Montag, 24. Dezember 2012

In die geweihte Nacht

Ich habe dann doch nicht mehr korrigiert. Die Kinder waren viel zu früh wach, und es gibt ohnedies genug Tagfüllendes. So sei es nun. Den Stapel Hefte habe ich soeben gut im Korb verborgen, der Schreibtisch ist freigeräumt ... bis nächstes Jahr bleibt die Fläche blank. Wird Raum bieten für Post, für Malsachen, für Puzzle - und wird jeden Tag Spiegel sein: der Sonne vor dem Fenster, dem Licht, den Wolken.
(Nein, kein Glasschreibtisch. Aber Holz spiegelt auch. Man muss nur genau hinsehen.)

Nach guter alter Tradition hatten wir die Weihnachtsbaumkerzen vergessen. Wie immer also holten wir die in letzter Minute am 24. Alle anderen waren auch schon auf dem Parkplatz. Stolz, dass wir nach einer Stunde mit Kerzen und ohne Beule am Auto wieder hier waren.

Das Baumschmücken war für den Sohn dieses Jahr offenbar nicht mehr attraktiv - er zog sich nach dem Arrangieren der Kerzen schnell zum Flügel zurück. Gut: so wunderbare Begleitmusik zu haben. Später wollte die Tochter auch lieber Weihnachtslieder spielen - mir war es recht. Ein Geschenk meditativer Momente: einen Stern nach dem anderen in die Hand nehmen und aufhängen, Cello und Klavier im Hintergrund.

Gedankenkreisen: durch diese Adventswochen, die so anders waren als sonst. Einige Weihnachtspost erreichte mich in den letzten Tagen - und ich selbst war unfähig auch nur ein Kärtchen auf die Reise zu schicken. Vielleicht bieten die kommenden Tage Raum dafür. Auch für die Großelternkalender - dieses Jahr werden sie mit großer Verspätung geboren werden. Noch so manches blieb ungelebt. --- Am Ende fühlt es sich richtig an, so wie es war. Der Preis dafür, all das auch noch zu schaffen, wäre zu hoch gewesen. Es hätte mich, hätte uns, aus dem letzten verbliebenen Rest Ruhe geworfen. So ist es nun, wie es ist. Beim Baumschmücken kommt mir ein Ja.
(Und ein warmströmendes Gefühl für meine immer noch musizierenden Kinder.)

Lustig, dass die Kinder meine morgendliche Ansage, wann es denn die Geschenke gebe, so wörtlich genommen haben. "Ach, so um neun", wollte ich sie ein bisschen necken. Normalerweise merken sie das. Heute haben sie es mir abgenommen - obwohl wir die Bescherung noch NIE so spät machten: Sie haben es gerade der Oma in aller Ernsthaftigkeit am Telefon erzählt. Wir - die Oma und ich - mussten sehr grinsen :)

Weil's ja noch so lange hin ist :), ist also Geduld gefordert. Der Sohn schlägt der kleinen Schwester vor, sie könnte sich ja mit einem Film ablenken. Natürlich will er selbst einen schauen, und ich muss wieder schmunzeln, weil er heute der weitaus zappligere von beiden ist. (Und ich erlaube den Film. In unserem fernsehfreien Haushalt ist das allein schon das erste Geschenk :))

Nun ist alles gerichtet, nun wird alles still. Durch das Fenster schaut die Sonne, frühlingshaft ist es hier, man könnte sich in den Garten setzen. Aber das geht am Heiligabend denn doch nicht, spüre ich, das passt nicht. Ich setze mich also aufs Sofa, lasse mich durch die Scheibe anstrahlen. Sitze hier in großer Ruhe - der Moment, bevor es bald losgeht. --- Eine russische Tradition: vor einer jeden Reise, wenn alles gepackt ist, wenn die Taschen bereitstehen, die Mäntel angezogen, die Mützen auf dem Kopf sind, setzt man sich hin, für eine Minute, schweigend. Aufbrechen soll man immer aus der Ruhe heraus. Seit ich in Russland gelebt habe, trage ich diese Tradition mit mir, mal aktiv, mal passiv. Sie hat mir wichtige Momente des Bei-mir-Seins geschenkt. --- Warum ich das erzähle? Soeben fühle ich mich hier auf meinem Sofa wie in diesem innehaltenden Moment vor einer Reise.
Wohin die Reise gehen mag?

