Donnerstag, 30. Juli 2009

Wiedergefunden: So viel!

Ihr erinnert euch an dieses?
Der letzte Schultag ist vorbei, die Aufräumaktion beendet.

Stolzes Ergebnis:
1 Paar Sandalen, 2 Tassen, 3 Windjacken, 4 Strickjacken.
Wow!
Und die Stifte habe ich gar nicht gezählt.

Gesetzt den Fall, das Vergessens-Gen ist bei den 25 Mitschülern meines Sohnes eben so stark ausgeprägt wie bei ihm - wie mag es da nur vor dem Aufräumen im Klassenzimmer ausgesehen haben??? Man stelle sich nur mal 182 Jacken vor ...

Und damit das neue Schuljahr wieder mit solch Erfolgserlebnissen beginnen kann, hat der Sohn am Zeugnistag gleich noch den Sportbeutel vergessen. Die nächste freudige Wiedergefunden-Meldung ist also am 14. September zu erwarten ;-)))

Montag, 27. Juli 2009

Selbstständig ...

... sollen sie ja schon werden, die Kinder. Wer will das denn nicht? Aber manchmal geht die Sache echt zu weit.

Heute zum Beispiel finde ich die Haustür sperrangelweit offen und die dreijährige Tochter dafür gar nicht mehr vor. Ein Blick auf die - ruhige - Straße gibt erstmal keine Antwort. Obwohl ich sie fröhlich vor sich hinplaudern höre, sehe ich - nichts! Suche mit den Augen alle bekannten Verstecke ab, ohne Erfolg. Doch da: eine Autotür steht offen, von dort auch das Plaudern. Aha!

Bald schon klettert sie heraus, schließt die Tür, trippelt mit ihren nackten Beinchen barfuß über die Straße (inzwischen hat sie mich erblickt), schaut dabei mehrmals nach links und rechts, erklärt mir wortreich, dass sie das vorhin auch getan hätte und zeigt mir stolz das im Auto vergessene und nun wiedererrungene Lieblingskuscheltier. Bevor wir das Haus betreten, zielt sie noch kurz mit dem Autoschlüssel nach rückwärts - "Ah, zudachta." (zumachen) -, hängt diesen ans Schlüsselbrett, und schon ist die Aktion erfolgreich beendet. Wäre ich nicht gerade dazugekommen, hätte ich´s wohl gar nicht bemerkt.

Oh je ... das ist mir, glaube ich, doch etwas zu viel der Selbstständigkeit.
In Zukunft werden wir aufpassen müssen, dass immer genug Essen im Haus ist, damit das selbstständige Kind nicht eines Tages auf die Idee kommt, sich ans Steuer zu setzen, um unten im Dorf mal eben ein paar Brötchen zu holen ...

Sonntag, 26. Juli 2009

Standortfrage

Ludwig Wittgenstein fragte einen Bekannten:
Sagen Sie mir, warum die Leute immer behaupten, es sei für die Menschen eine ganz natürliche Annahme gewesen, dass die Sonne um die Erde kreist und die Erde selbst sich nicht dreht?
Darauf erwiderte der Bekannte:“Nun ja, es hat doch den Anschein, als würde die Sonne um die Erde kreisen?
Worauf Wittgenstein fragte:“Wie hätte es denn ausgesehen, wenn es den Anschein gehabt hätte, dass die Erde sich dreht?

Ja, es ist schwer vorstellbar, dass alles auch ganz anders sein kann als die eigene Sicht suggeriert ...
Die Astronomen haben´s schließlich irgendwie geschafft, den Standpunkt eines objektiven Betrachters einzunehmen und die objektive Wahrheit zu ergründen.
Bei zwischenmenschlichen Standort-Differenzen ist das wohl etwas schwieriger. Zumal es dabei keinen objektiven Betrachter und keine objektive Wahrheit gibt. (Punkt)

Freitag, 24. Juli 2009

So wenig

"Mama, die haben wir beim Aufräumen gefunden, aber die haben keinem gehört. Da hab ich sie mitgenommen, weil wir doch so wenig haben."


Stimmt, wir haben so wenig Brotdosen, jetzt, zum Ende des Schuljahres. (Das Foto stammt aus besseren Tagen.) Wenigstens eine pro Woche verschwand im Universum der Grundschule. Der Sohn hat mit diesem Verschwinden natürlich nichts zu tun. Gar nix. Wie er immer beteuert.

