Uhr schauen müssen und uns nur schnell Bratwurst vom Imbiss und ein Eis einwerfen. --- Der Sohn ist heute der Motivierer und Tempomacher (und in der Pause auch der Essensholer und Mamaversorger, weil diese recht schlapp auf der Pausenbank hängt). Ja, ich muss sagen - dieser 88-km-Tag mit 500 Aufwärts-Höhenmetern insgesamt war mir ein bisschen zu viel. Hätten wir nicht schon ein Quartier in Eisenach gehabt und den Plan, morgens dann gleich ins Bach-Museum zu gehen, hätte ich auch 20 km vorher schon genug gehabt an Landschaften, Dörfern, Blicken, Bergen und vor allem an Verausgabung. --- Jedenfalls: noch vor sieben sind wir da, und etwas später, beim letzten Tageslicht streifen wir durch Eisenachs Zentrum auf der Suche nach Essbarem. Die Stadt wirkt ausgestorben, nur ein paar einzelne Gestalten, die wohl das Gleiche suchen wie wir, sind unterwegs. --- Heute haben wir uns unser Essen verdient - bemerken wir in Erinnerung an den gestrigen Abend:) - und dann fallen wir auch schon ins Bett. Keiner will mehr lesen.

Dienstag, 27. August 2013

Tag 8: Weimar - Erfurt

Weil wir morgens Weimars Zentrum vermeiden - wir konnten uns schon letztes Mal schwer davo losreißen, es scheint irgendwie magnetisch zu sein, also umfahren wir es - und weil der Sohn engagiert ohne Pause duchbrettert, sind wir ganz früh schon in Erfurt. Eher als die Pension uns Einlass gewährt. --- Hätte ich ja ein paar mehr Fotos versuchen können von der Landschaft, die hinter jeder Kurve ein anderes ihrer unzähligen Gesichter zeigt, all die Tage schon. Damit wir vorankommen, versage ich mir dies oft. Ohnehin wäre es ja nur ein (wohl misslingender) Versuch, den Zauber von Farben, Licht, Formen und Stimmungen festzuhalten. Wir werden auch so genug Bilder mitbringen, die meisten im Innern. --- Alle hatten geschwärmt, wie unglaublich toll Erfurt sei. - Liegt es daran, dass ich mich fertigen Urteilen nicht unbedingt anschließe, oder ist es mir hier zu perfekt restauriert (überall da, wo gerade nicht noch Baustellen herrschen), oder sind es Unruhe und Unwirtlichkeit der größeren Stadt, die mir nach unseren größtenteils einsiedlerischen Pfaden nicht bekommen? Die Stadt schafft es jedenfalls nicht in meine Lieblingsortliste dieser Reise. --- Apropos Unwirtlichkeit: So gehäuft unfreundlich wie hier sind wir das letzte Mal am Starttag in Berlin behandelt worden. Angeraunzt auf dem Radweg, weil wir auf der Seite etwas anschauen wollen, Augen gerollt, weil wir beim Eisbecher Sorten nach Wahl haben wollen, die Thüringer Rostbratwurst einfach so nebens Brötchen geklatscht und floskellos den Preis an den Kopf geknallt bekommen - vielleicht hatten wir hier einfach nur Pech. Oder die Menschen sind wie in jeder Großstadt von Enge und Gehetze angestrengt, oder alles ist so unruhig, weil heute hier Schulanfang, also Ferienende war, oder es gibt zu viele Touristen. Oder wir sind verwöhnt von der Freundlichkeit und Geduld und Hilfsbereitschaft, die wir bisher auf den kleineren Pfaden erfahren haben. --- Nichtsdestotrotz: wir lassen uns ein paar Stunden durch die Stadt treiben, haben nichts groß vor, schauen hier, schauen da. Als der Sohn keine Lust mehr hat, lasse ich ihn lesend auf einer Treppe sitzen und schlendere allein eine Runde. --- Am Abend überrede ich ihn, mich auf einem kurzen Abstecher in meine Vergangenheit zu begleiten. An einen Ort am Stadtrand (gefunden durch sachdienliche Hinweise der Touristeninformation), der mit einer sehr speziellen Art von Erfolgen meiner Schulzeit verbunden ist. Ein Teil meiner Vergangenheit, der mich lange beherrscht und den ich daher später lange verdrängt hatte. Dem ich mich mittlerweile wieder gut annähern kann. Der Sohn staunt und stellt eine Frage, die schon viele gestellt haben, laut oder unausgesprochen. Wie soll ich es ihm erklären? Wir reden über seine Erfolge und Begabungen, und über seine Träume, und dass diese nicht unbedingt in die gleiche Richtung weisen. Und dass er sich lieber auf den Weg seiner Herzträume machen wollte und sollte, das spürt er nur zu gut. So kann er wohl ein bisschen auch meine spätere Lebensentscheidung nachvollziehen. Jedenfalls sagt er, dass er es jetzt versteht. Obwohl ich ihm ansehe, dass es im Kopf noch weiterrattert. --- Zurück zum Radfahren: Im lauschigen Biergarten stellen wir beide fest, dass wir uns dieses üppige Abendessen heute gar nicht richtig "verdient" haben. Es wird Zeit, dass wir wieder länger auf unseren Rädern sitzen. Morgen wieder ... denn Eisenach liegt nicht um die Ecke.

