Freitag, 27. September 2013

Dankbar


... dass ich nun endlich Worte finde. Öffnende, befreiende Worte, aus dem Kokon heraus, der mich seit nunmehr einer Woche von der Welt trennt und dabei doch tief ins Leben hineinführt.

... für Tränen, für viele Tränen. Für manche ganz besonders. Für Tränen, die neue Türen öffnen.

... für die Menschen, die mich trotzdem in den Arm nehmen. Trotzdem? Weil Du doch schon so alt warst, und es doch lange abzusehen war, und es schließlich ein guter Tod, und was-will-man-mehr-alles-bestens ist, wenn ein Mensch so uralt und so friedlich geht. Und trotzdem. Ich lehne mich in jeden umarmenden Arm hinein. Und in manches Menschen Gegenwart wage ich sogar zu weinen.

... dass mir dazu - ich weiß nicht woher - irgendwoher die Kraft zum "Funktionieren" geschenkt wird. Die Tage dieser Woche haben alles gefordert.

... für eine innige Begegnung, noch im August. Du warst wacher und präsenter als bei unseren Besuchen zuvor. Du hast die Kinder berührt. ("Weil sie so gute Laune hatte. Und wir uns mit ihr richtig unterhalten konnten ...") Und mich hast Du berührt. Sehr. Als Du meine Tochter nämlich mit meinem Namen ansprachst. Diese Liebe, aus der Verwirrung heraus. Verwirrt nur über Namen und Daten, Generationen und Zeiten. Schall und Rauch. So warm, so klar, so ganz Du in Deiner Liebe.

... für eine letzte Umarmung, damals im August. Sie ist mir in und unter die Haut geflossen. Ich war mir bewusster denn je. Schon viele Jahre hatte ich beim Abschied gedacht, dass es das letzte Mal sein könnte. --- Diesmal habe auch ich es vielleicht gespürt? Jedenfalls habe ich nicht wie sonst Fotos gemacht. Nicht Dich, nicht unsere Begegnung festzuhalten versucht. Vielleicht hatte ich endlich begriffen, dass wir Dich loslassen müssen.

... dass Du mich - Zufall nennt man das? - vor einer Woche nun auf dem Weg, mich von Dir zu verabschieden, in einen Zug gesetzt hast, der über lange Strecken ausgerechnet an dem Radweg entlang führte, welchen ich vor einigen Wochen mit dem Sohn genommen hatte. Entgegengesetzte Richtung. Entgegengesetzte Stimmung. --- Im Schweren das Gute, das Leichte, das Lebensfüllende finden. Darin warst Du mir Lehrerin. Ich saß im Zug, fuhr Dir entgegen, sah auf den Radweg und spürte Dich. Beglückend durch den Tränenschleier hindurch.

... für den stillen Raum, in welchem ich von Deinem stillen Körper Abschied nehmen durfte. Ob Du noch da warst, oder schon nicht mehr? Hier oder dort? Beides? --- Du warst ganz bei Dir. Ganz im Frieden. Und warst um mich herum. Durch Deine kalte Haut strömte alle Wärme, die mich seit meiner Kindheit getragen hat. Ich habe Dich lange gehalten und gestreichelt. Ich hätte wohl einen Tag oder länger dort sitzen mögen. Und doch war auch ich im Frieden, als ich die Tür zum Raum Deines Körpers dann hinter mir schloss.

Dankbar.
Dankbar vor allem dafür, dankbar sein zu können.
Mein letztes Wort an Dich war Danke.


Heute vor einer Woche um diese Zeit hast Du noch geatmet. Ganz still schon, ganz flach, oder ganz unruhig? Wir wissen es nicht. Werden es nie wissen. Du hattest vorher keine Zeichen ausgesendet, dass es nun soweit sei. Jedenfalls hatte niemand diese Zeichen lesen können. Vielleicht wolltest Du niemanden um Dich haben. Hast Du es gespürt? Wo warst Du, jetzt genau vor einer Woche? Hast Du gesehen, dass Du in die Tür eintrittst, die auf die andere Seite führt?
Ich glaube ja. Ich glaube, Du wusstest es ganz genau. Und wolltest den Schritt allein gehen. All-Ein.
Das fühlt sich nach Frieden an, nach tiefem Eins-Sein.

Mein Leben lang warst Du um mich. Immer. Immer warst Du da.
Dieses Nie-mehr ist nicht zu begreifen.
Meine geliebte Oma, ich trage Dich in mir.
Für immer.

3 Kommentare:

  1. Ja, wahrlich befreiende, unendlich liebende Worte! Sie ist nicht mehr da- und überall!

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  2. Schöne berührende Worte
    Mein herzliches Beileid!

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