Diese beiden Dosen, die mein Sohn mir jetzt entgegenstreckt, tragen zwar am Boden nicht unseren Namensschriftzug, aber genau dieses Fabrikat hatten wir auch mal in unserem Besitz. Bevor sie in irgendjemand anderes Schublade gelandet sein müssen.

Ist es also Diebstahl, wenn ich diesen beiden jetzt in meiner Schublade eine Heimat biete (eine vorläufige ;-))?
Ich entscheide mich für die Antwort nein, denn es ist ja eher so eine Art Bäumchen-wechsle-Dich-Spiel.

Wie naiv muss ich vor einem Jahr, zu Beginn meiner Schulkindmutter-Zeit gewesen sein, als ich alle Schulgegenstände akribisch beschriftete. Diese Namenszüge haben offenbar nur den Sinn, mir bei besagtem Bäumchen-wechsle-Dich-Spiel jetzt ein schlechtes Gewissen einzuhandeln! (Um wie viel klüger handelten da die nicht beschriftenden Eltern.)

Und übrigens - von welchen Dingen wir hier noch so wenig haben:
Windjacken, Strickjacken,
Buntstifte, Klebestifte,
Handschuhe, Hausschuhe ...

Ich sehe den weiteren Aufräumaktivitäten der Klasse meines Sohnes erwartungsfroh entgegen ;-)))

Donnerstag, 23. Juli 2009

An einem solchen Abend, ...

... nach einem solchen Tag,

von acht bis acht an der Schule,
mit 6 Unterrichtsstunden ohne Luftholpause,
mit Mini-Mittagspause (in der wir wieder Hühnern auf der Stange gleich im Lehrerzimmer sitzen, diesmal ein jeder mit einer Papp-Pizza vom Bringservice vor der Nase),
mit einer Endlosreihe von Notenkonferenzen am Nachmittag,

nach einem solchen Tag also,
hätte ich wahrlich diesen Sonnenuntergang verdient


oder diesen Mondblick.

Finde ich.
Nichts von alledem bekomme ich.
Statt dessen schaut mich dieser Himmel an.


Schaut uns zu, wie wir abends auf der Terrasse sitzen (mit einem Sekt, jawoll! wenigstens das) und mein Mann sich liebevoll und tastend bemüht, ob mit mir noch ein Gespräch zu führen sei, nach einem solchen Tag.

Hier ein Auszug daraus, nur zur Illustration, vor welche Aufgabe er sich gestellt sah:

- "Ich habe jetzt die Winterreifen da."
- "Wie, schon aufgezogen?"

Diese Frage meinte ich ganz ernst, in jenem Moment.
Mann schaute irritiert bis belustigt (doch, er wusste um mein ernst-meinen, erlebt er mich doch nicht zum ersten Mal in diesem Zustand).
Und ich wiederum verstand nicht, warum er so schaut. Immer noch nicht. Denn: Winterreifen zieht man doch ums Jahresende herum auf, oder? Haben wir nicht nächste Woche Mittwoch Jahresende? (Zeugnisse!)

Ferien: Ich glaube, ich brauche Ferien. Dringend.

Montag, 20. Juli 2009

Wolkenreisebegleitung

"Wie groß ist eine Wolke?", fragt der Sohn auf dem Heimweg von der Schule.
Nach einigen Rückfragen glaube ich zu verstehen, dass er wissen möchte, wo eine Wolke ihre Grenze hat, wo sie aufhört - wenn man sie doch nur verschwommen wahrnehmen kann.
Hm, eine Antwort finden wir natürlich nicht. Statt dessen betrachten wir nach dem Mittagessen die Wolken am Himmel, ausgiebig und mit der Kamera in der Hand.



Da wandelt es sich in steter Bewegung, da formt sich aus dem Gewesenen ein Neues.
Aus Hellem erwächst Dunkles, das Dunkle löst sich wieder auf.
Mal sind da Wolken leicht wie ein Hauch, mal scheinen sie schwer wie Berge zu sein.
Ständig wechselnde Bilder, ständig verschwimmende Grenzen. Und immerfort Bewegung, sehr schnelle Bewegung heute.
(Nämlich: Das Wetter würde man eher im April ansiedeln.)