Ich wünsche uns allen,
dass die Reise dieser geweihten Tage und Nächte uns mitten hinein führen wird -
in den Frieden und das Licht, das wir tief im Innern tragen,
das so oft nicht sichtbar ist, das wir in so manchen Zeiten nicht spüren können -
dort hinein wünsche ich uns alle.
Seid von Herzen gegrüßt.

Sonntag, 23. Dezember 2012

ferienstimmig

Wunderbar, der erste Ferienabend - wie immer der beste Moment einer jeden Ferienzeit. Habe ihn zelebriert mit Kerzen, Wein, Sitzen, Schweigen. War das schon vorgestern, echt? Es hallt nach, es trägt weiter.
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Wunderbar auch der erste Feriensamstag - gefeiert beim Lieblingsitaliener. Der, als er die Pizzareste der Kinder auf deren Wunsch zum Mitnehmen einpacken sollte und ausversehen doch wegwarf, ihnen eigens eine neue Pizza machte. Die aßen wir dann abends - und wurden nochmals alle satt :)
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Vollbepackt: Schnell noch in die Stadtbücherei, bevor die sich in die Weihnachtspause begibt. Eine Reisetasche voller Bücher, als hätten wir ein Jahr Ferien :)
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Sehr müde bin ich - auch wie immer zu Ferienbeginn. Aber hej, ich habe keine Ferienanfangserkältung - ich bin gesund! Und war es den ganzen Herbst. Oh!
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Wie aufgezogen fühle ich mich. Wieviel noch arbeiten? Wann die Schule beiseite legen, wann in den Ferienmodus gehen? Und wie überhaupt hineinfinden?
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Jedenfalls: Im Moment arbeite ich noch unverdrossen an einem Weihnachtsgeschenk für mich selbst: Ich wär' so gern fertig mit Korrigieren. Habe den ganzen Tag dafür den Rotstift gewirbelt, werde es aber wohl nicht ganz schaffen. Wobei, wenn ich morgen früh noch schnell ...
(Korrekturfrei ist ein so befriedigender Zustand - vielleicht lohnt es das frühe Aufstehen. Mal schauen.)
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Gespalten: Auf meinem Nachttisch liegen "Die hellen Tage" und "Trauernde Jugendliche in der Schule" einträchtig nebeneinander. Welches soll ich zunächst nehmen? Lesen zum Fallenlassen - oder lesen, was innerlich andrängt?
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Schwierig, wenn Geschenke und Papier oben im Haus gelagert sind, die "Packstation" aber unten ist. Will man an der Tochter vorbeischleichen, hat sie plötzlich hinten Augen und kann durch Türen schauen. Von ihren Ohren ganz zu schweigen. Schwierig also, weil ihr Weihnachtsglaube noch nicht ganz entzaubert ist und ich durch tolpatschiges Mich-auf-der-Treppe-erwischen-lassen nicht dazu beitragen will. --- Der große Bruder durchblickt meine Lage und verhilft mir zu freiem Weg: "Komm Schwester, wir spielen was ..."
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Vorfreudig - die Kinder sowieso. Einschlafen wollte heute lange nicht gelingen. Aber auch ich. - Nein, nicht mehr auf Geschenke: die Zeiten sind vorbei. Auf Zeit vor allem - Zeit als größtes Geschenk. Zu mir kommen. Die innigen Tage "zwischen den Jahren", die ich so liebe.
Und auf all das, was schon traditionell zu diesen Tagen gehört: frühstücken um die Mittagszeit, mit den Kindern riesige Legowelten bauen, Lese-Handwerkel-Mal-Orgien, 1000er-Puzzle (dabei verlassen mich die Kinder meist, aber das macht ja nichts: ich schaffe das auch allein :)), Nichtstun, Nursein ...
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Sehnsüchtig nach Stille. Ich glaube, ich kann sie schon kommen hören. Psssst - gut lauschen - da ist sie - bald - gleich - jetzt ...
Tastend, wie sich Weihnachten anfühlen wird. Morgen schon, und doch noch weit weg ...

Samstag, 15. Dezember 2012

... mag nicht ...

