Freitag, 27. September 2013

Dankbar


... dass ich nun endlich Worte finde. Öffnende, befreiende Worte, aus dem Kokon heraus, der mich seit nunmehr einer Woche von der Welt trennt und dabei doch tief ins Leben hineinführt.

... für Tränen, für viele Tränen. Für manche ganz besonders. Für Tränen, die neue Türen öffnen.

... für die Menschen, die mich trotzdem in den Arm nehmen. Trotzdem? Weil Du doch schon so alt warst, und es doch lange abzusehen war, und es schließlich ein guter Tod, und was-will-man-mehr-alles-bestens ist, wenn ein Mensch so uralt und so friedlich geht. Und trotzdem. Ich lehne mich in jeden umarmenden Arm hinein. Und in manches Menschen Gegenwart wage ich sogar zu weinen.

... dass mir dazu - ich weiß nicht woher - irgendwoher die Kraft zum "Funktionieren" geschenkt wird. Die Tage dieser Woche haben alles gefordert.

... für eine innige Begegnung, noch im August. Du warst wacher und präsenter als bei unseren Besuchen zuvor. Du hast die Kinder berührt. ("Weil sie so gute Laune hatte. Und wir uns mit ihr richtig unterhalten konnten ...") Und mich hast Du berührt. Sehr. Als Du meine Tochter nämlich mit meinem Namen ansprachst. Diese Liebe, aus der Verwirrung heraus. Verwirrt nur über Namen und Daten, Generationen und Zeiten. Schall und Rauch. So warm, so klar, so ganz Du in Deiner Liebe.

... für eine letzte Umarmung, damals im August. Sie ist mir in und unter die Haut geflossen. Ich war mir bewusster denn je. Schon viele Jahre hatte ich beim Abschied gedacht, dass es das letzte Mal sein könnte. --- Diesmal habe auch ich es vielleicht gespürt? Jedenfalls habe ich nicht wie sonst Fotos gemacht. Nicht Dich, nicht unsere Begegnung festzuhalten versucht. Vielleicht hatte ich endlich begriffen, dass wir Dich loslassen müssen.

... dass Du mich - Zufall nennt man das? - vor einer Woche nun auf dem Weg, mich von Dir zu verabschieden, in einen Zug gesetzt hast, der über lange Strecken ausgerechnet an dem Radweg entlang führte, welchen ich vor einigen Wochen mit dem Sohn genommen hatte. Entgegengesetzte Richtung. Entgegengesetzte Stimmung. --- Im Schweren das Gute, das Leichte, das Lebensfüllende finden. Darin warst Du mir Lehrerin. Ich saß im Zug, fuhr Dir entgegen, sah auf den Radweg und spürte Dich. Beglückend durch den Tränenschleier hindurch.

... für den stillen Raum, in welchem ich von Deinem stillen Körper Abschied nehmen durfte. Ob Du noch da warst, oder schon nicht mehr? Hier oder dort? Beides? --- Du warst ganz bei Dir. Ganz im Frieden. Und warst um mich herum. Durch Deine kalte Haut strömte alle Wärme, die mich seit meiner Kindheit getragen hat. Ich habe Dich lange gehalten und gestreichelt. Ich hätte wohl einen Tag oder länger dort sitzen mögen. Und doch war auch ich im Frieden, als ich die Tür zum Raum Deines Körpers dann hinter mir schloss.

Dankbar.
Dankbar vor allem dafür, dankbar sein zu können.
Mein letztes Wort an Dich war Danke.


Heute vor einer Woche um diese Zeit hast Du noch geatmet. Ganz still schon, ganz flach, oder ganz unruhig? Wir wissen es nicht. Werden es nie wissen. Du hattest vorher keine Zeichen ausgesendet, dass es nun soweit sei. Jedenfalls hatte niemand diese Zeichen lesen können. Vielleicht wolltest Du niemanden um Dich haben. Hast Du es gespürt? Wo warst Du, jetzt genau vor einer Woche? Hast Du gesehen, dass Du in die Tür eintrittst, die auf die andere Seite führt?
Ich glaube ja. Ich glaube, Du wusstest es ganz genau. Und wolltest den Schritt allein gehen. All-Ein.
Das fühlt sich nach Frieden an, nach tiefem Eins-Sein.