Meine Blicke begleiten die Wolken lange auf ihrer Reise.
Und währenddessen haben meine Gedanken Zeit, eine andere Reise zu begleiten - die Reise einer Familie, denen ich in ihrem Unterwegs-Sein von Herzen wünsche, dass die sie erfassende Bewegung nicht zu schnell, nicht zu stürmisch werden möge, dass Dunkles mit Hellem abwechseln und dass aus Gewesenem Neues erwachsen möge.
So wie sie es bei den Wolken über ihren Bergen täglich sehen können.

Letzte!


Die letzte von 125 Klassenarbeiten ist korrigiert, 125 Zeugnisnoten sind gebildet, die gleiche Anzahl von Mitarbeits- und Verhaltensnoten.

Heute vormittag also emsiges Treiben im Lehrerzimmer: Alle tragen ihre vielen Noten in die vielen Listen ein. Als ich dies beobachte, als ich von der Seite auf die Kollegen schaue, wie sie da - Hühnern auf der Stange gleich, denn unser Lehrerzimmer ist seeehhhr eng - die Listen füllen, rutscht mir ein "wie die Bienchen" heraus. Das meine ich durchaus ernst. Nur leider denken die Kollegen in diesem Moment, ich wolle mich über sie lustig machen ... menno. Vielleicht habe ich ja nur das falsche Tier-Gleichnis gewählt ...

Sonntag, 19. Juli 2009

Berlin-Nachlese II: Kindheits-Spurensuche

Wie um die Schullastigkeit der Themen der letzten Tage etwas aufzulockern, fallen mir auf der Kamera weitere Berlin-Bilder in die Hände. Nein: Diese haben nichts mit der Klassenfahrt, sondern nur mit mir zu tun. Entstanden sind sie in einer der schüler-freien Stunden (von den Schülern übrigens "lehrer-frei" genannt;-)), als mir Zeit für einen Ausflug in die Vergangenheit blieb.

Wie lange das alles her ist ...

Ich nähere mich dem Ort meiner Kindheit von der Jannowitzbrücke her.



Irgendwie gab es damals nicht so viele Schiffe hier. Daran würde ich mich erinnern.



Erinnern kann ich mich nämlich gut, merke ich an jeder Ecke. Hier zum Beispiel fuhren wir mit Rollschuhen stundenlang die Rampe hoch und runter. Was so manches Pflaster erforderlich machte.
(??? Keine Rampe zu sehen??? Geht mir auch so .... wie schade für die heutigen Kinder! Es hat sooo Spaß gemacht.)





An dieser Stelle sei mir eine Betrachtung zu einem Nebenschauplatz erlaubt: Dass in Berlin außerordentlich viele Kindereinrichtungen ein "Kreativ" im Namen tragen, ist auffällig. Liegt das an den Berliner Kindern? Ob das wohl auf einen Ist-Zustand hindeutet? Oder müssen sich das die Einrichtungen notgedrungen zum Programm machen? - Dem wäre mal nachzugehen.





Ich gehe jetzt lieber meiner Vergangenheit nach ... und finde: eine Treppe. Nein, nicht irgendeine Treppe natürlich. DIE Treppe! Damals bot sie noch einen Blick direkt aufs Wasser, es war romantisch dort, sehr romantisch. So romantisch, dass ich mich auf ihr vor mehr als 25,5 Jahren zum ersten Mal im Leben küsste. (Mit wem??? - Nee, das verrate ich hier nicht. Höchstens auf persönliche Nachfrage ;-)))




Verraten tue ich jetzt nur, dass wir damals nicht mehr hier wohnten ("hier" heißt hinter zweien der unzähligen Fenster, die man nicht sehen kann, da die Bäume inzwischen zu hoch gewachsen sind.)



Sondern schon hier: fünfter Stock von oben, die drei linken Fenster des rechten Hauses. (Erfahrene Plattenbaubewohner erkennen sofort, wo das eine Haus endet und das andere beginnt ... Die anderen mögen dies erraten.)



Beziehungsweise, von der anderen Seite gesehen, hier: auch fünfter Stock von oben (ist ja logisch ;-)), das ist unser Küchenbalkon. Rechts daneben mein Zimmer. In dem ich dann den dritten, den etwa siebten und noch manch weiteren Kuss erlebte. An die dazwischen - ehm - vermag ich mich jetzt nicht mehr zu erinnern. Nur an den ersten richtigen Liebeskummer - das weiß ich noch: Der traf mich auch in diesem Zimmer!



