Mittwoch, 4. November 2015

Herbstradeln Tag 1: München - Augsburg


Es ist ungewohnt. Nach der langen Sommertour, in der ich mich treiben ließ, eine endlose Zeit vor mir, nie wissend, wohin mich der Tag bringen wird, ist bei dieser das Ende schon mitgedacht. Wenn ich am Montag wieder in der Schule stehen muss, wenn die Tageshelligkeit zudem gegen 5 Uhr erlischt, die Zeitfenster zum Fahren also beengter sind, dann kann ich nicht anders als stets schon ein Wie-weit-komme-ich-heute und ein Es-sollte-früh-losgehen mitzudenken.
Erstaunlich jedoch, dass es mich nicht einengt. Heute jedenfalls nicht. Vielleicht auch nur, weil ich gegen 8 schon mitten im Münchner Berufsverkehr unterwegs bin, stadtauswärts treidelnd, sofort im Fahrfluss angekommen, und die Zeit bis Augsburg wirklich reichlich bemessen ist.

Da ist Wärme.
Schon morgens. Die Wetterapp zeigt 1 Grad, die gefühlte Temperatur aber lässt mich sofort eine meiner fünf Kleidungsschichten ablegen. Die Stadtdunstglocke vielleicht? Doch draußen wird es nicht kühler, im Gegenteil. Ich lege noch mehr ab, sogar die Handschuhe, werde durch und durch sonnengewärmt, fürchte gar einen Sonnenbrand, gegen den ich nichts mithabe - wer kann so etwas im November ahnen - und spüre im Innern ein Echo dieser äußeren Wärme. Oder ist es andersherum?

Da sind Farben.
Und was für Farben! Was für Licht!
Orange in allen Schattierungen, das strahlendste Sonnenabbild, das man sich vorstellen kann.
Gelbe Baumhorizonte vor blau-weiß gestreiftem Himmel, den ganzen Tag lang.
Schwarze Baumkronen in bizarren Formen, mit einzelnen Lichtflecken geschmückt. Oder kahl schon, wie eine Verzierung das Hintergrundhell schmückend.
Gelbgrüne Birkenhaine vor graudüsteren Wolken. Petersburg-Erinnerungen fluten mich. Ich kann mich nicht entsinnen, eine andere Farbmischung als diese in meinen dortigen Herbsten gesehen zu haben,
(Nur das grelle Gelb und frische Grün des Winterrapses, das will und will sich für mich nicht in das Herbstspektrum einfügen. Ich versuche es zu ignorieren...)

Da ist Stille.
Zunächst mal sind da natürlich Geräusche. Ich selbst. Meine Jacke raschelt. Warum mir das auffällt? Im Sommer trage ich auf der Tour nie eine solche Jacke, bzw. wenn dann regnet es, und es klingt wieder anders. Heute also neues Jackenrascheln. Und die Reifen auf Asphalt. Klingen die nicht auch anders? Trockener, härter irgendwie, scheint es mir. Ob ich mir das einbilde, oder ob das Sirrgeräusch wirklich von der Temperatur abhängt?
Und dann ist da - nicht viel. Krähen krächzen. Viel mehr Vögel höre ich nicht. Ein paar Landmaschinen. Ab und zu Autos, wenn mein Weg nicht abseits führt.
Aber Schützenvereine. In jedem Dorf einer. Alle voll besetzt, es knattert unablässig. (Mir ist das unverständlich. Vielleicht stört es mich deswegen so auf, immer wieder.)
Sonst: nicht viel. Die Welt ist stiller als im Sommer. Ohnehin ist auf den Wegen kaum jemand unterwegs, die Radwege sind meine. Doch auch die Natur ist ruhiger. Oder scheint mir das nur? Ist alles Erleben nicht ein Spiegel des Inneren? So sei es. Dann ist es wohl in mir sehr still derzeit. Gut.

Da sind Orte.
München, die Befürchtungen ärgsten Berufsverkehrs lösen sich in ein Nichts auf, weil weder gehupt noch gedrängelt, sondern einfach ruhig gefahren wird. Nach 17 km, zwei Schlössern, Kanälen und knapp zwei Stunden habe ich die Stadt hinter mir. Und bin kein Milligramm angestrengt.
Weitere größere Orte umfahre ich. So gelingt es mir, mich in ein fast-schon-Brandenburg-Gefühl zu versetzen. Die Einsamkeit, die Abgeschiedenheit. Mit der Kehrseite: keine Einkehrmöglichkeit, man glaubt es kaum, hier mitten in Bayern. Vielleicht ist auch nur mittwochs Ruhetag, jedenfalls auf der Route, die ich wählte.
Kurz vor Augsburg ein Ausflugsstausee, meine Brotzeitrettung. Und bald schon die Stadt. Ich habe noch Zeit, bummele durch die Altstadt, übersehe das Fahrräder-verboten-Schild (wirklich: das ausgefuchste System - da wo Straßenbahnschienen sind, darf man fahren, und nur dort - erschließt sich dem Auswärtigen nicht) und überrede die Ordnungshüter erfolgreich, dass es wirklich nicht erkennbar war: ¨Wir verwarnen Sie hiermit mündlich. Wenn Sie uns versprechen, dass Sie jetzt nicht mehr fahren werden.¨ Nichts leichter als das:)

Und jetzt bin ich da, Augsburg. Der Freund, bei dem ich übernachten werde, arbeitet noch. Ich sitze in einem Straßencafé, tippend, Kaffee trinkend (das gesparte Strafgeld auf den Kopf hauend;-)), Stadtleben um mich.

Gleich beginnt ein Abend voller Gespräche, voll Begegnung.



1 Kommentar:

  1. Das hört sich echt nach ruhigem Reisen an.
    Wie die späteren Gespräche waren, kann ich mir ungefähr vorstellen.
    Ach, meine liebe...
    Einen ruhigen Gruß zu Dir-
    Sonja

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