Mein Leben lang warst Du um mich. Immer. Immer warst Du da.
Dieses Nie-mehr ist nicht zu begreifen.
Meine geliebte Oma, ich trage Dich in mir.
Für immer.

Sonntag, 15. September 2013

Fragen an mich selbst


Könnte ich nicht die zarten Gedulds-, Gelassenheits- und Fröhlichkeitspflänzchen dieser Tage weiterwachsen lassen in die nächsten Wochen und Monate hinein? Wenn ein Glas umfällt, weil sie auf ihrem Stuhl kippeln, wenn die Zimmer wie Kraut und Rüben aussehen, wenn sie längst nicht mehr so schnell aus ihren Betten springen wie am ersten Tag, wenn sie lesen, wo Beeilung nötig wäre, wenn sie sich dem Tischabräumen durch Wegflitzen entziehen, wenn sie also, nun ja, ähm, einfach Kinder sind - könnte ich dann nicht immer so gelassen reagieren wie in dieser Woche? - Ich habe sie ja schon gebeten, meine "Kontrollinstanz" zu sein. Wir sprachen in den Ferien über unsere unguten ritualisierten Situationen, wir sprachen über meine Gereiztheits-, Ungedulds- und Schimpfauslöser, und darüber, was jeder von uns braucht und sich wünscht, und was jeder beitragen könnte und sollte. Und dann habe ich sie gebeten, mich zu erinnern, wenn es wieder zu arg wird mit mir ... Sie sind großartig in ihrer Offenheit: "Mama, Du wolltest doch ..." Stimmt, denke und sage ich dann. Sie haben so Recht.

Wie bewahre ich auch meine anderen guten Anfänge dieser Woche? Nämlich etwa: Schlafen zu gehen, wenn die Müdigkeit dies gebietet, und sei es auch erst kurz nach neun. Mich nicht von all den Ich-wollte-doch-noch's und Ich-muss-aber-noch's abhalten lassen. Mich zur Ruhe hinzusetzen, wenn ich es brauche. Meine Kinder in den Arm zu nehmen, wenn ihnen oder uns danach ist. Mir nicht durch die ubiquitäre Unordnung im Haus und die noch nicht ausgepackten Reisetaschen und die Arbeitsberge jeglicher Art unser Zusammensein verderben zu lassen.

Wie kann ich lernen, mich nicht umgehend als schlechte Mutter zu fühlen, wenn dem Sohn die Turnschuhe nach den Ferien dann doch zu klein geworden und der Tochter die Lieblings-Rosa-Hosen auf Hochwasser geschrumpft sind? (Hilfe, hat es im August Wachstumshormone geregnet im Hause Rebis?)

Welche Minuten des Tages - also: des ganz normalen Alltages - könnte ich als meine, meine ganz eigenen deklarieren? Klitzekleine Zeitfenster zum Sitzen, Nachsinnen, Schreiben, Lesen, Klavierspielen, Schweigen, Träumen, Nichtstun? ("Fenster" ist ja hier ein gutes, ein passendes Wort: Öffnungen für Licht und Leben, Wege zwischen Innen und Außen. Notwendig, sehr.)

Ist es in diesem Beruf je möglich, ein echtes Ende-und-Fertig-Gefühl zu empfinden? Gedanken an Schuldinge ein paar Stunden lang draußen vor der Tür zu lassen, bis ich wieder bereit bin, sie an meinem Tisch zu bewirten? Wenigstens ganz manchmal wünschte ich das - an jedem ...zigsten Abend, an jedem ... zigsten Wochenende vielleicht. (Ich wage keine Zahlen zu nennen. Es ist ja eher eine grundsätzliche Frage, wie ich es schaffe, mich mit Mühle und Hamsterrad zu arrangieren.)