Nun, heute sind diese Narben verheilt und die Schrammen im Hauseingang ausgebessert. Altvertraute Türen in ungewohntem Glanz, Scheiben und Spiegel geputzt wie geleckt. :-o




Weniger geputzt ist der Spielplatz - oder wie wirkt der? Düster, trostlos, verwahrlost, unbenutzt, in meinen Augen ... Ich frage mich, ob es hinter den geputzten Fenstern überhaupt noch Kinder gibt, welche dann hier spielen? Es scheint fast nicht so.




Nebendran ist es bunt. Schön bunt?



Und da hinten war früher unsere Kaufhalle. Doch wozu bräuchte man heutzutage noch eine Kaufhalle? Jetzt steht da jedenfalls etwas Neues.



Nur das Pflaster scheint alt, noch original aus der damaligen Zeit zu stammen.



Diese Leiter übrigens führt in die Spree. Einmal haben wir sie nutzen müssen, um unseren Ball wieder aus dem Wasser zu fischen. (Unseren Eltern sei zur - nachträglichen - Beruhigung gesagt: Es war wirklich nur einmal. Sonst kam immer wie gerufen die freundliche Wasserschutzpolizei vorbei und warf ihn wieder hoch.)



Naja, und jetzt geht es doch wieder um Schule. Denn genau dieses Tor führte früher in meine hinein. Nur dass es offen stand, damals. Beziehungsweise gar nicht da war, das Tor. Soweit ich mich erinnere.

Der Wildwuchs war auch nicht da, damals. Die gesamte Fläche war asphaltiert, gut für Knieschürfwunden und Mini-Tennis-Turniere in den Schulferien.



Und hinter diesen Fenstern habe ich einst lesen und schreiben gelernt. (Hier dürft Ihr jetzt bitte nicht fragen, welche es genau waren.)



Ob das wohl heute noch eine Schule ist? Sieht kaum so aus. Und wenn, dann hoffentlich doch nicht mit Fahnenappellen?! (Und das kommt mir jetzt nur, weil mich irritiert, dass die Fahnenmasten eindeutig jüngeren Datums sind.)



Und dann führt mich der Weg von diesem Hof wieder weg, so wie damals, nach acht Jahren nämlich: Oberschulzeit.


Immer morgens 7.32 Abfahrt mit der U-Bahn, bis zum Alex, umsteigen, dann bis Frankfurter Tor.




Und heute fahre ich auch von hier wieder ab - ganz wie damals. Bis zum Alex, wo jetzt meine Schüler auf mich warten.

Wie lange das alles her ist ...

Berlin-Nachlese I: Geschichtsträchtig

Das Ziel unserer Berlin-Klassenreise ist „politisch-historische Bildung“; das sagt unser Schulprogramm. Und so eröffnet sich den Schülern nicht nur der Blick in den Bundestag,




sondern auch in die letzten hundert Jahre deutscher Geschichte mit all ihren Gräueln und Schrecken: … Jüdisches Museum … – … Holocaust-Mahnmal … – … Luftschutzbunker … – … Mauer-Gedenkstätte … – … Staasi-Gefängnis …






Für die Schüler ist das eine ferne, eine fremde Welt. Klar, sie haben Geschichtsunterricht – aber das ist eben Geschichte, das waren für sie bisher Geschichten, sozusagen.

Jetzt aber prallt es auf sie ein:
…. musste mit ansehen, wie seine Frau mit den Kindern ins Gas ging … – … da schellte es morgens an der Tür … – … 20 km im Umkreis des Einschlagpunktes der gesamte Erdboden geschmolzen … – … und plötzlich war die Straße mitten entzwei geteilt, da stand das eine Haus auf der einen Seite, das Nachbarhaus auf der anderen Seite … – … nach 3 bis 4 Stunden wurde hier die Luft knapp, CO2 sammelte sich am Boden, Mütter mussten ihre Kinder auf den Arm nehmen, damit sie nicht ersticken … – … die Kirche wurde 1985 gesprengt … – … und in dieser Isolierzelle war man bis zu zwei Wochen, es drang kein Laut, kein Licht hinein …

Ich schaue sie an, meine Schüler, als man ihnen dieses erzählt. Ihren Gesichtern ist kaum anzusehen, was es auslöst.
Manche wirken gelangweilt, stöhnen (vor Hitze, oder sogar vor Langeweile?), fragen wann endlich Pause sei.
Manche stellen - immerhin - ab und zu Zwischenfragen.
Und manche sehen erstaunt, sogar erschüttert aus. Sie kommentieren das Gehörte mit einem "ist ja krass!“ Aber dann ist es wieder „gut“, dann leben sie wieder ihr junges, unverbrauchtes Leben, bis zum nächsten kurzen „ist ja krass“.

