Dienstag, 27. Oktober 2015

Grenzblicke Tag 4:Büchen - Alt Garge




Schon wieder ein Seeblickerwachen vom Feinsten ...



... und Sonnenfrühstück an einem sich gerade warmräkelnden Hitzetag.



Wir schwitzen uns auf die Elbberge hinauf, können die Elbe da unten sowieso nicht erkennen und fragen uns, was diese hochgelegene Naturaussichtsplattform bei solchen Temperaturen eigentlich soll ...



... während wir uns hier zunächst fragen, wieso gähnende Leere am Eiscafé herrscht - und dies in dem Moment verstehen , als uns tausende Wespen umschwärmen.



Unser erster Wachturm, heute der Vogelbeobachtung dienend ...



... und brettlebener Radweg, wohin das Auge blicket.


Zwei Räder an Mülltonne.



Und: Zwei Räder, garniert mit Motorenlärm.
(Was aber - zugegeben - das einzige anstrengende Geräusch des Tages war.)



Zu einer einsamen Zeltwiese sagt man trotzdem nicht nein. So still ist die Elbwelt nun doch nicht, dass wir von der Ruhe genug haben.

Hier habe ich damals über den Tag erzählt.

Montag, 26. Oktober 2015

Grenzblicke Tag 3: Salem - Büchen


Unsere erste Zeltnacht ist wassereingerahmt: vor dem Schlafengehen im See baden, nach dem Aufstehen im See baden. (Das Wasser ist so warm, dass sogar ich das nicht auslasse. Psst: Ich bin nämlich  ausgesprochene Warmbaderin.)


Das Einpacken braucht (und bekommt) seine Zeit ...



... die Wege werden gefahren, ob erlaubt oder nicht ...
(keiner der sich dort scharenden Radler weiß, wozu diese Absperrungen gut sein sollten)



... das Mittagessen wird gegessen, wenn es am Wegrand vorbeikommt, notfalls auch vor dem 20. Kilometer ...
(ja, das Salatdressing schmeckt so künstlich wie es aussieht:(  )



... und am See zu sitzen ist überhaupt das Größte.



Ein Hauch von dörflichem Norden ...



... und gleich nebendran eine Tankstelle, welche die frühere Grenzabfertigungsstelle nicht mehr erahnen  lässt.



Ein "geschleiftes Dorf", "Aktion Ungeziefer", 1952, sagen die Gedenktafeln. Die Tochter fragt, ich erzähle und erkläre.



Und mitten aus dem härtesten Beton sprießen doch zuweilen zarte Blumen ...




Das letzte Bild vom Tage: eine Brücke, die frühere Transitstrecke. Auch meine Eltern müssen hier entlanggefahren sein, als sie Mitte der 80er Jahre erstmals die Verwandtschaft im "Westen" besuchen durften.

Heute stehen unscheinbar ein paar Angler unter der Brücke. Ob es dort zum Campingplatz ginge. Sie wissen es nicht genau. Aber es würden immer so viele Leute mit Gepäck vorbeifahren. Bestimmt also.

Hier habe ich damals über den Tag erzählt.

Sonntag, 25. Oktober 2015

Grenzblicke Tag 2: Ratzeburg - Salem


Die Radreise des Sohnes war kurz, sie endet hier schon, weil es mit seinem Fuß einfach nicht geht. Ab heute fährt die Tochter mit. Als kleiner vorfreudiger Springball zieht sie mit mir in die Pension ein und hilft mit, dass unser Zimmer alsbald so aussieht:


Explodierte Fahrradtaschen an Plüschmobiliar.
(Dieses Faszinosum, dass SO wenig Radtasche SO schnell SO viel Herumgeliege erzeugen kann. Und dass es am Morgen immer wieder reinpasst, das ist Faszinosum Nummer Zwei.)



Kurz vor Mittag kommt die Sonne heraus, und wir verlassen diese leicht muffigen Hallen.



Sind nach einigen Kilometern in Grenznähe und können nicht vorbeiradeln am Hochstand, von dem aus man einen ersten Blick werfen kann. Wie man sieht, sieht man nichts mehr.
(Mein Engagement, jeden Grenzblick und jeden Gedenkstein aufzusuchen, wird nicht über 1000 Kilometer so anhalten. Dafür werde ich immer deutlicher spüren können, dass, was in der Natur längst zugewachsen ist, zwischen den Menschen diesseits und jenseits der Linie noch besteht. Ein Riss irgendwie, an manchen Orten.)



Viele Gedenktafeln stehen hier, ein ganzer Erinnerungspfad. Ich erzähle der Tochter viel. Sie hört gebannt zu und kann das alles kaum glauben. Es ist ja auch letztlich eine schier unglaubliche Wirklichkeit.