Und dabei: Lässt sich diese meine unbändige Schullust und -freude, dieses Glücksgefühl, wenn ich nun wieder mit 30 kleinen oder großen Köpfen gemeinsam auf Wanderschaft durch Zahlen- und Denkwelten gehe und dabei versuche, Ratgeber, Geländer und Tränentaschentuch in einem zu sein, wenn Berge (zu) hoch und Täler (zu) tief sind, lässt sich also dieses Traumberufs-Gefühl bewahren für noch mindestens 23 weitere Schuljahre? Zusammen mit der Kraft, die dafür nötig ist? Das wäre ganz wunderbar großartig. (Wenn ich ältere Kollegen anschaue, werde ich sehr nachdenklich. Um nicht zu sagen: sehr pessimistisch.)

Wo muss ich lernen, "Nein" zu sagen?

Wo muss ich lernen, "Ja" zu sagen?

Bin ich eigentlich dankbar genug? Dankbar für jeden Tag, für jeden Moment? Für all das, was mir geschenkt ist ...

Fragen an mich selbst.
Vielleicht wächst man eines Tages in die Antworten hinein.


PS. Und noch eine marginale Frage: Wenn der kleine Zeh Umfang und Volumen des großen angenommen hat, wenn der Fuß bis zum Mittelspann aussieht, als hätte man ihm ein Silikonkissen eingespritzt, während die Färbung sich die Auberginen des heutigen Abendessens zum Vorbild genommen hat - geht man dann zum Arzt? Wenn ja, zu welchem? Wenn ja, wann? (Hab auch so genug zu tun.) Und vor allem: Wenn ja, was macht der dann überhaupt? Vom Aua beim Laufen und von der sehr unkomfortablen Enge im Schuh wird er mich wohl kaum befreien können. Bleibt ihm doch auch nicht viel zu sagen als: "Ein gebrochener Zeh ist schließlich kein Beinbruch."
Oder? (Ich ringe noch mit mir. Bis ich fertig gerungen habe, berühre bitte niemand meinen Zeh. Aua.)

Montag, 9. September 2013

Tag Eins

Früh und einfach aufgestanden, selbst die Kinder (so gute Stimmung am Frühstückstisch war selten - sie haben sich wohl doch sehr gefreut), überpünktlich aus dem Haus gekommen, dann jeder für sich seinen ersten Alltagstag begonnen, Kollegen geknuddelt, ungefähr alle, ein paar Ferienerzählbröckchen ausgetauscht, und dann schon viele Arbeitsdinge, wie durch Katapulte hineinbefördert waren wir plötzlich wieder drin in unserer Schulwelt, die ersten Schüler unterrichtet, großen noch ein wenig müden Augen begegnet, mich noch nicht sehr heimisch gefühlt an meinem Lehrertisch, aber doch bereit und weit geöffnet für alles was da ansteht, neuen Kollegen ein paar Pfade an der Schule gezeigt, mittags die Tochter von ihrer Schule abgeholt, Eis gegessen, ihre strahlenden Augen gesehen wegen der neuen Lehrerin, und weil all ihre Freundinnen ebenso strahlten gleich sehr beruhigt gewesen, zufällig den Sohn im Dorf getroffen, der spontan Latein zu seinem neuen Lieblingsfach erklärt hat und auch sehr zufrieden wirkte, die Kinder nach Hause geschickt, dienstbesprochen, fachkonferenziert, mit den besten Mathekollegen der Welt so Vieles, so Ideenreiches ausgetauscht, etliches geplant und vereinbart, mal kurz Luft geholt, Stühle geschleppt, Klassenraum für die Kleinen vorbereitet, Stuhlkreis und Schokoladentäfelchen und so, geschaut ob ich nicht zu kreidebestaubt aussehe, mich daraufhin kurz geschüttelt und abgeklopft, in die große Halle gespurtet, wo die Kleinen, die ach so winzig Kleinen schon füßescharrend auf ihren Bänken sitzen, wir Klassenlehrer aber auch ganz schön aufgeregt, bis wir endlich die 30 kleinen Hände schütteln und in unser Zimmer, das erst noch unseres werden muss, hinübergehen, ein Stündchen mit ihnen verbracht, erste Tränen getrocknet, erste Beunruhigungen aufgefangen, gelacht, gespielt, gesagt was morgen passieren wird, kurz vor dem Dunkelwerden verabschiedet, bis in 12 Stunden, sagen wir, bekannte Eltern getroffen und neue kennengelernt, Vorabvertrauen gespürt und als wohltuend empfunden, gestanden, geredet, Sekt getrunken, bis in 11 Stunden, hätten wir jetzt beim Verabschieden sagen müssen, zu Hause die Kinder gerade noch wach erlebt, noch eben schnell die Ranzen packen, und - uiui - die erste Hausaufgabe ist noch nicht ganz fertig, aber das wird schon noch in den nächsten Tagen mit dem Wiederankommen in Rhythmus und Aufgaben, gekuschelt, mitgefreut über das Schöne, was ihnen der erste Schultag offenbar geschenkt hat, immer noch mitfreuend, unendlich müde und geschafft, fast schon eingeschlafen.
Es geht uns gut.