Wie das wohl wäre - wie ein kleines Kind mit dem Fuß aufzustampfen, sich zornentbrannt auf dem Boden zu wälzen, "nein!" und "ich will das aber nicht!" zu kreischen, trotzköpfig einfach im Bett liegen zu bleiben, mit Decke überm Kopf - und schon wäre alles in Luft aufgelöst, was gerade noch bedrängte. Wie das wohl wäre ...
Bin aber kein kleines Kind. Und weiß, dass das selbst bei kleinen Kindern nicht funktioniert. --- Mein "neee, nicht schon wieder so etwas" kann ich murmeln, stöhnen, schreien, seufzen, so oft und so laut oder leise ich will - es ändert nichts. Schon wieder "solch" eine Nachricht. Schon wieder.
Ich will sie nicht hören, ich kann sie nicht in die Nähe lassen. Spüre, wie sich etwas in mir verschließt, mich von meinen Gefühlen trennt, mich dumpf werden lässt. Ja, wie empfindungslos schaue ich auf die Mail, auf die gehörten Worte, auf die erzählte Lebensgeschichte, auf die Gespräche seither. Mache mir Notizen, mit welchen Worten ich am Montag die Kollegen informieren werde - Worte auf dem Papier, und in mir schwingt nichts mit.
Währenddessen starre ich auf das Telefon wie das Kaninchen auf die Schlange. Scheue mich, drücke mich, schiebe es hinaus. Heute sollte ich wohl. Die aktuelle Situation erfahren, unsere Beobachtungen weitergeben, und dabei ... mittragen? (Das ist es: kann ich das? will ich? soll ich? geht das überhaupt? wieviel Nähe, wieviel Distanz braucht es?)
Mal wieder wird deutlich: wir sind für unseren Beruf nicht ausgebildet. Küchenpsychologie und Empathie und mein kindlich-naiver Wunsch, mal eben als Engel die Welt zu retten, die Welt dieses einen Kindes jedenfalls - das alles ist eben noch keine Professionalität.
Ich hätte gern Antworten, nicht nur Fragen, Ideen, nicht nur Hilflosigkeit, Erklärungen, nicht nur Verständnislosigkeit - hätte gern so manches anders gemacht, jetzt im Nachhinein. Ein Aufwallen des ewig-latenten Ich-bin-eine-schlechte-Lehrerin-Gefühls.
Ich scheue also vor dem Griff zum Telefon. Fühle mich feige, unfähig, abgestumpft. Und bin es im Moment wohl wirklich. So sehr, dass mir in den drei Tagen, seit ich darum weiß, auch mein positives Empfinden abhanden gekommen ist - kein Befreiungsgefühl, weil ich wichtige Arbeitsschritte für jetzt und lange beendet habe und mein Aufgabenberg zwar noch hoch, aber nicht mehr dringend und derzeit nicht nachwachsend, nur noch abzuarbeiten ist - kein inneres Mitsingen, als die Kinder musizieren: ich sitze einfach daneben - keine Freude über neugewonnene Zeitfenster: ich streiche ohne jede Leselust durch meinen Bücherberg und eine Buchhandlung, die mich sonst so verlockt - kein wirkliches Klavierspiel: mechanisch hämmere ich Fingerübung um Fingerübung - und als mir eine Dose frisch mit Kinderliebe gebackener und verzierter Plätzchen auf der Treppe aus den Händen rutscht und über zwei Etagen zerbröselt, als die Kinder weinen, kehre und sauge ich nur regungslos alles auf und sage "dann backen wir eben mal wieder" (was in dem Fall nichts mit Gelassenheit zu tun hatte). --- So leer, so unlebendig, so kalt ist alles in den letzten Tagen.
Ein Anfang, hier wieder zu schreiben. Endlich wieder Worte. Das ist ein klitzekleines bisschen wärmer als nur kalt. Und - ich merke es erst jetzt: seit heute Morgen ist mein Kopfschmerz weg, der drei Tage lang in mir gehämmert hatte.
Vielleicht sollte ich heute bergauf-bergab durch die kalte Winterluft laufen - vielleicht lässt sich mein Inneres dabei miterwärmen, vielleicht erwacht es aus seinem Winterschlaf.
Und: ich werde anrufen. Heute noch.

