Sonntag, 16. August 2015

Tag 9: Schöningen - Ilsenburg


Wie gegensätzlich Tage sein können. Wie anders als der gestrige dieser Tag daherkommt. Vielleicht muss das ja so sein? Ebbe und Flut, in stetem Wechsel, das eine das andere bedingend.
Heute keine Gedankenströme mehr in meinem Kopf, keine schnelles Hin- und Herswitchen zwischen den Themen, keine Pointen und Metaphern, kein Reflektieren dessen, was ich da tue: fahren, eilen, schleppen, mich anstrengen.

Sondern: ich fahre. Nicht mehr und nicht weniger. Das Wort ¨eingefahren¨ trifft es. Nach etlichen Tagen auf dem Weg ist dieser fließend geworden. Ohne nachzudenken, ohne zu wollen, ohne ständigen Blick auf Tacho und Ziel - fahre ich. Oder besser: fährt es. So fühlt es sich an. Nicht dass nicht hier und da ein Zipperlein zu spüren wäre, der Popo, die Finger, der Nacken. Ich bemerke das, aber ich wende dem nicht meine Aufmerksamkeit zu. Jedenfalls nicht lange. Ebenso wenig wie dem heutigen Untergrund, den ich im Nachhinein miserabel nennen würde. Alle Varianten der Radwegmisere sind vertreten, von Klebeschotter über Betonbohlenrumnpelpumpel bis zu Auf-und-Ab-Spring-Asphalt. Doch es stört nicht mehr. Ebenso wenig wie der Wind und das heute dominierende Bergauffahren. Oder die Tatsache, dass der Radwanderführer hier an etlichen Ecken so schlecht beschreibt, dass ich den ¨richtigen¨ Weg einige Male verliere. Somit bekommen andere Wege die Chance, zu richtigen zu werden. Ganz allein bin ich auf den Feldern (auf die ich ohne Verfahren nie gefunden hätte), zwischen springenden Rehen, Hasen und Mäusen, mit Blick in die Weite, auf den Brocken - wie kann das anders als richtig sein.
Es fährt sich einfach. Ich weiß gar nicht, was ich darüber noch erzählen soll.

Ich bin zufrieden, dass es so rund ist, das Ganze. Und dass sich so wenig in meinem Kopf abspielt, auch damit. Befreiend fast, dass es in mir auch mal schweigt, dass ich nicht permanent etwas formulieren möchte.

So viel, so wenig kann ich von heute erzählen. Vielleicht noch von den wenigen Pausen - bei Tröpfelregen unter Bäumen, um die Zeit zum Apfelessen zu nutzen; in Hornburg in Form von langsamem durch die Gassen treideln (aber Absteigen wollte ich nicht), an der Grenze in Mattierzoll, um mir die unfassbaren Dimension der Grenzanlagen vor Augen zu führen. Ich fahre mit dem Rad vom ersten bis zum letzten Zaun, das ist sehr weit.

Und vom Ankommen kann ich erzählen. Dass mich das Gewitter heute wieder kurz vor dem Ziel einholt. So kurz allerdings, dass eine Regenjacke nicht mehr lohnt.
Ich flüchte vor dem Schauer in einen Supermarkt, brauche eh einige Dinge, und als ich diese verpacken will, pladdert es so richtig los. Da ich aber gerade in interessantem Gespräch mit einer Frau bin - über das Reisen und Vagabundieren und das Zelten (und ich dabei gestehe, dass ich bei Regen lieber ein Zimmer nehme: schimpft mich Schönwettercamperin - damit habt ihr Recht!) - werde ich hier so richtig nass. Es ist warm genug, dass man dies ausgiebig genießen kann.
Ich betrete also nassgeregnet und fröhlich die Pension und lache zusammen mit der Wirtin, die sich entschuldigen will, dass sie nassgeschwitzt vom Kochen vor mir steht. ¨Ja, gucken Sie mal mich an!¨

In Ilsenburg bin ich früh, es ist Zeit, durch den Ort zu wandern. Licht über dunstigen Wäldern vor der Kulisse von Donnergrollen. Die Harz-aufwärts-Wälder verlocken, in Wanderstiefeln hindurchzuziehen. (Statt dessen werde ich morgen meine schwere Schindmähre hindurchkutschieren; möglicherweise schiebend.)
Später dann überrascht mich der Ort, weil um kurz nach 20 Uhr an einem Samstagabend, mitten in der Ferienzeit, die Küche schon geschlossen hat. Beim türkischen Imbiss nebenan gibt´s natürlich noch was. Sogar ein bisschen mehr. (¨DAS ist die kleine Portion?¨ - ¨Naja, ich hab ein bisschen mehr gemacht, ich dachte ...¨) Garnierung mit Freundlichkeit tut jedem Essen gut.

Auf den Wald morgen habe ich Vorfreude. Es soll regnen. Es geht steil bergauf. Ich werde mir nicht vornehmen, wie weit ich kommen möchte. Vielleicht nur nach oben, einfach um dort ein paar Stunden Zeit zu haben. Vielleicht, wenn es sich gut anfühlt, auch weiter, ganz hinüber möglicherweise? Es gibt genug Unterkünfte, darunter drei Zeltplätze - sollten alle anderen Unterkünfte voll sein, hätte ich dann doch noch die Chance, zur Schlechtwettercamperin zu werden.

4 Kommentare:

  1. Liebe Uta
    Was für ein Switch vom Vortag zu diesem. Der Schlüssel zu allem ist die Akzeptanz, denke ich. Diese Hingabe an das Leben. An das Jetzt. An das, was ich ja doch nicht ändern kann.
    Aufhören zu hadern. Der Lärm im Kopf ... ja, das kenn ich auch gut. Diese halbgaren Sätze, die erst beim Schreiben zu ganzen werden (wollen), auch die dürfen mal schweigen.
    Danke für deine Reiseberichte, ich mag es mit dir mitzureisen (wie ich schon wiederholt gesagt habe).

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    1. So ähnlich habe ich´s heute morgen auch gedacht, als die vielen Berge vor mir lagen. Man muss das annehmen, was kommt. Dann wird es - auf eine tiefere Weise - leicht. Ganz leicht ...

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  2. Da ich selber Radtouren mache (ich bin diesen Sommer von Nyon über den Jura nach Basel geradelt (in der Schweiz), lese ich deinen Bericht mit einem Schmunzeln. . .. :-)

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    1. Es freut mich, dass du hier etwas wiederfindest ... Auf irgendeine Weise sind ja alle Reisen vermutlich gleich.

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