Montag, 26. August 2013

Tag 7: Jena - Weimar

Langes Frühstück und viel Zeitlassen an diesem Kurzstreckentag - sehr entspannend, sind wir doch eh nicht die Es-fällt-uns-ganz-leicht-früh-loszufahren-Radler (wie scheinbar alle anderen). Schaffen wir es mal vor zehn, klopfen wir uns gleich vor Stolz auf die Schulter. Meist wird es bisschen bis deutlich später. - Heute also ist das legitim:) --- Die Karte zeigt als Beginn einen 200-Höhenmeter-Anstieg, verteilt auf 9 Kilometer. Wir erwarten Schrecklichstes und stellen uns seit gestern Abend mental darauf ein, gedenken mehr oder weniger den Vormittag damit zu verbringen - und dann ist der Berg plötzlich in 45 Minuten geschafft. War auch gar nicht so schwer. Weil es ganz gleichmäßig hochging? Weil wir uns drauf eingestellt und eingelassen hatten? Oder weil unsere Beinchen sich einfach schon gewöhnt haben? Jedenfalls ist es beruhigend für die weitere Reise, denn Hessen wird uns noch mehrere solche Berge in den Weg legen. --- Auf den letzten dann doch gekeuchten Metern die Hoffnung auf eine Pausenbank, mit weitschweifendem Blick übers wunderschöne thüringische Land - hach Thüringen (ich glaub ich bin in dieses Land verliebt...). Aber wie das so ist mit den Hoffnungen und Erwartungen: Oben steht dem Schweifen des Blicks eine alte LPG und ein Hochspannungsmastenwald im Wege, und Bänke gibt es hier schon gar nicht. Wir fahren also gleich weiter, bzw. wir rollen. 6 Kilometer bergab nämlich, ohne eine Pedalbewegung. Das ist wie Fliegen. Aber schon ein bisschen "Verschwendung", wie unsere mühsam erstrampelten Höhenmeter so dahinfließen. --- Die Pausenbank finden wir dann unten an einem Flüsschen, und eine Handvoll Kilometer später sind wir in Weimar. Über den Park an der Ilm hereinfahrend, ist man schon gleich bei Goethe und in der Weimarer Atmosphäre angekommen. Wieder: hach. --- Übernachtung durch Touristeninformation vermitteln lassen, kurz hochstrampeln bzw. schieben (uiui, auch die Stadt ist Bergland), in Dachzimmer in alter Villa einziehen, begeistert sein, umziehen, duschen, zu Fuß in die Stadt. Erinnerungen von vor zwei Jahren kommen hoch - damals hatten wir hier schonmal übernachtet, wir wollen unbedingt am gleichen Ort, am gleichen Tisch sogar zu Abend essen wie damals:) Vorher Bauhaus-Museum und schlendern. Im Abendregen zurück nach "Hause" in unser Dachzimmer, Korbstühle, Füße hoch, lesen ... Nachts ein erster Schultraum - och nö, noch nicht bitte, sind doch noch zwei Wochen. Aber klar, liebes Unterbewusstsein, das ist natürlich nicht mehr ewig. Genauso wie diese Reise nicht. Wir dürften jetzt etwa Halbzeit und Halbkilometerstand haben: 470. So schnell schon - ich könnte hier noch ewig weiterfahren. Und der Sohn auch, sagt er. --- Kaffee- und Brötchenduft ziehen jetzt durch die alte Villa - ich werde mal mein Kind wecken. --- Und während ich auf der Bettkante sitze und ihn wachkraule, wandert mein Blick durchs Zimmer: Unglaublich, wie sich zwei Menschen in einem halben Tag ausbreiten können, und vor allem, dass dieses ganze Zeugs nachher wieder an zwei Fahrrädern verstaut sein soll ...