PS. Soeben, da ich hier fertig geschrieben habe, fliegt mir aus den Netzweiten ein Text in die Hände. Einer der so sehr passt, dass ich plötzlich wachwerde und weiß, dass heute noch Tränen fließen werden. Danke.

Montag, 10. Dezember 2012

Bruchrechenspaziergang

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen.
Heute Nacht war in unseren Schulen die Heizung komplett ausgefallen. Die Grundschüler wurden gleich morgens wieder nach Hause geschickt (die Tochter jammert dem verlorenen Schultag noch jetzt hinterher - so ist das in Klasse 1 :)) und wir Großen mussten bleiben. Mehr Lebensjahre, mehr Winterspeck oder so, dachte man sich..
Bibberten uns also durch die erste Doppelstunde, je nach Stockwerk mit mehr oder weniger Jacke, Schal und Mütze. Für die dritte Stunde war Heizungsinstandsetzung angekündigt, dennoch konnte ich meine 6er überhaupt nicht anschauen, wie sie da zitternd und eingemummelt auf ihren Stühlen saßen. Wir wollten das keine zehn Minuten mehr aushalten. Also:
Ein Bruchrechenblatt mit wenig Schreib- und viel Kopfarbeit ausgeteilt, zu zweit einen Bleistift mitnehmen, alles anziehen was man hat, und dann jagte ich sie quer durchs Dorf, immer auf  unbefahrenen verschneiten Feldwegen entlang, ab und zu einen Abstecher zu einem einsamen Baum im Dauerlauf befohlen, und zwischendurch immer wieder: Wer schafft die meisten Aufgaben, bis wir wieder zu Hause sind?
Erstaunlich: mehrere Kinder ohne Handschuhe, einige mit so Sommerjäckchen, und schneedichte Schuhe gehören offenbar auch nicht zur Schulausstattung. Jedenfalls hatte ich am Ende des Spaziergangs meinen Schal und zwei Paar Handschuhe verliehen - da sage noch einer, es sei überflüssig, immer ein paar mehr in den Jackentaschen zu haben :) - nur meine warmen Schuhe wollte ich nicht hergeben. Dennoch: alle waren irgendwie aufgewärmt, als wir nach ner halben Stunde wieder reingingen. Das Schulhaus kam einem in dem Moment kuschelig warm vor, und die nassesten Socken liehen sich von Nachbarn und Nachbarinnen Schals und andere Stoffteile zum Drumherumwickeln. Ging auch. --- Übrigens: bis zu zwanzig von den Bruchkettenrechnungen hatten sie herausbekommen. Ich glaube, so schnell hätten sie auf ihren Stühlen nie gerechnet :)

Samstag, 8. Dezember 2012

Ein zweites

Bei einem Türchen kann es ja nicht bleiben.

Heute - und gestern  auch schon - war darin und klopfte an und kam herein: Musikglück. Ausnahmsweise mal nicht das der Kinder. Nein, mein eigenes. Mein später Klavierspieltraum. Der sich manchmal so schwer in den Alltag einfügen lässt, dass ich freitags ungeübt in den Unterricht gehe - ein schlechtes Gewissen habe ich nicht und brauche ich nicht zu haben, bei dieser Lehrerin schon gar nicht. ("Ich bewundere sowieso, wie Du das schaffst. Also los: machen wir was Neues - blätterblätterinNotenstapelnundfindetetwas - magst Du das?") Spätestens, wenn sie spielt, fühle ich ein Ja. Sie weiß genau, was ich brauche, was mich lockt, was mich atemlos werden lässt. Und ich weiß genau, dass ich immer irgendwann wieder üben werde, dass ich irgendwann wieder für Tage versinken werde in einem Thema. So geschehen gestern, und heute, und morgen sicher immer noch.
Es ist wie trinken und fliegen und atmen und  tanzen und essen und jubilieren und horchen und getragensein und schmelzen und ahnen und durchlassen und wirklichwerden gleichzeitig - ja, all das. Ich kann es manchmal selbst nicht glauben.
Und es wird immer noch tiefer. Gestern schenkte sie mir den Satz, dass ein Piano, ein Pianissimo in den Körper hinein gespielt werden müsse. Und in die Tasten natürlich. Dass es nicht ein Weniger, ein Kraftlos, ein Blässlich, ein Zaghaft sein dürfe, sondern tiefste Körpertiefe, und dass meine Finger den Raum mit jeder Bewegung immer noch weiter öffnen müssen. Je leiser, desto bewusster und intensiver. --- DAS hatte ich noch nie gespürt. Ich kenne es vom Singen - und WIE ich es kenne - aber am Klavier hatte ich ja keine Ahnung. Da waren Hände auf den Tasten, und da war mein Körper auf dem Stuhl. Und dazwischen - hm - eine Verbindung zwar, die Arme eben, und vielleicht ein bisschen mehr - aber es waren doch immer zwei Teile. --- Gestern habe ich eine Spur bekommen: dass das alles Eines ist - dass die Tastenberührung aus dem Bauch kommt, dass ich durch meine Finger atme, dass ich mit den Füßen auf dem Boden die Musik singe - und dass mich all das in eine Weite fortträgt, von der zu schreiben hier mit irdischen Worten kaum mehr gelingen kann. (Es war nur ein Versuch ...)