Mit diesen Reaktionen kann ich schlecht umgehen. Mir kommen zweifelnde Fragen:
Warum bringen wir die Schüler überhaupt hierher?
Soll man ihnen von der Historie erzählen?
Wie aber kann man davon erzählen, dass es in sie hinein dringt? Und ohne den Zeigefinger zu erheben?
Zum Glück bin ich nicht Geschichtslehrerin ...

Dann aber gibt es den Moment des Innehaltens. Wenn wir, nach Ende der Führung, im Schatten sitzend, die nächsten Programmpunkte absprechen. Und ich sie ganz vorsichtig frage, wie das soeben Gehörte wohl auf sie wirkte. Da werden sie ganz still, plötzlich. Also doch.
Fast bin ich froh, ihre Erschütterung zu spüren. Froh, mich getäuscht zu haben, vorhin, ihre Reaktion falsch interpretiert zu haben.
Der bosnische Schüler erzählt von seinem Zuhause. Die türkische Schülerin erzählt von ihrem Zuhause. Die anderen äußern Erschütterung, gerade weil sie die Bilder nicht mit ihrem Zuhause in Verbindung bringen können. (Wie gut, dass sie das nicht können!)
Die eben noch laut-fröhlich herumalbernden Mädchen erzählen ganz leise von ihrer Wut. Die sonst ewig kickenden Jungen nicken nachdenklich. Einig sind sie sich darin, dass der Zeitzeuge im Staasi-Gefängnis, der sie offen als "verwöhnte Wohlstandskinder" bezeichnet hatte, dass dieser damit Recht hatte. (Nur ich war bei dieser Bemerkung zusammengezuckt.)

Und in dem Moment werde ich ganz klein. Merke, dass sie doch alles verstehen, dass sie mit ihren Ohren und Herzen zugehört haben. Dass sie sich geöffnet haben für das Gehörte.

Nur: Sie zeigen es nicht. Nicht uns Erwachsenen, oder eben nicht auf erwachsene Weise.

Schade, denke ich, schade, dass ich nicht Geschichtslehrerin bin. Dann dürfte ich meine Schüler häufiger in ihrem wirklichen Erleben erleben.

Samstag, 18. Juli 2009

Der besondere Baum

Bald wohnt er zwei Jahre bei uns, unser Maulbeerbaum.
Im ersten Jahr bot er, was wir von ihm erhofft hatten: saftiges Grün, eine schöne Gestalt, Schatten, Sichtschutz zum Nachbarn.
Im zweiten Jahr wurde er krank, durch einen Schädling. So krank, dass es nicht reichte für grüne Blätter. Schwache, kraftlose Versuche, Blattwerk wachsen zu lassen, überforderten ihn. Kaum ein Blatt war im Mai mehr zu sehen. Lediglich ein Ast hatte müdes Grün bewahrt, kleine, kümmerliche Blätter.
Es schmerzte, und wie. Es war Trauer in mir, in uns. Diesen Baum gehen zu lassen … Unmöglich, so fühlte es sich in mir an.

Und doch kam der Gedanke auf, es müsse ein neuer Baum her.
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Die Baumschule bot uns sofort Ersatz an, ein seriöser Betrieb eben. Natürlich bekämen wir den Schaden ersetzt. Und natürlich sei man bereit, dies kahle Gewächs sofort heraus zu reißen, damit uns sein Anblick nicht länger schmerzte.
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Allein, wir hatten keine Zeit mehr fürs Abholzen, keine Zeit mehr für Ersatzbeschaffung, keine Zeit mehr für diese Entscheidung, da es in den Urlaub ging. Und eigentlich, ja: tief im Innern stellte sich auch kein rechtes Ja zu einem neuen Baum ein.
Was sollte uns dieser? Ein Ersatz?
Nein, einen Ersatz vermochten wir uns nicht vorzustellen. War er doch irgendwie einmalig, unser Maulbeerbaum.