Sonntag, 25. August 2013

Tag 6: Naumburg - Jena

Mit Morgennebelbetrachtungen, Quartiersuchetelefonaten, Apotheken- und Drogerieeinkäufen, Fotografieren und Dombesuch geht der Vormittag rum, hoppla - es ist schon halb eins, und wir sind noch nicht mal auf dem Weg. Da wird plötzlich auch der eigentlich kurze Tag von 50 km zur leicht eiligen Angelegenheit. Außerdem ist Thüringen echt bergig - wahrscheinlich wurde hier das E-Bike erfunden? - und wir mühen uns redlich mit dem Auf und Ab. Warm ist es ... und wir sind wohl auch müde. --- Bei Ankunft in Jena sind wir so k.o. wie lange nicht, und durstig. So wollen uns nach einer Woche Leitungswasser auch mal was anderes in den Trinkflaschen gönnen und fallen in einen Getränkemarkt ein. Nun, in unserem Durst haben wir es wohl etwas übertrieben. Mit den Vorräten kommen wir noch bis Hessen:) --- Nein, kein erschöpftes Jammern, jetzt am nächsten Morgen geht es schon wieder. Und zwar gleich auf den nächsten Aufstieg. So ein Navi mit Höhenprofil kann auch was Ernüchterndes haben. --- Dafür haben wir beschlossen, hier durch Thüringen ein wenig zu "bummeln". Kurztouren heute nur bis Weimar, morgen Erfurt. Bergig und sehenswert genug ist es ja. Und nach dem Wochenende gibt es auch wieder Übernachtungsbetten. --- Hier in Jena war es ebenso schwierig etwas zu finden wie in Naumburg. Für etwas mehr Geld sind wir dann aber doch noch untergekommen, gleich neben der studentischen Kneipenmeile, die wir abends kulinarisch zu nutzen wissen. Und beim Einschlafen noch akustisch. --- Das Saaletal entlang der Strecke wieder sehr sehenswert - wir durften es ja immer wieder von oben betrachten. Bei aller Anstrengung: das sind schon die schöneren Blicke. --- Dicht vorbei an einem mir sehr bekannten Ortsnamen, ohne Wiedersehensbedürfnis allerdings. Hier verbrachte ich im Januar 1989 fünf paramilitärische Lagerwochen (wir waren also der letzte Jahrgang, den es traf). Schon die Ortsschilder versetzen mich in die depressive Stimmung von damals, in der wir wieder und wieder Gasmasken und Atomschutzanzüge nach Zeit anzogen und doch die Sollzeit nicht schafften (und daher noch abends bis zum Schlafengehen zu trainieren hatten - was aber auch schon egal war, weil wir den "Feierabend" eh nur liegend und deprimiert auf unseren Feldbetten zubringen konnten). Einer der glücklichen Tage dieser Wochen: als mir eine Füllung rausfiel und ich Zahnweh bekam. Da durfte ich nämlich morgens statt Frühsport zum Lagerarzt, und der - das Loch war groß genug, dass ich nicht Simulantin geschimpft werden konnte wie so manch andere - gab mir einen Ausgangsschein. Mitten am Tag durfte ich damit ins freie Dorf spazieren, den Blick schweifen lassen, zum Zahnarzt gehen, in einem freien Wartezimmer sitzen ... das Bohren (ohne Spritze, sowas gab es nicht) nahm ich dafür lächelnd in Kauf. Alle beneideten mich um diesen Extraausgang. In den fünf Wochen durften wir sonst nur fünfmal raus, glaube ich. --- Ja, so war das damals. Ab und zu erzähle ich dem Sohn von damals, das ergibt sich hier auf der Reise an jeder Ecke. Manches kann ich ihm mit Worten nicht begreiflich machen. Diese Lagergeschichte zum Beispiel. - Wie gut, dass er aufwachsen darf, ohne von so etwas eine Vorstellung zu haben!

Samstag, 24. August 2013

Tag 5: Halle - Naumburg

Heroisch starten wir mit 10 km ohne was im Bauch, weil wir nämlich das Pensionsfrühstück (teuer und nicht gut) ausgeschlagen und ganz naiv an lecker Bäcker am Wegesrand gedacht hatten und dann aber keiner kam, erst nach 5 km ein Supermarkt und nach weiteren 5 km eine gemütliche Stelle zum Hinsetzen am Wasser (auf nem Parkplatz hatten wir dann doch nicht frühstücken wollen:)) Haben es also überlebt. --- Zur Abwechslung mal wieder Regen. Erst kamen uns die Nieseltröpfchen noch gemütlich vor, später kramten wir die Ganzkörpermontur ganz von unten aus den Taschen. Drin ist es auch bei Schüttregen warm, zu warm eher, und schwitzig. Darum zweimal längere Pause in überdachten Imbissen (ist das der Plural von Imbiss?), und als es gegen drei doch trockener wurde, schalteten wir den Feuerwehrmodus ein und sausten noch die 30 km bis Naumburg. --- Ich merke, wie das bisschen Regen gleich dämpfend auf mich wirkt. Weil das Unplanbare einzubrechen droht? Weil es sich mir als Angriff auf die Behaglichkeit zeigt? Da werde ich nächste Woche noch zu üben haben ... --- Die Radwegeleger haben es übrigens trotz der abschreckend klingenden Namen am Wegesrand (Leuna, Schkopau) geschafft, uns fast durchgängig durch grüne Idylle-Wege zu führen. Nur ab und zu sieht man Chemie-Riesenbauten am Horizont. Die Landschaft wird immer schöner und schöner, ich kann mich nicht sattsehen und fahre wohl nur noch mit einem seligen Lächeln im Gesicht. Jedenfalls lächeln mich die Entgegenkommenden alle an:) --- Fast unser gesamter Weg der letzten Tage verlief unter dem Wasserspiegel von vor ein paar Wochen. Man sieht nichts mehr. Manchmal zeigen einem die Einheimischen, bis wo es stand. Man kann es nicht glauben. In einer Ortschaft finden wir dick auf die Straße gesprüht ein "Danke Bahndamm", derselbige hat den Ort also trocken gehalten, und mir treiben diese zwei Worte die Tränen in die Augen. --- Naumburg ist, als wir ankommen, schon zu. Also der Dom natürlich, der wegen meiner Namensfigur (bei der ich noch nie war) ein Muss ist. Da außer uns noch die Wildecker Herzbuben in der Stadt sind, und ein Weinfest, und Millionen von Wochenendbesuchern, tritt das Unerwartete ein: es gibt kein Zimmer mehr. (Da probieren wir es schonmal ohne Vorbuchung, und dann das.) Also nehme ich dem Sohn das Versprechen ab, dass er mit mir morgens nochmal hochstrampelt (die Stadt liegt vom Radweg aus gefühlte 100 Meter hoch), wegen der Uta eben, und nehmen ein Zimmer außerhalb, unten am Fluss. --- Und siehe da: Besser hätten wir es nicht treffen können. Abendessen bei Saale-Sonnenuntergang, Aufwachen bei Saale-Sonnenaufgang, in den Fluss-Morgennebel hinaustreten - hier will man gar nicht wieder weg. --- Nur noch einen Tag längs der Saale fahren: schade ...

