Montag, 29. Juni 2015

Vor vier Wochen - Tag 4: Parchim - Röbel


Vorsätze mit Raster sind vorgesetzte Rastlosigkeit. (Der war jetzt nicht so gut, oder?) - Jedenfalls: Wie hatte ich glauben können, Tag für Tag die Radreise zu erzählen, wenn hier nebenbei das ganze schulische Leben läuft.
Ich bin also um eine Woche verrutscht und taufe um: "Vor vier Wochen ..."

Die Frühstückszeit hatte ich abends für 7.30 angegeben. Ehrgeizling, ich. Immer noch gefangen in der irrigen Meinung, ein Radwanderer müsse eben früh aufbrechen. Die lieben Wirtsleute kooperieren mit meinem Schweinehund, indem sie eine 2-Liter-Kaffeekanne auf den Tisch stellen und dafür sorgen, dass ich zunächst meine nächtlichen Träume ins Tagebuch verfrachte und ein paar Kilo Buchseiten inhaliere. Kaffee aber auch. Und weil es eh schon so spät ist, schraube ich vor dem Gepäckbeladen gleich noch an allen Teilen des Fahrrades herum, die ich schon immer richten wollte. Wenigstens habe ich das Rad nicht noch neu angestrichen. Allerdings einen Radladen aufgesucht (Schmiermittelnachschub!) und ganz gebannt einer Diskussion von Vater, Mutter, Verkäuferin gelauscht, ob an dem Retrogeschenkradl für das pubertierende Tochterkind ein Schloss an sich und wenn ja welches denn "cool" und "angesagt" ist. Das Diebstahlsargument kam in der Diskussion am Rande vor.

Nun, es ist 11 Uhr, als ich Parchim verlasse. Von dem Tag an sehe ich die Abfahrtszeit gelassen. Gehetzt fühle ich mich im Alltag genug.






Der Weg ist heute vorzugsweise gelb und hügelig. Wohltuend kraftfordernd und -gebend. Manchmal stehe ich vor einem Tor, von dem es auch wieder ... ähm ... auf den Weg geht. Immer weiter.







Da sind alte Steine, welche mich nicht überraschen. Und alte Inschriften, welche dies tun. (Für die im anderen Land aufgewachsenen: dies sind kyrillische = russische Buchstaben. Heißt "Plau" und "Parchim". Der Putz des Hauses weist also eine beeindruckende Haltbarkeitsdauer auf.)




Später setze ich mich in Lübz zu einem Nachmittags-zweiten-Frühstück nieder und stelle fest, dass ich hiermit genau das Foto aus dem Bikeline-Radwanderführer aufgenommen habe. Woher wussten die, wo ich mich hinsetze?




Heute ist ein optisch besonders seelestreichelnder Tag. Als Ausgleich für gestern?
Ich liebe diese alten Alleen, und selbst der Schornstein kann mir das Bild nicht trüben.




 


Plau am See ist ein wenig, nun, wie sagt man, leer? Leer trifft es nicht ganz. Es ist nicht nur leer. Es ist schmerzend leer. Leergewohnt. Leerverlassen. Leervereinsamt. Irgendwie so.
Touristen natürlich gibt es wie überall in dieser Ecke, das ist klar. Daher ergibt sich beim Fotografieren die absurde Situation, dass man zwar keine "normalen" Menschen, also Einwohner&Co auf dem Bild hat, aber stets achtgeben muss, dass nicht wer in Ich-war-da-Pose mitten aufs Bild kreuzt.










Der See von Plau am See dann ist ebenso leer. Dies allerdings würde ich den Temperaturen zuschreiben. Kalt kalt kalt, immer noch. Die Radwegeplaner haben daher vorausschauend und fürsorglich eine Erwärmungsübung von ca. 10 Kilometern eingebaut. Sie haben einfach den Asphalt von der Piste gekratzt, die Bäume§Büsche rechts und links etwas näher an den Weg gerückt und lustige Hügel aufgeschüttet. Zusätzlich haben sie die Wegweiser entfernt und an von der Himmelsrichtung her fraglichen Stellen sternförmig Sackgassen angebaut ...