Und so blieb er stehen.
Und wir fuhren in den Urlaub.

Zwei Wochen später kommen wir zurück:
Und können unseren Augen kaum trauen – ein Wunder!
Üppiges Grün, neugewachsene Äste, eine Fülle an Kraft aus der Mitte heraus, der Baum mit neuem Leben gesegnet!



Ja: Welch ein Wunder, welch ein Geschenk!
Der Baum lebt, und wie. Noch nie zuvor hatte er solch große Blätter. Und wir hätten ihn schon beinahe aufgegeben, beinahe ausgetauscht …

Nun bleibt uns, voller Geduld und Vorfreude – nein: Freude eigentlich – zuzuschauen, wie die neuen Äste wachsen, wie sie an Kraft gewinnen, wie sie die alten eines Tages an Größe überragen werden. Und bis zu diesem, noch fernen Tag nehmen wir gern mit etwas weniger Schatten vorlieb.

Danke, Baum, dass Du uns die Augen geöffnet hast:
Dass nicht alles, nicht alle Kraft auf den ersten Blick sichtbar ist.
Dass der Keim der Fülle manchmal sehr verborgen ist.
Dass man Geduld braucht, um Lebensfreude und Stärke wiederzufinden.

In ein paar Jahren wird man Dir Deine besondere, einzigartige Geschichte vielleicht nicht mehr ansehen. Aber wir werden dankbar bleiben: Für Dich als unseren besonderen, einzigartigen Baum.

Freitag, 17. Juli 2009

Perspektivenwechsel

Den halben Nachmittag habe ich mit ihm geübt. Versucht mit ihm zu üben. Mütter (Väter auch?) instrumenten-lernender Kinder werden wissen, wovon ich rede.



Aus dem gespielten Dreier-Rhythmus soll, nein: muss ein Vierer werden. Sagt die Klavierlehrerin. Und sagen die Noten. Eindeutig!
Sagt aber nicht der Sohn. Beziehungsweise: er findet und spürt es nicht so. Er spielt beharrlich seinen Takt, den Dreier.

Ich habe geklatscht, gezählt, gestampft, mit Betonung gebügelt (ja, Bügelbrett neben Klavier: das macht die Nachmittage wirklich effizient), gestritten, vorgespielt, wieder geklatscht, gezählt ... und am Ende nur noch gestampft. Mit dem Fuß nämlich, vor Wut quasi. Weil es irgendwie überhaupt nicht bei ihm ankam, dieser Perspektivenwechsel.
(Und von den vier e´s in der rechten Hand rede ich dabei noch gar nicht.)

Tja, Dienstag ist wieder Klavierunterricht - soll Frau A. ihr Glück versuchen. Ich jedenfalls bin eine lausige Klavierlehrerin. Was ich nicht erst seit heute weiß.
(Darüber wird ein andermal zu berichten sein.)

7.45: Die Lieblingsklasse

Alle sind sie da, vollzählig.
Doch WIE sie da sitzen ... Sie "hängen" auf den Stühlen, würde ich es nennen. Und das ist noch milde ausgedrückt.
Ich kann mir eine Bemerkung zur Sitzhaltung nicht verkneifen. Nein, lustig machen will ich mich nicht. Nur scheint mir, dass sie wenig aushalten, diese 17jährigen.

Sie tuscheln und kichern, als ich meine ebenfalls späte Schlafenszeit erwähne. Es stellt sich heraus, dass sie nicht wussten, dass ich weiß, dass das da unten SIE waren. (Ja, für wie blind und taub halten die mich eigentlich?!?)

Ein Gespräch über den Umgang mit der Müdigkeit entspinnt sich, darüber, wie man diese Stunde, diesen Tag nun durchsteht.

"Können Sie uns da nicht ´nen Trick verraten???"

Oh - ich liiieeebe es, wenn sich die 17jährigen in solch lebenswichtigen Fragen vertrauensvoll an mich wenden ;-)))
(Nur: Den "Trick" vermag ich ihnen heute nicht zu verraten. Der ist mir selbst gerade entfallen.)

Die kleinen Freuden ...

... des Lehrerlebens:

Wenn die Lieblingsklasse des Nachts unten auf der Straße ziemlich laut Geburtstag feiert (ja: einer meiner Schüler wohnt genau nebenan), während ich oben am Schreibtisch sitze und just ihre Klassenarbeit zu korrigieren habe.
(Nee, das ist noch keine kleine Freude, weißgott nicht!)

