Samstag, 31. März 2012

Von gestern und vorgestern

Wie immer - alle sind zum Umfallen erschöpft. Es ist der letzte Schultag, der erste Ferienabend.
Wie noch nicht immer - es gibt eine Handvoll junger Kolleginnen, die den Gedanken leben, zum gemeinsamen Arbeiten gehöre auch gemeinsames Feiern.
Also: ein Fest. Wo eigentlich, fragen wir? Im Foyer vor dem Lehrerzimmer. Klar doch :)
Wir haben hier alles, was wir brauchen. Geografiekartenständer als Beleuchtungshalter, Farbkreisel aus der Physiksammlung (schaffen eine Atmosphäre wie in der Dorfdisko :)), Sitzsäcke aus der Ganztagesbetreuung, große bunte Tücher aus dem Theater-AG-Fundus, die Anlage aus dem Musiksaal, ein riesiges Würstchen-Erwärm-Ding (vom Freundeskreis für Schulfeste angeschafft), die Espressomaschine des Italienisch-Kollegen ...
Und wir haben uns.
Es ist wunderbarst, denke ich den ganzen Abend. Ein Glück, in solcher Atmosphäre zu arbeiten.
(Und die Anmeldezahlen von vor drei Tagen machen Hoffnung, dass das auch so bleiben darf :))

Und dann haben sie Musik besorgt, die jungen Kolleginnen. Quer durch die Jahrzehnte. Das ist irrsinnig, wie es abwechselnd die verschiedenen Altersgruppen auf die Tanzfläche zieht. Seine Jugend hat offenbar niemand vergessen. Man erkennt die Kollegen nicht wieder :)
Naja, mich erkennen sie ja vermutlich auch nicht wieder, die anderen. Bei der Neuen Deutschen Welle erwischt es mich. --- Ich war vierzehn, achte Klasse, das Thema Jungs rückte in den Fokus, und der erste Kuss. --- So lange her, und plötzlich so nah, bei diesem hier, und diesem, und diesem, und sogar diesem :) , ein Gefühl wie auf der Klassenfahrt, damals ...
(Und als ich die heute Abend im Video sah: Jep, das war's. Was hätte ich gegeben um so eine Weste. Und wie bitter war es, dass meine Haare partout nicht so wachsen wollten wie diese. --- Während ich erinnerungsschwelgend in einem nach dem anderen versinke, schaut mich der Sohn nur fragend von der Seite an - "Mama?!" - Naja, mutet schon seltsam an. Von heute aus sehe ich's auch. Und die Texte betrachtet man lieber nicht aus der Nähe :))

Plötzlich erfährt man von den Kollegen übrigens auch, wer wie alt ist. Das sieht man manchem sonst nicht an. Und in welchem Alter wer welche Musik gehört hat. Und welche Geschichten damit verbunden sind. Gestern Abend erzählen wir uns so einige Geschichten. Ich auch - eine, die gut als Plot für einen mittelkitschigen Film herhalten könnte. Stellen die Kollegen fest. In dem Moment merke ich's auch.

Es fühlt sich irgendwie gut an, so mit VierzigPlus. Man hat schon filmreife Geschichten erlebt, und - vielleicht? - noch welche vor sich. Man fühlt sich bei der Musik von vor dreißig Jahren plötzlich wieder ganz jung, aber in mancher Hinsicht auch schon wohltuend jugendsturmgeglättet. Man arbeitet mit solchen zusammen, die fast zwanzig Jahre älter sind, und mit solchen, die fast zwanzig Jahre jünger sind. Man hat das Gefühl, beide Alter sind einem nahe.

So ein Abend war gestern.

***

Und heute fällt mir ein, wie mich der Sohn vor ein paar Tagen ausgequetscht hat. Ob er denn nicht einen MP3-Player bekommen könne, die meisten aus seiner Klasse hätten schon einen. (Na klar, denke ich, sollst auch einen haben. Kommt ja wieder ein Geburtstag.)
Und wo er denn dann die Musik dafür herbekommen solle, fragt er. Was für Musik, frage ich, was hört Ihr denn? Ich habe ja keine Ahnung. Er weiß es auch nicht. Was die anderen halt drauf haben. Er hört manchmal begierlich mit.
Wo man das herbekomme? Wiederum: Ich habe keine Ahnung. Ob man das im I-Net runterzieht - und ist das eigentlich legal? - oder kauft man CDs und überspielt sie sich? Oder ob man es sich aus dem Radio aufnimmt? Oder von anderen abstaubt?