So ein Türchen war das.
Wunderbar, so ein innerer Adventskalender.

Freitag, 7. Dezember 2012

Ein Türchen

Gestern hat mein Advent begonnen. Ein paar Tage später halt. Der äußere Kalender, das äußere Zeitmaß verliert an Bedeutung, je ehrlicher ich in mich hineinspüre, je mehr ich  meinen inneren Taktgebern die Regie überlasse. Sie machen das schon richtig, diese inneren Sinne. Gestern also haben sie mich in den Advent geführt.

Ich durfte sogar ein Türchen öffnen. Kein "echtes", kein äußeres, keines aus einem sichtbaren Adventskalender (obwohl ich mir einen solchen immer gewünscht habe - und vermutlich immer noch wünsche: es ist bloß nicht mehr so wichtig wie früher) - dieses Jahr suche ich die Türchen in mir. Die, hinter denen etwas wartet, das hineingelassen werden möchte - diese Türchen werde ich öffnen. Es versuchen jedenfalls.

Gestern klopfte die Ruhe an. Gänzlich unerwartet. Nach einem November, der nicht wie sonst gefüllt mit Nebel und Abwarten war - sondern turbulent wie selten, nach intensivsten Tagen und Wochen, nach Überforderung und Erschöpfung als Dauergästen --- stand gestern plötzlich die Ruhe vor der Tür.
Ich ließ sie hinein. Ließ sie mich durchströmen, bis ich sitzen konnte. Und nicht einfach nur sitzen. Oder doch: einfach nur sitzen. Ohne Geschäftigkeit, ohne Blick auf die Uhr, ohne Gedankenkreisen, ohne Gefühlswirbel. Sitzen halt. Ein warmes Glas Leben trinken, ein Stückchen Familienkuchen dazu. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie das schmeckt.

Später am Nachmittag gestalteten sich noch unsere Adventskerzen. Ich war planlos, kranzlos, drahtlos gewesen, hatte nur rote Kerzen und ein paar Zweige, mehr nicht.
Mehr ist da nicht ...


Die Zweige lose drumherum gelegt, beweglich, veränderbar. Wer weiß, ob wir nicht in diesem Advent die Zweige noch einmal ganz anders legen müssen. Oder wollen.

Und wer weiß, wer in den nächsten Wochen alles an meine inneren Türchen anklopfen wird.
Werde ich wirklich öffnen?
Wem?
(Und darf ich Dich, liebe Ruhe, die Du gestern als erste zu mir kamst, bitten, alle weiteren Gäste mit mir gemeinsam in Empfang zu  nehmen? Danke.)


PS. Was im Heute durch ein Türchen eintreten wird - oder eingetreten ist - sehe ich manchmal erst, wenn ich abends im Bett liege und der Tag durch meinen Kopf zieht. So gehe ich ihn jetzt ziehen lassen ...

Samstag, 1. Dezember 2012

Es wärmt das Herz

- so sagte die Mutter, die heute mit ihren Kindern erstmals dabei war. Ja, wirklich. Der Tag fand in ungeahnte Fülle.