Freitag, 23. August 2013

Tag 4: Nienburg - Halle

Und zwischendurch lauter Ortsnamen, die ich noch nie im Leben gehört hatte. Der für mich schönste Streckenabschnitt bisher. Lange zwischen urwaldigen Bäumen gefahren, mittelalterlich anmutende Dörfer, sanft hügelige Landschaft zuerst, und dann wachsen rechts und links des Flusses sogar erste kleine Berglein. --- Entsprechend geht der Weg auf und ab, aber ich muss sagen: Man gewöhnt sich dran. Die Hände schalten, die Beine treten, und der Kopf rumort nicht mehr die ganze Zeit, dass das jetzt soooo anstrengend sei, und dass ich hier nicht hochwill ... Nein: Stille im Kopf, meditativ fast. --- Überhaupt wundere ich mich, wie gut es geht - so als ziemlich unsportlicher Mensch, auch noch eingerostet vom ewigen Sitz-Steh-Job - staune ich ein bisschen. --- Übrigens: den Wert dieser Polsterradhosen habe ich immens unterschätzt. Ich dachte bisher, die hätten eher eine mentale Wirkung, Plazebos sozusagen. Bis wir also nach Ankunft im Pensiönchen frisch geduscht und umgezogen die Räder nehmen um den Weg ins Stadtzentrum abzukürzen - hoppla aua, da war ja doch noch ein Popo :) (Unterwegs hatte ich mich ehrlich gesagt schon gewundert, dass mir nix wehtut :)) --- Halle hat unglaubliche Parks zwischen den Armen der Wilden Saale (den Namen lese ich gerade auf dem Plan, durch die Parks hat uns der Radweg geführt), ein paar Caches und die urigen Prager Bierstuben (oder so ähnlich) mit tollem böhmischen Essen (plus Budweiser). Viel mehr haben wir hier nicht sehen können, denn wenn wir den Ausgang aus der Stadt finden, fahren wir jetzt gleich weiter. Mal den Sohn wachrütteln. Der hatte zwar kein Bier;), aber es war spät gestern.

Tag 3: Wittenberg - Nienburg

Elbe, Mulde, Saale, Bode überquert. Wörlitzer Park und Dessauer Bauhaus passiert, nur von außen gesehen leider - man kann nicht alles haben, will man vor Ferienende zu Hause sein. --- Die heutige Richtung ist für unser letztliches Reiseziel eher kontraproduktiv - Flüsse (und Urstromtäler) haben bei ihrer Bildung nicht bedacht, wo wir wohnen und wohin wir also wollen. - Aber so etwas idyllisches Kontraproduktives! --- Die Landstreicherseite meiner Seele blüht täglich mehr auf. --- Nach dem Flämingtag fliegt es sich nur so durch die brettlebenen Elbauen. Bis auf Deichüberquerungen keine Anhöhen. --- Die befürchteten Räderscharen bleiben aus. (Warum?) Nur einmal geraten wir in einen Ebike-Pulk. Bergauf ziehen sie ohne jede Oberkörperneigung und -bewegung an einem vorbei, und dann sind sie bergab aber auch nicht schneller und versperren im Rudel den Weg, auf dem wir ausrollen wollen. Grmpf. --- Merke: Unter regionalen Radrouten versteht man hier zuweilen Kopfsteinpflasterstraßen jeglicher Machart, gern kilometerlang. Wir kennen jetzt alle Steingrößen. Denn wir sind heute 30 km auf regionalen Routen gefahren. Meine Handballen vibrieren immer noch. --- Außerdem noch eine Erfahrung, damit wir nicht zu sehr im Genussradeln aufgehen: Einmal verlieren wir die Wegbeschilderung, und schwupps sind wir auf ner Fernverkehrsstraße. Ganz dicht an die rechte Leitplanke schmiegen, Augen auf und durch. - So gingen Radtouren früher ja eigentlich immer. --- Der Herr Navi erweist sich in solchen Verfahrsituationen übrigens als der dritte Dickkopf im Bunde. Können wir ja gar nicht gebrauchen. Manchmal fahren wir ihn nur noch an, er solle sein Mündchen halten. --- Der Sohn übrigens bewundernswert: Tempo- und Motivationsmacher, vor allem am Ende des Tages. Er möchte gern längere Tagesetappen. Die 83 km heute fand er noch zu wenig. Na gut, dann werde ich mich jetzt eben als Klotz am Bein entpuppen :) (Vielleicht hätte ich ihm sein Fahhrad nicht schmieren sollen. Letztes Jahr waren unsere Rollen noch umgekehrt.) --- Ein PS: Die Bloggerkommentarfunktion und mein Minihandy vertragen sich nicht: Ich kann keine Kommentare schreiben. Aber Eure lesen und dankeschön sagen! Und gestern Abend ist hier über Nienburg wohl offenbar gerade kein Satellit geflogen. Daher erst jetzt dieser Text (wenns klappt). --- PPS: Und jetzt in Halle sehe ich, dass es nicht geklappt hat. Das Veröffentlichen zu einer zurückgesetzten Zeit klappt auch nicht, also jetzt hier mit falschem Datum ... macht ja nix.