Alltagsanfänge

Erstaunlich, dieses unterschiedliche Zeiterleben. Vor einer Woche waren wir schon fast zu Hause. Eine Woche sind wir wieder hier - so lang wie die Hälfte unserer Reise. Eine Woche schon? Eine Woche erst? So kurzverflogen, einerseits. So vollgestopft, andererseits. Viel zu viele Lebensdinge in viel zu kurz erlebten Tagen. Gerade im Kontrast zum Unterwegssein fällt es auf, stößt es auf, verwirrt es mich. Schon am ersten Tag, am Morgen nach dem Ankommen. Wir waren kaum 12 Stunden da, und unendlich vieles war geschehen. Gespräche, Aus- und Weggepacke, Organisiererei und Telefoniererei, dazwischen schnell schlafen, schnell essen, schnell sein, schnell tun. - Und vorher, da waren 12 Stunden, oder 15 gar, einfach die Zeit zwischen Ankommen und Abfahren. Nichts hatte zu geschehen außer waschen, ruhen, essen, schlafen, nachdenken über die Wege des nächsten Tages und schreiben über die des vergangenen. Elementares Sein. - Und nun ist es wieder verflixt komplex. Was sich alles so in ein Taglein hineinzupressen versucht. Mein Ruhe-Faden, der sich von Berlin bis hierher gezogen hat, schwebt im Moment vielleicht wie eine Spinnwebe rings ums Haus, oder er hat sich in den Fahrradspeichen verfangen - ich suche ihn noch vergebens in diesen neuen Tagen.

So vieles in einer Woche. Soll ich jetzt darüber schreiben, was das für Dinge waren, die mich gleich wieder ganz ernüchtert (und gefühlt bauchgelandet) hier im Alltagssein haben aufprallen lassen?
Selbst schuld, dass ich die Steuererklärung nicht auf die Zeit vor den Urlaub gelegt hatte. Tagelang und formularstapelweise herumgeplagt mit Sätzen wie "Soweit die unter a) ausgewiesenen Beiträge für die Basisabsicherung unter dem für Ihre persönlichen Verhältnisse zu Grunde liegenden Höchstbetrag für die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen liegen, können die unter b) ausgewiesenen Gesamtbeiträge bis zu diesem Höchstbetrag geltend gemacht werden." - Nein, das muss man nicht verstehen. Tue ich aber leider doch, nach dem zwanzigsten Durchlesen. Deswegen habe ich einen Zwang in mir, das alles durchschauen zu wollen. Kostet so viel Zeit. Und lässt meinen Geiz siegen, der mir einflüstert, nicht etwa einem Steuerberater das viele Geld in den Rachen zu werfen. Aber jedes Jahr vertue ich Lebenstage und -wochen damit ...
Nicht selbst schuld, dass mein Computer spann und spinnt. Und das, wo ich von jetzt ab wieder so richtig auf ihn angewiesen bin. Also auch hieran Tage verbracht. Beschäftigung, die ich nicht wirklich liebe. Bei der es mir vorkommt, als lebte ich nicht, sondern verwaltete nur mein Leben. Und noch immer klappt so manches nicht ...

