Freitag, 11. Februar 2011

Harmonielehre

Sehr, sehr gut war der Chor, in dem ich früher gesungen habe. Ein kleiner A-Capella-Chor, gut genug für Chorwettbewerbe und CD-Aufnahmen, gute Stimmen rechts und links von mir.
(Dass ich mich inmitten dieser als ungeeignet, unausgebildet, zu schlecht empfand, dass ich mich stets ein wenig duckte und ängstigte vor einem falschen Ton, das ist eine andere Sache.)

Wie wir dort sangen, habe ich verinnerlicht:
Sich in den Klang von rechts und links einfügen, die eigene Stimme nicht dagegen, sondern hinein setzen, mit dem eigenen Ton die Brücke bilden zwischen rechtem und linkem, zwischen vorderem und hinterem Singenachbarn. Miteinander singen also, nicht neben- oder gar gegeneinander. Echtes Miteinander, so dass der Chorklang ein Ganzes werden kann.

Nun singe ich wieder in einem Chor. Weit größer ist dieser, weit weniger ausgebildet, eine ganz andere Art des Singens. Es ist kein A-Cappella-Chor, da ertönt rings um mich so manches an Tonhöhe und Tempo. Zudem in den Proben ein (verstimmtes) Klavier, in den Konzerten ein (zuweilen auch verstimmtes) Orchester.
Und mittendrin sitze ich. Stets ein wenig angespannt, wie ich beobachtete. Erst kürzlich ging mir auf warum: Weil ich meine Singegewohnheiten von früher in mir trage und auch in diesem Chor nicht abgelegt habe, weil ich versuche mich einzufügen, zu vermitteln zwischen rechts und links, Differenzen auszugleichen, zu harmonisieren.
In der letzten Probe nun wollte es der Zufall, dass links von mir eine saß, die exakt Klaviertonhöhe und Dirigententempo mitsang, während rechts von mir eine genau dies nicht tat. Dazwischen ich.
Schwierig. Ich versuchte mich am Ausgleich. So lange, so sehr, bis ich meinen eigenen Ton verlor, bis ich überhaupt nicht mehr wusste, wo, wer, wie ich bin mit meiner Stimme. So weit ließ ich es kommen.
Bis mich die Dirigentenansage aufweckte: Warum denn unser organisches Anfangstempo immer im Laufe der Zeit auseinanderfallen würde - das verstünde er nicht.
In dem Moment verstand aber ich:
So kann ich nicht weitersingen - anders muss es werden. Wenn ein Ausgleich nicht möglich ist, wenn ich zerrissen werde zwischen dem einen und dem anderen Tempo, zwischen den unvereinbaren Seiten, dann darf ich nicht länger in diesem Spagat singen. Dann muss ich meine eigene Stimme finden.
Und erstmals seit langem sang ich gegen eine Singnachbarin an. Hielt ihr mein (auch des Dirigenten) Tempo bewusst entgegen, wendete meinen Kopf in ihre Richtung, schlug mit Fuß und Körper sichtbar den Takt. Ich ließ mich von ihr nicht mehr beirren - sang das Meine.
Was sie damit gemacht hat, weiß ich nicht.
Aber ich fand wieder in mich hinein.

Solch eine Harmonielehre ist in der Musik also auch zu finden ...

4 Kommentare:

  1. Liebe Uta,

    wie ich mich jetzt gerade in deinem Text wiederfinde ist erschreckend :-) auch ich sang Jahrzehnte in einem Chor der den höchsten Anspruch in sich trug immer an der Spitze mitzusingen und immer perfekt zu klingen. Da wurden Töne nicht einfach so zum Spaß gesungen sondern sie wurden perfektioniert. Auch ich habe mich eingefügt, niemand sollte mit seiner Stimme herausbrechen, alle waren eine Einheit, ich war froh darüber. Der Nachteil bei einem solchen Chor zu singen war der Zeitaufwand den ich nicht mehr mithalten konnte und daher vor ein paar Jahren aufgehört habe. Ich glaube auch mir würde es schwer fallen mich in einem neuen Chor einzufinden weil mich dieser eine so geprägt hat. Da muss man erst hart an sich arbeiten um zu lernen wieder Ich-selbst zu sein - wie so oft im Leben.......

    herzliche Grüße in deinen Tag
    Rina

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  2. Das mit dem Singen im Chor klingt für mich wie eine Lebensweisheit: Du musst deine Töne und deinen Rhythmus singen und nicht die anderen damit ausgleichen,"nicht im Spagat singen" nanntest du es.
    Irre ich mich oder zieht sich das Prinzip - ausgleichend, im Spagat - durch dein Leben?

    Ich schicke dir liebe Grüße ins Kloster "hinterher" und hoffe, die Tage tun dir gut.
    Alles Liebe
    Constanze

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  3. Hey -
    das läßt sich doch nahezu eins zu eins auf manch andere Situation des Lebens übertragen... es kann sogar für die anderen (und das Ganze) gut sein, wenn man bei der eigenen Stimme bleibt und seinen Kurs unbeirrt fortsetzt... vor allem ist es für einen selbst gut (ansonsten: Chor wechseln?! Oder: Einen selber gründen!). Aber nur, solange das Ganze dadurch gewinnt. Sonst verliert am am Ende mehr als "nur" die eigene Stimme (im übertragenen Sinne).
    Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende - höre Deiner inneren Stimme zu, lasse sie erklingen, es wird viel Dir bringen.dherac

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  4. Ihr Lieben,
    aber klar, ich schreibe doch immer vom Leben :)
    Rückkehr-Stille-Gruß
    Uta

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