Wenn sich eine ganze Weile nach Mitternacht die Straßenfete allmählich auflöst und Ruhe einkehrt, zum Arbeiten.

Wenn ich dann fertig werde, ohne vorher eingeschlafen zu sein. (Es ist 1.37!)

Und wenn jetzt noch ein stattlicher Durchschnitt von 2,5 herausgekommen ist (und zwar in Mathe)!

Dann hat sich die Lieblingsklasse ihren Geburtstags-Straßenfeten-Lärm wahrlich verdient. Wenigstens im Nachhinein. Das werde ich ihnen nachher gleich sagen. Wenn sie denn schon aufgewacht sind und bei mir im Unterricht sitzen, um 7.45 ;-))))

Mittwoch, 15. Juli 2009

Spuren des Lebens

Seit einiger Zeit ist Felix bei uns. „Felix“ – der Flügel, für den unsere Schule an die fünf Jahre gespart, Spenden gesammelt, Sponsoren aufgetrieben hat.
Kurz darauf das Einweihungskonzert: Felix wartet morgens im Schulfoyer auf seinen ersten öffentlichen Auftritt. Ich betrete die Schule, sehe Felix erwartungsfroh da stehen. Und sehe meinen Musik-Kollegen mit gekräuselter Stirn davor sitzen.

- „Was ist?“
- „Er hat schon einen Kratzer.“
- „???“
- „Erst eine Woche im Musikraum, und schon muss irgendwer ´nen Tisch dagegen geschoben haben.“

Eine kleine Schramme in Tischhöhe, nicht sichtbar, nur schmerzhaft. Weil es die erste Schramme ist. Weil nun die „Neugeborenenhaut“ versehrt ist.

„Ach, weißt du,“ erzähle ich von unserem Einzug ins neugebaute Haus aufs neuverlegte glänzende Parkett vor drei Jahren, vom Schmerz um den ersten Kratzer, vom Schmerz um den zweiten Kratzer, um den dritten auch noch. Und dass es jetzt, nach drei Jahren, gar nicht mehr weh tut. Im Gegenteil, dass es gut ist zu sehen, wie das Haus lebt. Auch in den Kratzern lebt.

„Ja, deswegen sind wir in ein altes Haus gezogen, mit altem Parkett, dem das Leben schon in jeder Faser anzusehen ist.“ --- Ich muss gestehen, ich beneide den Musik-Kollegen ein wenig um das Alter seines Hauses. Um das Leben, was schon darinnen ist. Welches wir in unser Haus erst noch hineinleben müssen.

Und mir kommt ein Gespräch mit einer Bekannten in den Sinn, etwas älter als ich, die im Sommer ihre Kleidung stets so auswählt, dass die Narbe auf der Schulter ja nicht zu sehen ist. Und wie sie mir erzählt, dass die sechzehnjährige Freundin ihres Sohnes darauf reagiert hat: „Weißt du“, hat diese gesagt, „ich liebe Narben. Narben sind die Spuren des Lebens.“

Das sagt sich natürlich leicht, wenn man sechzehn ist. Und doch ... Ich erzähle dem Musik-Kollegen davon. Ob ihn das die erste Schramme in neuem Licht sehen lässt? Ob es tröstlich ist? Ich weiß es nicht.

Das Konzert am Abend jedenfalls ist erfolgreich. Die Schramme nicht zu hören.

Und: Das Thema wäre durchaus noch zu vertiefen.

Was sind uns unsere Narben, Schrammen, Kratzer?
Wie fügen sich Wunden und Versehrtheit ein ins Leben?
Wie verwandeln uns solche Schmerz-Spuren?

Wie tief dringen sie ein?
Sollen wir überhaupt zulassen, dass sie eindringen?
Oder sie besser an einem Panzer abprallen lassen?

Wie viel Heilung ist möglich? Wie viel Heilung ist nötig?
Sind Glattheit und Glanz gut und normal?
Glatt und unversehrt – ist das schön? (Man stelle sich nur mal eine 80jährige mit Babyhaut vor …)

Ach, und ich:
Was bedeuten mir meine Verletzungen, meine Wunden, die Spuren, die mein Leben in mich hinein grub?
Wie integriere ich sie? Wie binde ich sie ein in mein Lebensgefüge?
Wie lerne ich, sie loslassend zu umarmen?