So vieles in einer Woche. Die Kinder hatten, glaube ich, eine gute letzte Ferienwoche. Museums-Ausflug, Wald-Wanderung, Schwimmbad, Bibliothek, Freundesbesuche hin und her, Straßenfest, Grillabend. In letzter Minute gepackte Ranzen (nicht dass wir sechs Wochen Zeit dafür gehabt hätten:), und die Zeugnishefte sind doch immer wieder neu verschollen nach so langer Zeit), aufgeregte Telefonate - wann müssen wir morgen wo sein? (die Elternbriefe des Julis zählen zu den ebenso verschollenen Dingen), Dusche, wie war das nochmal - wir legen abends schon die Sachen bereit?, huch, es ist schon gleich neun, Mama ich kann nicht schlafen und bin so aufgeregt (woraufhin der Sohn meint, erst nochmal sein Lateinbuch durchblättern zu müssen), und nun schlafen sie endlich doch, meine Drittklässlerin und mein Sechstklässler. Wie groß das klingt ...

So vieles in einer Woche. Es war ja auch die Woche des Ankommens in Schulwelten. Darauf hatte ich mich - und wie! - gefreut. Gehüpft wie ein kleines Kind, als ich am Freitag wieder in der Schule war. Einfach so, um ein paar Dinge zu erledigen, um Kollegen zu treffen, um Unterlagen und Papiere aus meinem Fach zu holen. Klassenlisten vor allem. Neue Listen, neue Namen, neue Gesichter, die mich da schon zwischen den Zeilen anschauen. Ich freue mich sooooo. Das Vorbereiten ging in diesen Tagen noch sehr schleppend, alles dauert unroutiniert lange, die eingefahrenen Arbeitswege im Kopf sind verschüttet und zugewuchert. Aber die Gedanken an das Neue, was da auf mich zukommt, machen so froh, so warm, so vorfreudig aufgeregt.
Ja, aufgeregt bin ich. Morgen gleich meine neuen 11er. Zum siebten Mal werde ich vor einen Kurs treten, zum siebten Mal werde ich die ersten Worte sprechen, die man zu Beginn der Kursstufe und als Einleitung der 18 Monate bis zum Abitur so sagt. Und zum ersten Mal frage ich mich: Was sagt man denn so? Zum ersten Mal weiß ich nicht, ob das gut und richtig und sinnvoll ist, was mir auf der (gedanklichen) Zunge liegt, ob ich damit überhaupt treffe und streife, was in den 21 Köpfen der 15- und 16-Jährigen (die heute vielleicht auch nicht einschlafen konnten) jetzt vorgeht. Zum ersten Mal bin ich mir ganz unsicher, welches die geeigneten ersten Worte sind. So lange habe ich selten an einer ersten Stunde vorbereitet. Seit Tagen eigentlich denke ich darüber nach.
Und morgen abend begrüßen wir unsere neuen 5er. Zwei Jahre soll das schon wieder her sein, dass ich in der großen Halle saß und darauf wartete, Gesichter und Augen zu der Namensliste zu sehen. Morgen Abend werden wir wieder dort sitzen, mit der gleichen Co-Klassenlehrerin, mit der gleichen Einführungs- und Kennenlernstunde, mit der gleichen Aufregung - jedenfalls von mir kann ich das sagen -, mit der gleichen Freude hoffentlich. Nur mit anderen Kindern.

Gut fühlt es sich an, wieder zur Schule zu gehen. Fast glaube ich, dass sich mein Ruhe-Faden dort versteckt hält. Dort, wohin ich es kaum erwarten kann wieder zu kommen. Nun muss ich nur noch müde werden und ein wenig einschlafen, bevor in wenigen Stunden der Wecker klingelt.