Vorher:




Start - man beachte die noch vorhandene Ordnung auf dem Tisch:




Kreationen 11jähriger - Tanz auf dem Dach, Balkone und Hundehütten, Torbögen, Raucher auf dem Balkon (mit Hut), Agentenschar (auch mit Hüten) - sucht das alles mal :)
Sie beflügelten sich nur so mit ihren Ideen , die fünf großen Jungs. (Schade, ich habe nicht annähernd all die Dinge fotografiert. Aber dazu war die sprühende Fantasie und Begeisterung der Kinder viel zu spannend.)








Ende - in kreativer Unordnung.




Dann ein Prosecco. (Nicht für die Kinder, natürlich.)
Dann Tischputz. (Auch nur die Mütter (natürlich?).)
Dann Lasagne.
Jetzt schlafen.
Gut.

Momente einer Woche


Dieser Tränenpaukenschlag. Noch selten so traurigschwer vor den Klassen gestanden - die Kleinen sind irritiert, die Großen ganz still - die Stunden ziehen sich.
"Nein, ich kann das nicht machen." (Notiz an mich: Diesen Satz bitte für Friedenszeiten aufbewahren. Öfter mal einsetzen.)
Meine Kollegen sind Schätzchen. Wirkliche, ehrlich. Meine Schulleitung auch.

Allmählich komme ich zur Ruhe. Lenkt mich die Arbeit ab, wohltuend, für den Moment. Treffe die Kollegen vom anderen Arbeitsort. Auch dort gut aufgehoben, gut einander begegnet. Das alles ist ein großes Glück.

Der Tränenstrom ist für den Moment versiegt. Nicht weil ich ihn absichtlich gestoppt hätte. Sondern vielleicht, weil er zunächst genug mit sich gebracht hat? Flusssteine - Treibsand - Kindheitserkennen. So klar wie selten. So schmerzend, so heilsam.

Mittwochmorgen: Wäsche -  ein paar Dringlich-Emails - Äpfel nicht vergessen - Computer aus - Abflug in eine andere Welt - schnell schnell. Trotzdem fast zu spät.
Schlossambiente, entsprechendes Essen - hui! - bei Lehrerfortbildungen wird man sonst oft billig abgespeist. Naja, dies hier läuft ja auch unter dem Schlagwort "Führungskräfteentwicklung". (Upps: bin ich eine solche? Will ich eine werden? - Die anderen Teilnehmer sehen eigentlich auch alle ganz normal aus :) Aber was heißt "ganz normal" - habe ich ein gestörtes Verhältnis zu beruflichen Hierarchien? - Muss ich für den Moment nicht verstehen. Steht aber als langfristige Rollenklärung an.)
Hier also: Wer hätte das gedacht. Unerwartet wohlfühlen. Mitmenschlich, und inhaltlich. Drei Tage gefüllt und gewinnbringend wie selten.
Alles hat mit mir zu tun. Für mein Wirken geschult zu werden, heißt auch, mein Wirken zu hinterfragen, und mein Ich zu hinterfragen. Selbsttests sind dabei, drei Tage voller Spiegel. Die Ergebnisse überraschen mich nicht. Meine Antreiber, meine Ich-Anteile, meine inneren Stimmen. Klar, so klar stehe ich mir selbst wieder einmal gegenüber. Zwischenzeitlich tropfen ein paar Tränen aufs Papier, mitten in der Sitzung. Vor sich selbst kann man nicht weglaufen.
Aber, und das macht diesen Lehrgang für mich einzigartig, ich bekomme eine Ahnung, dass ich mein Ich nicht beiseite schieben soll. Sondern dass es zu integrieren ist, dass all mein berufliches Wirken drumherum aufzubauen ist. Dass dies möglich ist, lebt die Lehrgangsleiterin auf überzeugende Weise vor. Professionalisierung muss nicht außerhalb von mir geschehen, sondern ich kann dabei in mir bleiben, in meinem Es-ist-wie-es-ist. Mir war dies bisher nicht klar. Nun weiß ich. Dankbar. --- Als ich diesen Punkt in mein Abschluss-Feedback aufnehme und eben auch der Trainerin persönlich danke, nickt ein Teil der Runde. Die anderen verstehen nicht, wovon ich rede. Macht ja nichts. Heterogenität als Chance, hieß es immer wieder in den drei Tagen. Und dass mit mir alles in Ordnung ist. (Dieser letzte Satz war in andere Worte gepackt. Ich habe mir die Coaching-Sprache hier für mich übersetzt.)