Für ein ganzes Grenzmuseum reicht unsere innere Kondition nicht mehr.



Statt dessen Versorgung im Landhandel, kurz bevor um 13 Uhr in der Region das Wochenende ausbricht. Puh, Glück gehabt.



Einsame und verlassene Straßen also. Sonst hätte das Kind nämlich nicht einfach mittig am Fahrrad herumkruschteln dürfen, ohne dass ich es per Angstgekreische von der Straße gefegt hätte.



Einsam und verlassen auch die Café-Situation. Als wir gegen 17 Uhr endlich eines finden, ist der Hunger so groß, dass es der Kuchen nur angebissen aufs Foto schafft. Tut mir leid. In einem solchen Hungerzustand muss man Prioritäten setzen.



Der Rest des Tages ist Zeltplatzsuche. Einer will uns nicht, weil er voll ist. Der andere jagt uns zum Anmelden auf den Berg, schenkt dann aber diesen Seeblick. Und wir wohnen direkt davor. Das haben wir verdient, finden wir.
Baden, schauen, einatmen, ausatmen.


Viel mehr noch als es die Bilder zeigen, war der heutige Tag gefüllt mit Gedanken über Grenzen. Hier schrieb ich darüber.


Samstag, 24. Oktober 2015

Grenzblicke Tag 1: Lübeck - Ratzeburg


Nach einem Ausruhtag brechen wir auf, die Jugendherberge hat keinen Platz mehr, und eine kurze "Invalidenetappe" nach Ratzeburg trauen wir uns schon zu. Der Sohn radelt quasi nur mit einem Bein (sagt er, weil am anderen die Narbe juckt und zwickt, und weil die Muskeln im Fuß nach vier Gipswochen ja ganz vernachlässigt sind), ich immer vorsichtig, nicht allzu viel Wind in mein antibiotisch heilendes Auge zu bekommen ...



... so starten wir vom JuHe-Hof aus ...



... und durchqueren bald Lübecker Vorstädte und Naherholungsgebiete, den Menschen beim Leben, beim Ruhesuchen zuschauend. Fahrstimmung auf den ersten Tritt. So schnell schon angekommen im Flow des Unterwegsseins.
Und schnell auch im altbekannten Erlebnis Nahrungssuche. Ja, das wird sich durch die Reise ziehen. Die Grenze, die ehemalige, ist immer noch ein verlassener Landstrich. Immer noch dünner besiedelt, schwächere Infrastruktur. Die Mittagessenssuche - nicht nur hier - erinnert an hinterste Fuchs-und-Hase-Winkel in - zum Beispiel - Brandenburg.



Und doch kommt irgendwann eine Dönerkneipe des Wegs, und passend dazu ein Regen, ein längerer. Als alle Reisenotizen, Navieingaben, Twitterantworten fertig sind, ziehen wir unsere Romane aus den Packtaschen. Und sitzen. Und lesen. Und lesen. Und sitzen.
Ein Gefühl unbegrenzter Zeit, ein Feriengefühl, wie es besser nicht sein kann.



Im irgendwann nur noch tröpfelnden Regen wagen wir uns wieder in die Wälder, endmoränenhügelig, anstrengend für uns zwei Rekonvaleszenten, aber in mir ist schon alles stimmig. Kein Hetzen, kein Schnellseinwollen, nur  Treten und Sein. Hach.



In Ratzeburg sind wir viel später als gedacht, der Dom ist schon geschlossen ...



... dafür gibt es Sonne überm See ...




... und ein Abendessen mit Domblick.
Kurz zögern wir, ob wir die Pension nicht doch absagen und zelten, weil doch das Wetter jetzt so gut geworden ...
Am nächsten Morgen werden wir von trommelndem Regen geweckt werden und froh sein über das trockene Bett.

PS. Unversehens bin ich ins Präsens gerutscht. Erinnern schafft Reisegegenwärtigkeit. Gut so.


Grenzblicke Tag 0: Lübeck


Mein Alltag hat in den letzten Tagen rasant an Fahrt aufgenommen. Ich bin auf der Suche nach Haltegriffen, nach Pausenbänken, nach Ruhepolen. Doch doch, es geht schon. In einer Woche sind ja Ferien, die zumindest eine Pause im Wirbeln schenken werden.
In einer Woche werden wir zu einer Kurzreise aufbrechen, und den Rückweg werde ich, wenn das Wetter hält, was die Vorhersagen versprechen, mit dem Fahrrad zurücklegen. Tataaa! Ich kann meine Vorfreude nicht verhehlen. Wozu sollte ich auch ...

Und während ich noch plane und überlege, welche Strecke sinnvoll, passend, stimmig ist, grabe ich meine Sommerreisefotos aus. Ganz untergegangen sind die bisher, nicht näher angeschaut. Da sind genug innere Bilder in meinem Kopf, das ist gut.
Gut aber tat es auch, wie ich gestern erstmals in meinen Fotoordnern versank, einige Blogtexte nochmals las, mich in aller Intensität erinnerte.