Dienstag, 3. September 2013

Tag 15: Zwingenberg - Zuhause

Die Vorfreude auf den Geburtstags-Geschenke-Tisch treibt den Sohn sensationell früh aus dem Bett und aufs Rad und dann noch zu ungeahntem Tempo an. Er lässt sich auf keine Diskussionen mehr ein - wollen wir nicht doch den flachen Weg über Lorsch nehmen, der ist aber ein bisschen weiter? - es soll schnell gehen, heißt die einzige Devise. Wir fahren also frei nach Gefühl (und ein bisschen Navi), immer nahe an der Direttissima. Immerhin kennen wir uns hier mit dem Ortsnamen gut aus, und die Bergkette links des Weges gibt Orientierung, Verfahren unmöglich. Das Tempo allerdings droht mich umzuhauen. 30 km ohne jedes Päuschen bei ausreichend Gegenwind rast er vor mir her, dann ertrotze ich mir, einem Kleinkind mit stampfendem Fuß gleich, eine Verschnauf-Kaffeepause. Die unromantischste Ecke, an der wir je gesessen haben. Aber sie liegt halt gerade am Weg. 10 km später bestehe ich auf einem Mittagsimbiss mit längerer Pause, Ladenburg bietet sich dafür an. Wenn wir nichts zu uns nehmen, kollabieren wir noch, denke ich inzwischen wirklich. --- Noch 30 km bis nach Hause. Wir fahren dann doch ein wenig ruhiger. Sprechen über Ankommens- und Heimatgefühle, wie wir "unsere" Welt hier wiederfinden, wie wir uns dabei fühlen, wie es wohl hier für Fremde ausschauen mag, wie wir anders blicken als vor der Reise. Es erstaunt mich, wie viel Vertrautheit ich empfinde, bzw. wie mich diese erwärmt. Selbst die Dörfer in der Rheinebene - schnurgerade Straßen mit Häusern, die man nicht wirklich abwechslungsreich nennen kann, eng eines am anderen, typischerweise mit den Giebeln zur Straße gestellt, man sieht also nicht mal warmziegelrote Dächer - lassen mich ein Hach fühlen. Nun haben wir zwei Wochen lang die verschiedensten Dorfantlitze durchfahren, immer wieder ein Wie-schön empfunden, ein Wohlgefühl beim Betrachten des Neuen, Anderen, Ungewohnten - aber nur bei diesen hiesigen Dörfern stellt sich mein heimatliches Hach ein. Ist ja eigentlich klar. Und andererseits doch wieder nicht. Denn als ich vor 23 Jahren hier in die Gegend zog, durchflutete mich eher ein Nein-wie-schrecklich-Fühlen. In all den Jahren hat sich dieses also verwandelt ... --- Auch der Sohn zeigt Berührung - durch "unseren" Fluss, "unsere" nächste Stadt, "unsere" Wege. Es fühlt sich seltsam an, quasi auf touristischen Pfaden durch die eigene Gegend zu fahren. Vorbei an "unserem" Eisladen - der leider in der Sommerpause ist. Wir wollten uns dort eigentlich eine letzte Stärkung gönnen. Dafür trinken wir dann dort unser letztes Wasser aus. --- Apropos touristisch: Während ich unterwegs irgendwannn völlig enthemmt war, was touristisch anmutende Kleidung anging - der Zweck ging ja doch vor - durchzuckt es mich kurz vor dem Ziel: Hier könnte man ja schon Bekannte, schlimmstenfalls Schüler treffen. Ich ordne unwillkürlich mein Äußeres etwas:)) --- Meine Güte, warum haben wir aber auch in einer hügeligen Gegend gebaut! Wir wären natürlich gern locker in unser Dorf eingerollt. Es ergibt sich aber eine mühsame Ankunft unter keuchenden Atemgeräuschen. Geschafft. Fühlt sich unspektakulär an. --- Gepäck abbauen (wie immer), Fahrräder verstauen (wie immer), Dusche und Umziehen (wie immer) - und dann beginnt der Nicht-wie-immer-Teil. Geburtstagskuchen, Kaffee, Sekt, Geschenke auspacken. Erzählen, erzählen, erzählen. Ankommen.
PS: Ungeheuerlich, wie bequem sich eine Normaltastatur anfühlt. Und ein Normalcomputer. Nur der Konsequenz halber blieb ich jetzt beim zeilenumbruchlosen Stil. --- Und weil es die technische Ausstattung endlich zulässt, lade ich ein erstes Foto (von über 900) hoch.