Nebenbei:
Eine erste Mahlzeit, wir kennen uns alle überhaupt noch nicht. An unserem Tisch sind zufällig alle Nicht-small-talk-Fähigen des Kurses versammelt. Wir schweigen. Und essen. - Seltsam, still, ungewohnt. In mir Erinnerungen an mein Schweigewochenende, vor einiger Zeit. Wie sehr man das Essen wahrnimmt, den Geschmack, den Geruch, das Gefühl im Mund, und alles andere, was sonst im Gespräch ertrinkt. Mich begeistert, dass das hier geht. Gleichzeitig der Gedanke: wie es wohl den anderen gerade gehen mag? Als wir die Gabeln weglegen, sagt einer: Danke. Aha - nicht nur ich habe das Schweigen als Geschenk erlebt.
*
Das Internet reicht nicht in mein Zimmer. Nehme das als Zeichen - schleppe das Netbook nicht in die Sitzung mit, nicht in den Speisesaal, sondern: Keine Mails, kein Bloggen, keine Kontakte - das soll wohl so sein. Und ist gut so.
*
Abends im Gewölbekeller - ich setze mich zu all diesen Mitteilnehmern (was ich sonst auf Fortbildungen selten tue). Kann und will plaudern, einfach so, beruflich und anders. Nicht in meinem Zimmer mit meinem Buch, meinen Worten, meinem schweren Kreisen sein. Die Leichtigkeit des Gewölbekellers.
*
Draußen ist Nebel. Nebel über Nebel. Passt. Als am dritten Tag die Sonne herauskommt, fühle ich mich geblendet. Merke, dass ich sie gar nicht bräuchte. (Damit bin ich wohl die Einzige im Raum.)
*
Abschied. Wir werden in gleicher Runde im Februar wieder zusammen kommen. Und später noch einmal. Das ist gut.


Gestern dann - ich komme heim aus der anderen Welt. Nicht mal eine Stunde Fahrzeit - ich bin dort noch gar nicht weg, als ich die Haustür aufschließe. Entgegenfliegende Kinder. Entgegenfliegende Aufgaben. Nicht alles so gelaufen in den drei Tagen wie es sollte.
Müde. Unendlich müde. Das Glas Rotwein übernachtet auf dem kleinen Tisch, weil ich vorher einschlafe.

Vorhin - Aufwachen aus einem Traum-Gedanken-Mosaik mit einer Billion Bestandteilen, noch nicht zusammengepuzzelt. Decke über den Kopf. --- Doch ich muss die schützende Höhle der Bettdeckenwärme verlassen, hinaus ins Was-will-das-Leben-jetzt-wieder-von-mir.

Heute, nachher, wird ein Schwarm Kinder mit Lebkuchenbauvorfreude in den Augen hier hereinfliegen. To do bis 15 Uhr - nein, nicht jetzt dran denken. Noch sitze ich hier.

Morgen, früheste Morgenstunde, in den Zug nach Berlin, mit den Kindern. Zur Oma, zur Uroma. Viel mehr mag ich dazu gerade nicht sagen. Mein Herz pocht so sehr, mein Lebensspiegelbild kommt mir entgegen, und jede Menge Bangigkeit, das Gefühl von Überforderung, Fragen, Zweifel, Demut, Leere, Hoffnung.

Zu viel zu Lebendes in zu kurzer Zeit.
Seit Tagen spüre ich die kleinen Stellen innen unter den Augen. Dort wo die Tränen hervorquellen. Dort wo die Altersfältchen reifen. Seit Tagen fühle ich dort Müdigkeit, Druck, Erschöpfung.

Am Montag und Dienstag werden meine Kollegen für mich meine Arbeit tun. Ich sagte doch: Schätzchen. Und das ist viel zu flapsig gesagt.
Jetzt: die Kinder sind aufgewacht. Nun doch To-do-Listen - jeder bekommt seine. Ich erkläre, dass sie heute gut mittun müssen, weil es so viel ist. Ein Packen also für jeden von uns. Sie nicken.
"Auf geht's, unser Samstag beginnt." Sie flitzen hoch. Ich schreibe hier die letzten Sätze.