Dienstag, 20. August 2013

Tag 2: Brück - Wittenberg

Den Sohn hat heute die Tempoversessenheit gepackt - konnte er aber nicht ausleben, bzw. nur unter Abhängung seiner alten Mutter. Er hat dann immer brav gewartet :) --- Ob die heutigen Hügel (der Fläming) auch eiszeitverusacht sind? Hier lässt mich mein Erdkundewissen im Stich. Wir haben es sportlich genommen. Und gut geschafft, die 60 Auf-und-ab-Kilometer (selbst ich:)) --- Einsamste Dörfer, Wege, Wälder. Die Landschaften meiner Kindheitsjahre. Vertrautheits- und Glücksgefühle. --- Nebeneffekt der Einsamkeit: Essenfassen sehr schwierig. Nur jedes zehnte Dorf hat ein Gasthaus. Und dann muss man erst den Wirt im ganzen Dorf suchen. --- Also: Mittagspicknick auf einem Dorfplatz, wo sich Fuchs und Hase und so ... Der Sohn so: "Lebt hier eigentlich überhaupt jemand?" --- Ab morgen längs Elbe und Saale. Wahrscheinlich Radfahrerautobahnen: Wir werden die Einsamkeit vermissen. --- Und nun: Schlafen neben Luthers Thesen.

Montag, 19. August 2013

Tag 1: Berlin - Brück

(Brück muss man nicht kennen. Auch nicht nachdem man dort gewesen ist. Höchstens weil die befahrenste Eisenbahnlinie Europas mitten hindurch führt.) --- Der Tacho verrät: 65 Kilometer in 4 Stunden. Den Rest der 7,5 Unterwegsstunden haben wir wohl irgendwo in der Gegend herumgestanden oder -gesessen. --- Regenschauer über -schauer: Gleich zeigt uns der Weg, dass es nicht so geht wie wir gern hätten. Nun wissen wir wenigstens, dass wir die Regensachen nicht vergessen haben. --- Endmoränenland ist Hügelland. Das haben wir ja schon in Erdkunde Klasse 5 gelernt. Bei der ersten Steigung (von 27) fällt es mir wieder ein. --- Fahrräder mit Packtaschen unterliegen einer besonders starken Form der Erdanziehungskraft. Gegen Abend verstärkt sich das Phänomen noch. --- Geocaching in einem sich rasch verdunkelnden einöden brandenburgischen Dorf ist gruselig, spätestens wenn man den Rückweg über finstere tieffurchige Äcker sucht. Der Sohn hüpft vor Begeisterung. --- Also: alles bestens.

Tag 0: Berlin - Berlin

Genaugenommen war das ja der Start unserer Reise: vom Vater/Opa-Haus 15 km östlich des Zentrums zum Mutter/Oma-Haus 15 km südwestlich desselben. Waren wir schon am Freitag gefahren. Gepäck war im Begleitfahrzeug, es war ohnehin heiß, staubig, stickig, menschen-auto-voll, eng und überfüllt genug. Stadtfahren lässt kein rechtes Urlaubsgefühl aufkommen. Je mehr Brandenburger Tor, Alex, Siegessäule etc. in der Nähe ist, desto anstrengender.
Aber andererseits: Es hatte was, an den Orten meiner Kindheit und sonstiger Erinnerungen vorbeizuradeln. So richtig hatte ich Berlin noch nie vom Sattel aus erlebt.
Man fährt stets mit ca. 917 anderen Radfahrern im Pulk. Die wenigen Autos wagen dagegen gar nicht anzugehen, man ist vor Geschnittenwerden oder Bedrängungen durch Autos sicher. Was man von anderen Radfahrern nicht sagen kann. Oder wir sind halt defensive Dorfradler: lassen alle vor, überholen nie, lassen uns immer an den Rand des Pulks drängen.
Mancherorts gibt es plötzlich wundersam auftauchende Radwege inmitten von Grün oder längs von Kanälen und Buchten, wo man sich fragt, ob da nicht eben noch eine Großstadt ringsum war. Ich habe Ecken gesehen, die mir als Berlinerin noch nie unter die Füße gekommen waren. Es war ein ganz neuer Blick auf "meine" Stadt, den ich so nicht erwartet hätte.
Eine gute nullte Tagestour.