Zeitrückwärtssprung - wir damals:
Montags und freitags von acht bis halb zehn Abends heimlich unter der Bettdecke "Schlager der Woche" gehört. Und als wir später einen Fernseher hatten, gab`s samstags die Hitparade im ZDF - erinnere ich das richtig? Besonders begehrenswerte Songs (oder Hits, oder wie sagte man damals?) nahmen wir auf einem Familien-Rumpel-Knatter-Kassettenrekorder auf. Ich glaube, quer durch den Raum, ohne Kabel, Rekorder vor's Radio gestellt, so haben wir das anfangs gemacht. Und immer schon die Kassette (gelb oder rot, von BASF, ich seh sie noch vor mir) am Frühabend präpariert, an die richtige Stelle gespult - ein Alptraum, sie falsch herum eingelegt zu haben ...
Dann endlich der erste eigene Kassettenrekorder, zusammengespart und den Rest zur Konfirmation gewünscht, einer aus dem "Westen". Die ersten Walkmans gab es zu der Zeit theoretisch auch schon, die kosteten bloß so viel wie ein Monatsgehalt des Vaters. Deswegen "theoretisch". Immerhin kannte ich einen, der einen kannte, der einen hatte ...
Erst zu Abizeiten, oder erst im Studium?, dann ein eigener. Auch wieder "von drüben" geschenkt, wie alle folgenden. (Wie war das eigentlich für meine Freunde ohne Westverwandtschaft? Bin ich ignorant, dass mir diese Frage heute zum ersten Mal kommt?)
Jedenfalls, ihre Haltbarkeit scheint begrenzt gewesen zu sein, denn viele, viele Walkmans nannte ich im folgenden Jahrzehnt mein eigen. Einer liegt noch in einer Uralt-Technik-Kiste im Keller. Bzw. lag da, bis der Sohn ihn jüngst entdeckte. Er fand das alte Teil unglaublich cool, und die dazu aufgestöberten Loriot-Kassetten sowieso. Seither trifft man ihn nur noch mit Kopfhörern an. Und seinen Freunden hat er das schwarze Wunderwerk auch schon gezeigt :)

Wie das heute gehen mag mit der Musik, wo man die herbekommt? Das soll er mal schön selbst herausfinden, bei seinen Freunden, bei den Älteren aus seinem Orchester - mögen die ihn instruieren. Aber jedenfalls: seinen MP3-Player soll er demnächst haben.
Nicht nur, aber auch deswegen: damit er in dreißig Jahren in ebensolche Erinnerungswellen eintauchen darf wie ich gestern.

Und wenn der Sohn demnächst mit sonderbaren Kleider- und Frisurenwünschen daherkommt, werde ich mich an gestern erinnern, und an meine Zeiten, die sich gestern noch wie gestern anfühlten, und versuchen verständnisvoll zu bleiben ...

Mittwoch, 14. März 2012

frühlingsfrei

Seit Wochen der erste Tag, an dem nicht ein Berg von akutdringenden Aufgaben vor mir steht. An dem ich schon mittags daheim bin, sogar zum Mittagessen. Und zu einem anschließenden Mittagsschlaf, mit ruhig sich beschäftigenden Kindern irgendwo in anderen Zimmern des Hauses :) Ein Frühlingssonnentag, der mich schlafgedämpft um halb fünf aus dem Haus treten sieht und mit seinem Strahlen - es dauert, aber es wird - wieder in die Wachheit führt. Ein paar Blätter im Garten hebe ich auf, ein paar Blicke auf Knospen und grünes Keimen werfe ich. Ein paar Schritte, ein paar Minuten die Strickjacke ablegen, kurzärmlig das erwachende Leben auf der Haut spüren. Es ist so selten, so ungewohnt geworden, dass ich nicht sofort wieder aus der Ruhe wegeilen muss. Dass ich durch meinen Tag schlendern darf. Im Haus den aus Schubladen hervorquellenden Kleiderärmeln, den unter Betten tanzenden Staubmäusen, den im Waschbecken sich ringelnden Kinderzahnpastawürmern begegne und einfach weiterschlendere. Hier eine Murmel aufhebe, dort eine Sohneshose wegräume, dort ein Tochterbuch ins Regal stelle ... (Nein, so erratisch war es nicht. Aber es fühlt sich so an - weil es Kontrast zu meinem sonst so straffen und strukturierten Programm ist, dass ich heute hier im Haus einfach von Zimmer zu Zimmer, von Minute zu Minute, von Schritt zu Schritt ging und tat, was mir in die Hände fiel?)