(Wir hätten vor der Ankunft natürlich noch eine Runde ums Dorf fahren können. Andererseits hätte der Zähler uns dann plötzlich 000.00 angezeigt - und ob wir das gewollt hätten;)

Tag 14: Hanau - Zwingenberg

Nach abendlicher konspirativer Besprechung mit der Hotelwirtin steht morgens ein Kuchen umringt von 12 Teelichtern auf unserem Frühstückstisch. (Daher die Supermarktdringlichkeit am Vortag.) Der Sohn ist berührt, zeigt es aber nur verhalten und erst später. So wie man als 12jähriger eben ist. ---- Herzlichen Glückwunsch, mein Großer! Wie unendlich glücklich ich bin, dass das Leben uns zusammengeführt hat. Diese Reise und überhaupt die Lebensreise mit Dir zusammen beschenkt mich immer wieder so reich! --- Wir verlassen Hanau nicht ohne ein Wir-waren-da-Foto mit und vor den Grimm-Brüdern. Dann teilen wir 10 km Main-Radweg (mir scheint, wir lassen auch wirklich keinen Fluss aus) mit Sonntagsausflüglern, halten die Romantik des Mains bei Offenbach fotografisch fest und verschwinden im Wald. Da wir nun im Wesentlichen nur noch südwärts müssen, haben wir die Wahl zwischen Wegen in der Rhein-Ebene (weiter westlich) oder in der Hügellandschaft (weiter östlich). Ratet mal, für was wir uns entschieden haben. - Ja richtig. Sogar um den Preis, dass wir Waldwege gegen Stadtasphalt eintauschen müssen. Lieber Stadt als nur das kleinste Hügelchen, heute mal. Unglaublich, wie schnell und einfach sich 76 Flachlandkilometer fahren! --- Geburtstagskinder bekommen tagsüber bei kleinen Pausen immer wieder kleine Überraschungen gereicht. Leckeres, was wir hier nicht jeden Tag hatten. (Auch wieder: Daher die Supermarktdringlichkeit am Vortag.) Oder auch Anrufe und SMSs. Und Caches. --- Darum sind wir trotz wehender Fahrt erst spätnachmittags in Darmstadt. Dort feiern eine Million Menschen ein Fest. Es erschließt sich uns nicht welches. Wir haben zu tun, mit unseren Rädern schiebend durchs Gedrängel zu kommen. Und werden dabei als Sonntagsfahrer beschimpft:) Ein Widerspruch lohnt der Worte nicht, wir suchen Nahrung. Und finden welche. --- Ein letztes 20-Kilometer-Flachlandstück vor einem wirklichen Heimatgefühl - aus der flachen Rheinebene auf die ersten Odenwaldberge blicken! --- Es folgt die letzte Überraschung des Tages. Auch konspirativ vereinbart, sogar größtenteils vor den Ohren des Sohnes. Kurz vor dem Ziel bekomme ich schon einen Schreck, als er auf der Straße plötzlich sagt, da stehe unser Auto. Er meint aber nur Typ und Farbe. An unserem wirklich-wahrhaftigen auf dem Hof der Jugendherberge fährt er dann, noch ganz strapaziert von der Auffahrt (Jugendherbergen liegen so wie Ortsteile immer auf Bergen) blicklos vorbei. Ebenso wenig Blicke hat er dafür, wer sich sonst noch so im Garten der JH herumtreibt. Ich winke ihnen schon hinter dem Rücken und drehe mich unauffällig so, dass sie einfach in sein Gesichtsfeld fallen MÜSSEN. Es dauert trotzdem noch - bis zu dem Ausruf: "Was macht Ihr denn hier?!" --- Der Rest des Abends ist gemütlich Geburtstagsessen mit Papa und Schwester. (Auch ich bin ganz erfreut. Hatte ich doch mein Töchterchen SEHR vermisst.) --- Die einen fahren dann 45 min mit dem Auto wieder nach Hause, die anderen legen sich ins karge Jugendherbergszimmer und lassen sich diese letzte Etappe nicht nehmen. Nicht mal ein Stück Gepäck geben wir mir. (Was aber eher mit unserer Müdigkeit zu tun hat und dem Unwillen, zu später Stunde noch sortierend in den Taschen zu wühlen.)