Sonntag, 18. August 2013

mittlerweile ...

... sind meine "Dunkeltage" beendet, verträgt meine Haut die Sonne schon lange wieder. Ein befreites, lichtvolles Gefühl, das ich ohne die Schattenzeit nie erfahren hätte.
... habe ich verstanden, dass ich ohne diese Zeit nie in den abgelegensten Winkeln des Hauses aufgeräumt hätte. Dies betrifft auch mein inneres Haus. Vor allem das innere Haus?
... stehen mir einige Dinge klarer vor Augen. Nicht gerade in Reih und Glied, nicht gerade blitzblank geputzt, aber doch ein Jedes ein wenig mehr an seinem Platz. Aufräumen tut so gut.
... ist wie schon so oft mit den Tränen so manches mehr mitgeflossen. Von mir, zu mir, beides strömend.
... wurde es in mir ganz weich und sanft - diesem und jenem gegenüber, sehr umfassend. Ich staune.
... fühle ich mich gesundend. Auch sehr umfassend.
... hat mein Sommer begonnen. Feriengefühl nun auch bei mir.

Wir sind seit ein paar Tagen in Berlin. Hier tobt wie immer das pralle, mich leicht überfordernde Leben. Der Sohn und ich freuen uns wie doll und verrückt, morgen mit den Rädern aufzubrechen. Bis nach Hause wollen wir es schaffen. Mal schauen.
Morgen ist unser erster Reisetag - der Tag zum Zusammenfinden von zwei Köpfen mit Eigensinn für mindestens vier, zum Eingewöhnen von vier Augen auf mindestens drei verschiedenen Karten plus einem Navi, zum Warmfahren von vier wohl noch sehr trägen Beinen, zum Einüben des systematischen Packens all unseres Geraffels in sechs verschiedenen Taschen (Wer suchet der findet. Wer nicht findet suchet weiter ...), zum ersten Eintauchen der inneren und äußeren Sinne ins grüne Unterwegssein, zum Gespanntsein, wie das wohl alles wird.
Wir freuen uns ...

Samstag, 3. August 2013

Schattendasein

Es sind seltsame Tage, die ich selbst nicht verstehe. Schon gar nicht weiß ich, welche Worte ich hier setzen könnte.
Im Haus sitze ich, und zwar ausschließlich. Vorgestern ein kleiner Ausflug ins Freie, eine Stunde im Schatten gesessen, abends fast zu Sonnenuntergang, mit 50er-Creme dick auf allen Hautpartien, und trotzdem nachts rotbrennendjuckende Wangen - danke, ich habe verstanden. Ich glaube jetzt dem Beipackzettel und der Ärztin in der Hautklinik, die mich vor jedem Gang ins Freie warnte, wenn ich mir nicht gleich die nächste Erkrankung zuziehen möchte. Nein danke.
Ich bleibe also in der Höhle. Und draußen vor dem Fenster zieht der Sommer vorbei ...
Rückzug. Auch innerlich. Lethargie wechselt mit Traurigkeitstränen, mit Erschöpfungsschlaf, mit Wutausbrüchen, mit Apathie, mit Sonnenlosigkeit, auch innen,  mit Empfindungslosigkeit, mit Resignation, mit Gleichgültigkeit, mit der Scham, dass ich mich hier in Selbstmitleid verliere, mit Kopfweh und Schwindel, mit totaler Antriebslosigkeit, mit nicht gefühlten Gefühlen, und dann wieder Tränen. Was davon die Krankheit und was das Medikament und was mein Leben ist, das kann ich nicht auseinandersortieren. Und das lässt sich vermutlich auch gar nicht trennen.
So ungerecht bin ich gegenüber den Kindern. Die sitzen irgendwie auch zuviel im Haus, dafür dass Sommer ist, sie gehen ohne mich viel weniger raus. Der Lagerkoller multipliziert sich, und ich werde ungehalten, gereizt, ungeduldig. Immer wieder, all die Tage passiert mir das. Die armen.
So frustriert bin ich, wenn ich an meinem Schreibtisch vorbeischleiche. Eigentlich sollte da jetzt viel passieren. Wenn wir unsere ausgefallene Fahrradtour nicht ganz platzen lassen, sondern auf die Zeit nach dem Antibiotikum verschieben wollen, wenn ich wieder in die Sonne darf, dann werden wir eben nicht von hier nach Berlin, sondern umgekehrt von Berlin nach Hause radeln. Dann kommen wir aber erst kurz vor Schulbeginn wieder hier an. Also müsste das neue Schuljahr jetzt fertig vorbereitet werden. Also müsste ich jetzt arbeiten ... und schaffe es doch nicht.
So hilflos sind meine Versuche, diese Tage nicht nur als Aufenthalt in der Warteposition zu sehen, sondern als echte Lebenstage. So hilflos ist auch mein innerliches Schönreden - noch nie habe ich Schwimmbadbesuche gemocht, und jetzt habe ich einen ernsthaften Grund mich zu drücken, und sowieso wäre es jetzt für eine 1000-km-Radtour viel zu heiß, und immerhin habe ich meine Schulvorbereitungen dadurch schneller fertig, bin dann wirklich ferienfrei, und wie gut, dass ich die Krankheit nicht verschleppt habe, bis sie noch weiter in den Körper gedrungen ist, und und und ... Schönreden hilft nicht. Ich finde mich nicht hinein in diese Tage. Bleibe verloren stehen - davor und daneben, gedämpft und gedrückt.
So viel grübele ich - über meine Erschöpfung, über die Arbeitsmenge des vergangenen Jahres - dass ich diese unerwartete Wendung des Sommers nicht einfach verarbeiten und wegschlucken kann - über die Wurzeln meiner Traurigkeiten - über meine Unfähigkeiten, das Leben zu leben, auch das jetzige - über meine Kraftlosigkeit auf allen Ebenen - und auch darüber, wen das eigentlich interessiert, von meinen Heultagen zu lesen, und ob man dieses überhaupt nach außen tragen darf.
Da scheint noch viel mehr zu sein als nur ein paar Bakterien in mir.