Und während ich in den Kinderzimmern spüre, wie sehr meine Präsenz den Kindern in diesen arbeitsdominierten Zeiten fehlt, während ich heute ganz ruhig dort verweile - da ist es plötzlich unheimlich nah und gut und stimmig wie selten. Da erzählt mir die Tochter etwas ungeheuer Bedeutendes, fast über die Schulter geworfen, während sie malt und ich auf dem Boden Wäsche lege. Ich fange ihren Faden auf - und wir fliegen im Gespräch hinweg. Dorthin, wo wir lange nicht waren. Und der Sohn, der im Moment viel wünscht und fordert, der wünscht und fordert auch heute wieder. Sehr energisch, sehr bestimmt. Ich aber schaffe es, seinen Wunsch auf morgen zu verlegen und ihm ruhig zu erklären warum. So ruhig offenbar, dass seine pubertierenden Emotionen ganz still in ihrem Eckchen hocken bleiben. Und er mich statt dessen mit einem "ich hab dich lieb" umarmt. (Unser sich anschließender Dialog war so nah, so intim, dass ich ihn hier nicht ausbreiten möchte und darf.)

Nun ist es spät geworden. Ich staune, dass ich so lange in der Ruhe geblieben bin. Dass ich auch nach abendlichem Computereinschalten - im Moment bearbeite ich einen großen Teil meiner dienstlichen Aufgaben als Mailkontakt - nicht ins Abarbeiten oder Gedankenkreisen zurückgefallen bin. Dass ich die Arbeit bis morgen stehen lassen kann, auch wenn es kurz in mir sticht, wie dringend doch dieses jetzt ist. --- Nein, fällt mir ein, das ist kein Grund jetzt damit anzufangen. So steht es doch überall in den Ratgebern zum Zeitmanagement für solche Überforderten wie mich: man müsse schaffen, das Wichtige anzugehen, und es nicht unter dem Dringlichen versinken zu lassen. Wenn ich ehrlich bin: bei mir hat in den letzten Wochen das Dringliche ein straffes Regiment geführt. Ich habe es zugelassen. War zu überrollt, um mich zu wehren, zu neu in dieser Art der Belastungssituation, zu atemlos gefordert, um den Kopf frei zu bekommen zum Segelsetzen. Denn nicht der Wind, sondern die Segel bestimmen die Richtung, wie man sagt.

Ich werde Segelsetzen lernen müssen. Um das Wichtige vor dem Andrang des Dringlichen zu schützen.
Wichtig - das ist zum Beispiel ein Tag wie heute. Immens wichtig. Möglicherweise sind solche Tage wie heute sogar das Allerwichtigste.

(Woran ich mich hoffentlich erinnern werde, wenn mir in den nächsten Tagen wieder die Stunden zwischen den Fingern zerrinnen werden, wenn die Aufgabenberge schon rein rechnerisch nicht in die 24-Stunden-Tage passen werden, geschweige denn von meiner Kraft her. Wenn ich vielleicht den Anflug eines selbstzermürbenden ach-hätte-ich-doch in mir spüre - nämlich: Ach hätte ich doch die Stunden am vergangenen Mittwoch dazu genutzt, schonmal dies und jenes zu erledigen ... Dann werde ich in mir hoffentlich den Unterschied von Dringlich und Wichtig wiederspüren. Und den Mut finden für einen weiteren frühlingsfrei-Tag.)

(Zu manchen Posts fällt einem ja kein Schlusssatz ein ...)

Mittwoch, 7. März 2012

Frühlingsbraun

Es liege an den Bergen, dachte ich, als er uns vor zwei Wochen dort einholte. Der Frühling nämlich. Der so braun aussah wie ich ihn nicht zu erinnern meinte. Grün wäre er, frühlingsfarben wäre vor allem grün, meinte ich vor meinem inneren Auge zu sehen. Dort hoch oben also Frühlingswärmegeruch in braun. Ein mir neues Bild.










Gestern lief ich hier über die Felder. Das unglaubliche Licht zog mich hinaus. Und - ich weiß wirklich nicht, ob ich das schon jemals so wahrnahm - wieder braun. Nicht nur die Jacke der Tochter ...










Ich bin überrascht. Es knospt erst noch. Ich werde auf die neue Farbe noch warten müssen.













Es ist gar nicht so einfach, neue Farben in ein Bild zu binden. Zumal wenn sie so versteckt sind ...

Dienstag, 6. März 2012

"Die Welt verändert sich im Sterben ..."


Worte, lebenslehrend ...

... man muss nur mit dem Ohr ganz nah an den Lautsprecher gehen ... doch, man kann etwas hören ... nur nicht im Vorübergehen ... und wenn man sich zu you.tube klickt, kann man auch besser sehen ... aber eigentlich gibt es nichts zu sehen ...