Montag, 2. September 2013

(Tag 14: Hanau - Zwingenberg)

Wir sind fast zu Hause, von hier (Zwingenberg) ist es noch eine harmlose Tagesetappe. Deswegen setzen wir uns jetzt schnell und außergewöhnlich früh (d.h. zu meiner üblichen Blogschreibzeit) auf die Räder und geben dem nach, dass es uns nun doch spürbar nach Hause zieht. Tag 14 und Tag 15 erzähle ich dann bequem von der heimischen Riesentastatur aus, heute oder morgen ...

Sonntag, 1. September 2013

Tag 13: Crainfeld - Hanau

Teil zwei der Auffahrt nach Hartmannshain - es sind doch noch 140 Höhenmeter, die wir uns einsam schnaufend hocharbeiten. Gerade als der Kopf vom Gequält- und Fluchmodus in den meditativen Zustand übergeht und ich im Treten versinke, sind wir oben. 570 m - höchster Punkt der Reise. Wir feiern dies mit Milchkaffee und Schorle und verlassen den Biergarten, als erste Radlerhorden - es ist Wochenende - eintreffen. Die Landschaft, die Blicke, der Radweg weiterhin traumhaft, während wir viele viele Kilometer abwärts rollen. Wenn wir zwischendurch mal treten müssen, Ortsdurchfahrten und so, fühlen wir uns gleich angestrengt. Wirklich, wir rollen über weite Strecken bis Ortenberg - das sind 25 km und 450 Höhenmeter. In die umgekehrte Richtung hätte ich das ja nicht fahren wollen, stelle ich mir vor. Wären wir aber, wenn nicht die Zecke ... Na, vielleicht hätten wir das auch geschafft. --- Jedenfalls sind wir jetzt so tief wie seit der Elbe nicht, glaube ich. Um der ungewohnten Tiefluft und Wärme - spürbar anders als oben! - zu entfliehen und noch etwas vor dem Mittagsimbiss getan zu haben, schrauben wir uns zum Ortskern von Ortenberg hoch. --- Die restlichen 40 km, mit einem Wort gesagt, ziehen sich. Die Zivilisation kommt näher, die Autofahrer werden unfreundlicher, der Horizont ist häuser- und industrieüberschüttet. Der Bahnradweg ist weiterhin fabelhaft ausgeschildert und asphaltiert, aber die Hügel, DIE HÜGEL!!! Irgendwann quälen wir uns beide, brauchen immer häufiger Pausen, wollen nur noch ankommen. Abwechslung durch zwei Caches am Wegesrand, immer wieder Trinkpausen, und dann tatsächlich noch Anhalten, um die Regenjacken herauszuholen. Es hatte schon den ganzen Tag danach ausgesehen, abends erwischt es uns noch. --- Übrigens: Wir kamen den ganzen Tag an keinem einzigen Supermarkt vorbei. Es ist zwar löblich, dass die Radwegeplaner den gemeinen Radler vor einem unbedachten Großeinkauf an Getränken schützen wollen, aber heute - Samstag und Geburtstagsvortag - hätte ich einen gebraucht. Doch doch, in Hanau Stadt war dann einer. --- Diesmal keine Adressen aus dem Radwanderführer nutzen können, keine Lust stundenlang zu googeln, völlig überhöhte Preise hier im Rhein-Main-Gebiet, daher habe ich einfach bei booking com das Günstigste gegriffen (naja, günstig geht anders). Was man dem nicht ansah: wir schlafen hier umgeben von Spielhallen und Erotikshops. Ein paar andere Hotels sind auch noch in der Nachbarschaft, und das unsere ist wirklich in Ordnung, aber es gibt schon Typen auf der Straße, wo der Sohn nur den Kopf dreht. Ich eigentlich auch, doch ich habe im Leben schon mehr gesehen. --- Vorteil der Lage allerdings: nur ein paar Schritte in die Fußgängerzone, und dort eine leckerste Pizzeria. Danach fallen wir erschöpft wie selten ins Bett.