Freitag, 26. Juli 2013

So also: Ferien

Zuerst war da die Ferienreife.
Viele Wochen schon, mit vielfältiger Symptomatik.
Zum Beispiel diese planerische Glanzleistung:.


(Für die, die schon länger aus der Schule raus sind: Zeugnisausgabe ist immer am letzten Tag vor den Sommerferien. Danach  endet schlagartig aller Unterricht. Auch in der 8b.)

Oder die Szene, wie wir da unsere Köpfe in den Kaffeeautomaten der Musikschule stecken, weil mir vor dem Knopfdruck für den Sohneskakao entgangen war, dass mein eigener Kaffee ja noch in der Ausgabehalterung hängt, und in der Folge sich alle Becher in den Luken des Geräts verkeilt hatten, der schöne Kakao also daneben- und der fertige Kaffee hintenrüberfloss, während wir - kopfüber und auf zwein unserer vier Beine balancierend, mit den anderen Extremitäten gleichgewichtsrudernd - versuchten, irgendeinen Getränkerest herauszufingern, möglichst im Becher, möglichst ohne Verbrühungen. Für Vorbeigehende sicher ein Bild für die Götter.
Oder der Moment, wo ich mit Tellern und Besteck minutenlang vor meinem Schreibtisch harre, im Kopf die Frage kreiselnd, wer denn gleich noch an welchem Platz saß, sonst immer, und es mir partout nicht einfallen wollte, bis mir in den Sinn kam, dass ich ja am falschen Tisch im falschen Zimmer in der falschen Etage stehe mit meinem Tischdeckanliegen (na immerhin im richtigen Haus).
Oder der Versuch, eines Morgens, als der verregnete Sponsorenlauf des Sohnes genau 20 Stunden vorbei und seine Turnschuhe (welche im Moment die einzigen Schuhe sind,  aber das ist eine andere Geschichte) noch lange nicht trocken sind, neben der Morgenroutine per Fön das Schuhinnere zu trocknen, damit das Schulkind nicht mit nassen Füßen und so. Und wie ich also aus Zeitmangel den Fön immer wieder hineinlege, laufen lasse, zwischendurch Tisch decke, Kinder wecke, mich noch wundere, dass die schwarze Düse des Föns abfällt und sich nicht mehr aufstecken lässt, und ich den Fön trotzdem wieder hineinlege und immer noch nichts merke, auch nicht den aufziehenden Geruch, und auch die langziehenden Fäden (man stelle sich das wie beim Käsefondue vor) mich nicht aufmerken lassen - ich muss schon selten ferienreif gewesen sein. Nu ja. So also:


Und das Schuhinnere sah nicht anders aus. Verklebt, verschmort, verkrustet. Der Sohn war nicht begeistert. Und trägt seither Sandalen.
So war das in den letzten Wochen.

Dann das Finale.
Mit Projekttagen, Notenkonferenzen, Zeugnisschreiben, letzten Elterngesprächen, letzten Berichten, Schulfest. Schulevonfrühbisspät. (Der Sohn eines Morgens beim Verabschieden: "Tschüss, Mama, bis morgen.")
Ich konnte nicht mehr. Ich konnte diesmal wirklich nicht mehr. Am Montag ein plötzlicher Fiebernachmittag, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich ging sogar zum Arzt. Und am Dienstag trotzdem wieder in die Schule. Schulfestaufräumarbeiten bis abends, genauer bis kurz vor Mitternacht, so dass wir noch zu zahlreicht im Lehrerzimmer sitzen, Zeugnisse einheften, Geld abrechnen, letzte Listen vervollständigen, alle mit umrandeten Augen, uns einen Rotwein teilen (auch zu zahlreicht) und dabei Mühe haben, nicht noch die frischabgehefteten Zeugnisse zu bekleckern. Mir geht es eigentlich immer noch schlecht, doch dafür ist im Moment keine Zeit.
Und ein allerletzter Tag. Mit Eis für alle Schüler und Blumen für so manche Lehrer, Zeugnisausgabe und Abschied von meinen Herzens-6ern, die Tränen aber werden sogleich getrocknet durch die Hektik der letzten Erledigungen, ein letzter Rüffel (auch dabei Tränen, den Nerven geschuldet), die letzte Dienstbesprechung, Kollegenverabschiedungen (wieder Tränen).
Endlich gegen drei Uhr nach Hause, die Zeugnisse der eigenen Kinder anschauen. Herzen, drücken, gemeinsam glücklich sein, aufgeregt alles erzählen, was an diesem Tag bedeutend war. In den zum Zeugnis geschenkten Büchern lesen - ein Drittel der Seiten ist schon durch, als wir am Abend noch zu einem letzten Klaviervorspiel gehen. Dann Pizza essen - Ferienbeginn.