Nu ja, gefühlt kurz vor der Dämmerung erreiche ich die andere Seite des Plau-am-See-Pfades. Und meine Kraft ihr Ende. Und meine Gangschaltung ihren ausgeleiertsten Zustand seit Kauf. Der höchste Gang vorn will nicht mehr. Zwangsläufig greife ich schon wieder zum Werkzeug. Zum Glück mussten wir früher (damals, im Osten) immer alles selbst reparieren. So finde ich auch ohne you.tube-Anleitung die verdächtigen zwei Schrauben, stelle fest, dass sie locker sind (*was meine Schüler schon immer über mich wissen wollten*) und ziehe sie an. Yep, und *stolzbin*.

Der Rest des Tages ist vom Blick auf die Uhr geprägt. Ich möchte morgen Nachmittag in Klink sein und nehme nun also die Reifen untern Arm. Weil der Radwanderführer wiederum sandige, unwegsame Streckenabschnitte voraussagt und ich vom Mountainbiking für heute genug habe, nehme ich asphaltierte Umwege. Nicht gerade Autobahnen, aber doch fast. Zum Ende des Tages nämlich, als alle verkehrsberuhigten Wege noch über ein Dutzend Dörfer und Umwegkilometer führen, entscheide ich mich für ein Stück Bundesstraße. Ich weiß, das nervt. Das nervt sogar sehr. Kann denn dieses blöde Rad nicht nebendran fahren. Ich schaffe es auch nicht ganz ohne mich zu schämen. Insbesondere vor dem VW-Bus, der mangels Überholmöglichkeit eine Ewigkeit hinter mir tuckern muss und den ich später auf dem Campingplatz wiedertreffe. Hoffentlich erkennen die mich nicht.




Es ist 19 Uhr, als ich Röbel erreiche. Für diejenigen unter uns, die immer noch nicht mitbekommen haben, wo wir uns befinden: Müritz-Therme. Müritz-Immobilien. Müritz-Bestattungen, gleich neben Müritz-Döner. Für jeden was dabei.

Und für mich: Müritzblick. Das ist jetzt einfach nur gut.




So gut wie das Ankommen am Zeltplatz, dessen telefongarstige Angestellte schon weg ist. Ich hatte ja am Telefon noch diskutiert, dass sie mir die Duschmarke doch in einem Umschlag an die Rezeption kleben könnte und dass ich sie auch bezahlen würde, falls sie zwischenzeitlich entwendet würde. Nee, ham wa noch nie jemacht. Okee okee. Dafür verspricht sie, morgens extra eher zu kommen, um 7 schon, wegen meiner Duschmarke. Öhm, das hatte ich gar nicht erbeten. Jetzt fühle ich mich unter Druck, weil ich also früh morgen aufstehen muss, und frage mich, ob ich sogar schon durchs Telefon gestunkengerochen habe.

Insbesondere diesen letzten Gedanken verdränge ich erfolgreich, wage mich in die Biergartenzivilisation (nicht ohne vorher noch das letzte Hemd aus der Packtasche anzuziehen), sorge dafür, dass das Detail rechts unten ins Bild gerückt wird und schaue ansonsten nur noch auf den See. Früher dachte ich, man müsse alt sein, um stundenlang nichtstuend auf einen See zu schauen. Heute denke ich das immer noch. Und ich begreife eine Wahrheit über mich ....




Im Ernst, was hier so flapsig daherkommt, weil die Trubeltage des Schuljahresende kaum noch eine andere Sprache zulassen als die albern kichernde - so wie bei Pubertierlingen immer dann, wenn es ans Eingemachte geht - das ist eine wirkliche Wahrheit meines Unterwegsseins:
Man ist sich selbst Gefährte und lernt sich besser kennen als je im Alltag, wo man stets ein wenig von sich selbst getrennt durch die Welt irrt.
Und mit dieser Küchenphilosophieweisheit sei genug vom heutigen Tag erzählt.





5 Kommentare:

  1. Ich finde Ihre Reiseberichte einfach prima.

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  2. Wiedererkennung, schöne Müritz- und auch sonst- Bilder!

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  3. ich lese dich so unglaublich gerne!
    danke dir fürs eintauchen dürfen in deine erinnerunegn<3
    lieben gruss
    christina

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  4. @Sonja:
    Ich glaube, ihr wart an einer anderen Ecke der Müritz. Aber das Fasizinierende an diesem See ist diese besondere Weite, die dann doch wieder von allen Seiten her gleich wirkt. Mich hat das sehr in die Kindheit zurückgezupft, auch wenn wir damals sicher auch woanders waren.

    @Christina:
    Danke, dass du hier ein kurzes Wortzeichen gibst. Ich freue mich sehr! Lieben Gruß zurück, Uta

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