Allein: Es fehlt die Zeit, jetzt, für solche Betrachtungen. Zumal Antworten nur schwer zu finden sind.

Felix, du Glücklicher: Was lösest du in mir aus?

Eines noch – um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Es kann nicht angehen, dass Schüler im Musikraum Tische gegen Flügel schieben und dadurch Kratzer verursachen. Darüber bin ich mir mit meinem Musik-Kollegen sehr einig.

Dienstag, 14. Juli 2009

Kausalzusammenhang?

Sonntags am Feldberg im Schwarzwald. Aufgeschnappt das Gespräch zweier vorbeiwandernder Frauen mittleren Alters.

" ... in der ehemaligen DDR ... die Ansprüche sind riesig. ... man will sich alles leisten können ... und dann gehen eben beide arbeiten ... wer leidet darunter ... ganz klar, immer die Kinder ... ja, die können einem leid tun ... und weil die Eltern so beschäftigt sind, steigt eben auch die Gewaltbereitschaft ... liest man ja ständig ..."

Nur, dass Ihr´s wisst, Ihr mitlesenden, ebenfalls berufstätigen Mütter! Ich grüße Euch nachdenklich. Euch, und alle anderen, die darüber den Kopf schütteln.

(Nein, nachdenklich bin ich nicht, weil ich jetzt mein Lebenskonzept in Frage stellen würde. Nachdenklich werde ich beim Gedanken an diese "Wahrheiten", diese (Vor)Urteile, diese Allwissenheit, diese Kausalitäten, mit denen wir täglich zusammenprallen.)

Sonntag, 12. Juli 2009

Verschnaufpause

Mitten heraus aus der Schuljahresendphase, zwischen dieser Arbeit

und jener,

haben wir uns eine Auszeit genommen und sind nach Freiburg gefahren.

Wozu? Fragte ich mich, als wir am Freitag im Auto saßen.
Anlass war dies hier:

Weil unser Kindergarten, der beste Kindergarten der Welt (und wer hier widersprechen will: wir gestehen gern zu, dass es an anderem Ort auch noch einen zweiten und gar dritten besten Kindergarten der Welt geben mag) an diesem Projekt teilnahm. (Übrigens: nicht deswegen, sondern eher trotzdem ist er ist der beste Kindergarten der Welt ;-)). Und weil Eltern mit ihren Kindern an der Abschlussveranstaltung teilnehmen durften. Doch so richtig stand uns am Freitag nicht der Sinn danach.

Nun, zwei Tage später, wissen wir, warum wir dort waren:

... um uns in einem idyllischen Landgasthof einzumieten ...


... und zur Ruhe zu kommen in einer Landschaft, die beschaulich genannt zu werden wahrlich verdient.



Um, während der Mann pädagogische Vorträge über sich ergehen ließ (hm: lassen musste), mit den Kindern auf den Fluren der PH spannende Mitmach-Experimente zu entdecken, die den Aufenthalt an diesem Ort sehr kurzweilig werden ließen.



Um - wieder einmal - festzustellen, dass doch nichts über eine vorausschauende Reiseplanung gegangen wäre. Sprich: Dass wir dies hier leider verpasst haben:

Dumm, zu dumm. Und was es dort alles gegeben hätte, am Freitag Abend ... Nun ja.

Dafür durften wir einmal live erleben, was im Kindergarten Alltag ist und in dessen Genuss sonst nur die Tochter (und früher der Sohn) kommt.





Und um schließlich mit Freiburg-Leben ...

... und Feldberg-Wind das Wochenende ausklingen zu lassen.


Und noch etwas: Auf den Fluren der PH treffe ich doch plötzlich eine Mitsängerin aus einem meiner früheren Studentenchöre, ganz zufällig (sie hatte dort auf einer anderen Veranstaltung zu tun), unglaublich. Innehalten, wiedererkennen, sich freuen, erinnern an Chorfahrten zur Ostsee und zur Basler Fasnacht, rekonstruieren, dass dies etwa 15 Jahre her ist - und das alles in nur 10 Minuten. Und uns versichern, dass es bis zur nächsten Begegnung nicht wieder 15 Jahre dauern wird. Hoffentlich. Denn dass mir gerade die E. hier und jetzt über den Weg gelaufen ist - allein deswegen hätte sich die Reise nach Freiburg gelohnt!