Und jetzt:
Mein innerer Motor läuft immer noch auf Hochtouren. Letzte dienstliche Mails abarbeiten, Schulstapel aufräumen, die Kinder zu ersten Ferienterminen kutschieren, das Haus von der gröbsten Unordnung befreien, und dem Sohn assistieren, der - uiuiui - Schulsachen aufräumt und danach energisch die Materialliste fürs nächste Schuljahr verlangt, um schon alles bereitzulegen und abzuheften und einzubinden und die noch fehlenden Dinge auf eine Einkaufsliste zu schreiben. (Was ist denn mit dem passiert??? Als ich verwundert schaue, sagt er nur, er freue sich halt so auf die 6. Klasse.)
Abends kommt lieber Besuch, vor Mitternacht sind wir nicht im Bett, und vor 12 Uhr mittags nicht wieder draußen (nicht übertrieben). Beginnendes Ferienschlendern, denke ich gerade.
Und dann klingelt das Telefon.
Wumm.
Borreliose also.
Immerhin schwelt sie nun nicht weiter unerkannt. Zum Glück habe ich am Montag, als ich mit meinem unerklärlichen Fieber bei der Ärztin war, als es mir mit Hände- und Füßekribbeln und tauben Lippen und sonstigen Unerklärlichkeiten schon ganz mulmig im Bauch war, darauf gedrungen, dieses mit zu testen. "Ach Quatsch", hat sie wohl gedacht, der Zeckenstich sei unauffällig, und der andere, der seit sechs Wochen rotfeuernd brennt, der sei ja nun gar nicht typisch. Und mein Allgemeinzustand - nee, das sei bei Borreliose ganz anders. (Aber was sonst, das wisse sie auch nicht.) Zum Glück war ich hartnäckig und bestand auf dem Test. Auf das Rechthaben hierbei hätte ich gern verzichtet.

Und nun?
Quer durchs ganze Internet habe ich heute gelesen, bin nun Expertin für Stadien, Symptome, Medikamente und - naja - auch dafür, was dann später (also: für immer?) noch nachkommen kann. Auch davor habe ich nicht die Augen verschließen können. Das Aufblitzen all dieser Möglichkeiten - ein Gefühl wie in der Achterbahn mal eben aus dem Looping zu fallen.
Bei einem zweiten Arzt war ich noch, und bei einer telefonischen Beratung. Abwarten oder gleich hoch medikamentieren? Welches Antibiotikum? Was sind die Für und Wider?
Letztlich hat sich in mir am Abend, kurz vor Apothekenschluss, eine Entscheidung eingestellt. Seitdem fühlt es sich ruhiger an. Nun werde ich die Tabletten schlucken, die selbst entschiedenen, nicht blind aufgeschwatzten, und auf die Antworten warten. Ob es früh genug war, die Erreger wieder loszuwerden. Ob die Blutwerte in 6 Wochen besser sein werden. Ob ein zweiter (und ein dritter und ein vierter ...) Antibiotikumszyklus folgen muss. Ob mir chronische Folgen bleiben werden. Ich kann nichts mehr tun dafür. Nur noch warten und hoffen.
Dann noch die Frage, ob ich mich in den nächsten Tagen von Grippegefühl und erschlagender Müdigkeit wieder hochrappeln werde. Welche Nebenwirkungen bei mir kommen werden. Ob die sogenannte phototoxische Wirkung des Medikaments es zulassen wird, den Sommer außerhalb des Hauses zu verbringen. Wie weit ich mich aus dem Schatten wagen darf, und ob sich das mit unserer geplanten Fahrradtour vereinbaren lassen wird.
Im ersten Moment heute Mittag fühlte ich mich so betrogen - um meinen Sommer, um meine Ferien, um unsere Reise. Der Sohn weinte, weil er sich so unendlich gefreut hatte. Heute wollten wir schon auf den Rädern gesessen haben. Und nun ist noch gar nicht klar, ob wir überhaupt irgendwohin werden fahren können, zumal mit dem Fahrrad.
Allmählich aber lichtet sich mein Nebel, scheint mir ein Sichfügen auf. Wir werden sehen, welche Schritte der Sommer mich zu setzen lehrt. Welche Art von Ferien mir entgegentreten werden. Und welche Art von Lehre mir diese Erkrankung mitbringen wird. Das Ungeplante und das Unplanbare annehmen, Starksein und Schwachsein zulassen.
All das  ...


PS: Reibt Euch und Eure Kinder gegen Zecken ein. Immer. Bitte!