Ein paar Bilder werde ich herzeigen, stückchenweise, tageweise, immer mit dem Link zum Blogeintrag von damals. Dieses Sortieren und Sichten wirkt in heftigen Schultagen wie eine Ruhebank auf mich. Wie eine Einladung der Erinnerung: Komm setz dich, schau dich in mir um, weißt du noch?, und nun gehe weiter, ich trage dich, ich begleite dich, und ich lasse dich wieder los, wenn die nächsten Schritte frei gesetzt werden wollen.

Wir starteten in Lübeck mit einem ungeplanten Ruhetag, waren alle ein wenig krank. Der Ferienanfang und wir, das war diesmal ein schwieriges Zueinanderfinden. Lest hier. Oder schaut einfach nur, wie ich mich erinnere ...



... an den Abendspaziergang in der sonnenuntergehenden Stadt, nachdem wir von der Autobahn die Augenklinik und eine Schar von Apotheken aufgesucht hatten. Hier fiel die Anspannung ab, hier entschieden wir, am Startpunkt unserer Reise zunächst innezuhalten.



Waren doch weder der Sohn noch ich gesund genug, um sofort aufs Rad zu steigen.



Wie gut das war, hier zu bleiben, unter wärmstem Sommerabendhimmel und ...



 ... am Wasser (an welchem ich, da es von solchen eigenartig schwankend-stehenden Gestalten bevölkert war, das Wort Stand up Paddler kennenlernte) ...



... rund um das Holstentor meines Kindheitspuzzles (750 Teile, Ravensburger, tausendmal gepuzzelt, und nun wie ein Kind fasziniert davon, dass es dieses Bild auch in Groß-3D gibt ;-))



Wir treidelten einfach nur zwischen den Altstadtgemäuern umher, es war unendlich heiß (Hitzewelle - wisst ihr noch?), und unser Dauerbedürfnis war: ein Eis!



Und die Tochter brauchte noch mehr Abkühlung. Was war es aber auch heiß damals ...


Dienstag, 20. Oktober 2015

Morgennebelwege


Ein Impuls drängt mich zur Tür, lässt sich nicht aufhalten vom Regen, der einen draußen empfängt,
lediglich einen Tausch bewirkt die Nassheit, Kapuzenjacke gegen Fototasche, mich einhüllen statt Bilder auszuwerfen,
und einen Wechsel des sonst immer eingeschlagenen Weges, heute lieber Asphalt. (Später werde ich mich doch noch ins Gras wagen.)

Das Dorf bald nur noch als Neubaudächerkulisse vor Hügelkette erahnbar, und durch seinen Baustellenlärm, der die Stille durchdröhnt,
das ungleiche Baumpaar, dessen schwacher Teil schon lange nur noch in mir weiterlebt (ob sich sonst noch jemand erinnert?),
die mich anstarrenden behäbig kauenden Rinder, darüber ruhelos wirbelnde Vögel, wie kann es sein, dass man solch konträre Wesen gleichermaßen Tiere nennt?

Der Streuobstapfel mit der faulen und der frischen Seite, der ins Gras weiterziehen darf, während sein roter heiler Bruder vom Ast in meine Tasche wandert, ein Frühstücksanfang,
der Mountainbiker, der wohl das sucht, was man körperliche Ertüchtigung nennt, und ich, was suche ich? seelische Erbauung? (wenn wir schon bei antiquierten Wörtern sind),
der Winterraps, dessen frisches Grün irritiert wie ein aus der Zeit Gefallenes und mich dennoch innerlich belebt, mich Herbstkind, was mich fast schon wieder ärgert.

Das dunkle Schild vor hellem Himmel, welches, starrt man nur lange darauf und ändert dann leicht die Richtung des Blicks, zu leuchtender Weisung vor tiefem Grau wird, wie kurz greift hier die Erklärung mit den Stäbchen und Zäpfchen im Auge, wie kurz,
der verdorrte Wald von Sonnenblumen, mit ihren hängenden Köpfen stehen sie tapfer im Wind, geborgen von einer Bäumeschar, deren Äste nie erlernt haben, aufrecht zu wachsen, wie gut und wie richtig sieht ein Baum dabei aus - oh, jetzt komme ich mir immer näher,
die Erinnerung an mich selbst, wie ich jüngst das Angebot liebevollen Berührtwerdens nicht anders beantworten konnte als durch Rückzug in meinen Käfig aus Sprödigkeit, welch Erfahren und Erleben liegt all dem zugrunde, und wie wäre es wohl, meine einengenden Stäbe einzuweichen, allmählich, so dass sie sich auflösten, ohne zu splittern, ohne zu bersten, ohne sich in irgendjemandes Wunden zu bohren.