Mir begegnete der vierte Teil, zunächst.
Ganz still wurde es in mir.
Ich lauschte. Und lauschte weiter. Und lauschte allem.
Diesem hier:



Und nun gehe ich schlafen.
Befriedet und wach und lebensgeöffnet ...

(Und warum die Bilder von Blogger so angeordnet werden, wie sie werden, muss ich heute nicht mehr ergründen. Ich habe das nicht gemacht. Es passt.)

Sonntag, 4. März 2012

Selbstschutzschritt

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Und den Mut, diese vom Gedanken in die Tat umzusetzen.

Tatsächlich. Ich tue es.

Wie Kinder auf dem Bolzplatz kabbeln die wertenden Protagonisten - Pflichtbewusstsein und Erleichterungsgefühl, Schlechtgewissen und Befreiungsempfinden - noch ein wenig vor sich hin. Ich stehe wie eine unbeteiligte Beobachterin daneben und sehe deutlich, wer die Oberhand gewinnen wird :)

Ich tue es. Das tut gut.

Donnerstag, 1. März 2012

Heute gelesen:

Dass es vier Arten von Pferden gebe - "... hervorragende, gute, mittelmäßige und schlechte. Das beste Pferd läuft nach dem Willen seines Lenkers langsam und schnell, nach rechts und links, noch ehe es den Schatten der Peitsche sieht. Das zweitbeste läuft so gut wie das erste, gerade bevor die Peitsche sein Fell berührt. Das dritte läuft, wenn es den Schmerz an seinem Körper fühlt. Das vierte läuft erst, wenn der Schmerz ihm bis ins Mark seiner Knochen gedrungen ist. Ihr könnt euch vorstellen, wie schwer es für das vierte Pferd ist, laufen zu lernen!"
(Shunryu Suzuki)

Und innegehalten:
Nicht empört, nein, nur den Kopf geschüttelt. Dass ich diese Wertung - das beste, das mittelmäßige, das schlechte Pferd - nicht so stehenlassen kann. Nicht nur, weil ich mich selbst als eines dieser vierten Pferde erlebt habe und erlebe.
Laufenlernen als Lebensaufgabe.
Stolpern über die Unvollkommenheit, immer wieder.
Begreifen, allmählich, dass es so ist: Nichts schlechtes, nichts gutes - einfach ein zu Übendes.
(Nein, nicht einfach. Überhaupt nicht einfach ...)

Und weitergelesen:
Vom Leben im ununterbrochenen Fehler. Davon, wie man diese Wertung von sich abschütteln kann. Wie einem das schlechteste zum besten Pferd wird, oder nein: wie man aufhört, einzuordnen, zu vergleichen, zu urteilen.

Und dann - es gibt ja keine Zufälle - kam diese Mail. Vor ein paar Stunden war es. Eine traut sich, mir vom Gefühl ihrer Unzulänglichkeit zu erzählen. Ich sehe durch die Bildschirme am anderen Ende Tränen fließen. Ich schreibe eine kurze Mail zurück. Nein, nicht von den Pferden - das ginge zu weit, zu tief, wäre für heute zu viel gewesen. Nein, ich schreibe nur, dass ich mich auf unsere morgige Begegnung freue. Von viertem Pferd zu viertem Pferd, denke ich mir dabei.
Was ich morgen dann aussprechen werde von diesen Gedanken? Ich bin selbst gespannt. Denn ich begegne ihr im Rahmen meiner neuen beruflichen Rolle. Eine Rolle, die einen solchen Austausch - über vierte Pferde und so - eigentlich nicht vorsieht.
Das "eigentlich" aber lasse ich bewusst in meinem Satz stehen: Es ist der Rolle nicht zueigen, so wie sie konzipiert ist, dass man Pferd sein darf. Viertes schon gar nicht.
Aber darin stecke ja immer noch ich. Ich, die ich die Rolle füllen soll und darf.
Wenn ich mich selbst in meinem Sosein draußen lasse, wird mir dieser berufliche Anzug nie passen. Also nehme ich mich mit - mich mit allem. Mich Pferd eben :)

Ich sehe der morgigen Begegnung mit Spannung entgegen. Ob ich mich selbst zulassen werde? Ob ich die Rolle mit mir füllen werde, auf dass sie nicht hohl bleibe?
Und wie werden die anderen reagieren? Denn - erschwerte Bedingungen! - wir werden uns nicht unter vier Augen begegnen, wir werden Zuhörer haben.
Es wird Mut brauchen ...

(Nun gehe ich schlafen. Mir diesen Mut anschlafen. Und dann offen sein für das, was sich ergeben wird. Fragend richte ich meinen Blick ins Morgen.)