Morgenwege durch den Nebel.
Nebel schenkt zuweilen die klarste Sicht.


sonntags, immer


Mir fehle das Ausflugsgen, sagte ich neulich zu jemandem. Ich habe keine Sehnsucht danach und kein Talent dafür, den Samstag mit Plänemachen und Vorbereitungen, den Sonntagmorgen mit Broteschmieren, Kinderwecken und hastigem Aufbruch und den Sonntagabend mit hektischen Alltagsvorbereitungen und stetem Blick auf die schon viel zu weit fortgeschrittene Uhr zu verbringen. Was dazwischen liegt - das Sonntagsausflugsdasein selbst - das könnte mir gefallen. Weil ich aber das Drumherum nicht ausstehen kann, krieche ich selten aus meinem Wochenendschneckenhaus. Kurzum, wir bleiben meist daheim.

Neulich aber, da sattelten wir unsere Räder, schlossen uns tausenden anderen Familien an und fuhren an den Rhein. Es war ein guter Tag, ja doch. In der Erinnerung ein farben- und wärmegefluteter Tag, im Innen wie im Außen. So verlockend wohltuend, dass wir, bevor wir noch die Rückfahrt antraten, sogleich neue Pläne geschmiedet hatten. Ins Elsass, das so nah ist. An die Quelle des Bächleins, das uns täglich vor den Füßen herumplätschert. In die große Stadt nur wenig südlich von uns, die wir noch kaum kennen.

Gesagt, nicht getan. Die Wochenenden für diese Unternehmungen sind schon längst wieder vergangen. Keiner hat die Pläne mehr erwähnt, so als wären alle froh, dass wir uns das Packen und Satteln sparen und unsere Sonntage einfach ganz ruhig verbringen. Angefüllt mit dem, was Sonntage eben zu Sonntagen macht.

In der meditativen Stimmung des Bilderbetrachtens und -sortierens nämlich springt mir vor und in die Augen, dass es ganz gleich ist, wo ich bin. Ein Sonntag ist ein Sonntag ist ein Sonntag. Und ist zuweilen auch ein Samstag oder ein ganz anderer Wochentag. Auf den Hügeln meines Dorfes verbracht, oder am heimischen Kachelofen (der ja schon längst keiner mehr ist), oder eben "im Grünen", das auch schon keines mehr ist. Sonntag ist, was ich zu einem Sonntag mir mache.

Wenn ich nämlich eingefahrene Gleise des Alltags verlasse. Sei es auch nur, um abends wieder zurückzukehren.



Wenn ich die Zeit zwar im Augenwinkel behalte, sie nicht ganz vergesse, aber sie doch nicht mehr im Mittelpunkt meines Schauens steht.



Wenn ich mich freimache, den gewohnten Trott verlasse, hinauslaufe, im Innern wenigstens.



Wenn ich ein Stück Himmel entdecke. Das versteckt sich manchmal auch unter der Bettdecke.



Wenn ich einen Blick auf ungewohntes Licht in ungeahnten Weiten erhasche. Die Augen eines anderen Menschen reichen dazu, oder die Zeilen meines Tagebuchs.


Wenn ich mir selbst den Fluss sichtbar mache, in all seinen Dimensionen, seiner Behäbigkeit, seiner Kraft.



Wenn ich dahintreibe, auf genau diesem Fluss. Oder manchmal nur auf einem Rinnsal. Sonntage dürfen sich auch dürstend anfühlen.



 Wenn ich all die Farben am Ufer sehe. Am anderen, oder an meinem.



Oder aber Farben, für die es keine Ufer braucht.



Wenn ich einen Weg gehe, der ins Irgendwo führt. Das manchmal im Innern, manchmal im Äußeren, manchmal im Nichts liegt.



Wenn ich mir dort - vielleicht gerade am Punkt des tiefsten Nichts? - meine Kathedrale bis in den Himmel errichten kann. (Wo habe ich nur dieses Bild von der Kirche im Inneren gefunden? Es ist mir zugeflogen.)



Wenn mir die eine oder andere morsche Stelle, manch Riss im Alltagsgefüge sichtbar wird.



Wenn Struktur, Ordnung, Muster für einen Moment verborgen und unerkannt bleiben dürfen.



Wenn scheinbare Unscheinbarkeit sich unversehens als atemberaubend Geschöpftes entpuppt.



Wenn Zeit ist, einfach dazusitzen und vor sich hinzuschauen. Wie Astrid Lindgren es so schön sagt.



So ist es hier, sonntags.
Wobei, wie gesagt, sonntags auch samstags sein kann. Oder alltags. Oder allnachts.
Oder gar immer?