Donnerstag, 17. September 2009

Geoutet

Gestern: mein erster richtiger Schultag. Und wie immer nach den langen Ferien beschleicht mich ein ganz seltsames Gefühl. Kurz bevor ich die Klasse betrete, durchzuckt mich ein "Ich kann das nicht. Nie und nimmer werde ich mich dahin stellen. Ich weiß gar nicht, wie das geht. Und was soll ich überhaupt zu den Schülern sagen? Wie kann ich diesen Gang nur überleben ..."
Völlig unprofessionell, wie mir seit Jahren scheint. Denn in Wirklichkeit kann ich das ja, bin oft genug vor eine Klasse getreten, bin oft genug nicht daran gescheitert. Und dennoch erfasst mich alljährlich nach den großen Ferien dieses dumpfe Gefühl, jetzt gleich zu versagen und all mein professionelles Handwerkszeug verlernt zu haben.

Die Kollegen? Treten locker und ungerührt vor die Klasse, wälzen nicht dieses seltsame Problem. Keiner außer mir ist hier innerlich am Verzagen ... klar, sind ja alles Profis.
(Nur dunkel erinnere ich mich, dass in meiner Ausbildung vor x Jahren ein Seminarleiter Ähnliches berichtete, dass er nämlich seit Jahrzehnten eine solche Schuljahresstartschwelle überwinden müsse. Doch das ist lang her und gehört für mich bereits zum Bereich der Sagen und Märchen.)

Gestern also, es ringt in meinem Innern, ich stehe in den Startlöchern. --- Und: ich sehe meine neue Kollegin E. in der Lehrerzimmerecke stehen, das Geodreieck von der einen in die andere Hand jonglierend, nervös lächelnd.
Ich wage zu fragen: "Was ist?"

Wie gut dass ich zu fragen wage. Denn als Antwort kommt ein: "Oh, bin ich aufgeregt. Was mach´ ich denn, wenn ich reinkomme und die lachen? Wenn die mich nicht ernst nehmen ... Oh Gott, wenn ich das nicht kann!"
(Dazu muss ich sagen: E. ist schon ein paar Jahre länger im Beruf als ich, souverän, professionell, liebevollst, und ohne zu zögern würde ich mir genau diese Lehrerin für meine eigenen Kinder wünschen.)

Puh!!! Noch nie (in Worten: NIE) habe ich aus Lehrer-Kollegen-Mund ein solch offenherziges Outing gehört. Noch nie habe ich mich auch nur ansatzweise verstanden gefühlt in diesen Versagensgefühlen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass so eine wie die E. auch solche Ängste hegt. Nie im Leben hätte ich vermutet, dass nicht nur ich dieses "Problem" habe.

Und jetzt frage ich mich, wie es wohl in all den anderen professionellen Gemütern aussieht, so kurz vor der ersten Stunde nach den langen Ferien. Wer weiß, ob wir nicht alle ähnlich fühlen. Wie gut tat es, in diesem Moment in E. hineinblicken zu dürfen. Wie gut täte es, hätten wir den Mut, uns gegenseitig dieses Innere, Verletzliche zu zeigen, es miteinander zu teilen.

Und ich frage mich natürlich auch, wie die Kollegen wohl mich von außen sehen. Wer weiß, ob auch nur irgendjemand ahnt, welche Ängste und Zweifel manchmal in mir sind. Vermutlich gelte ich als ziemlich professionell.

Was zeige ich eigentlich von mir?
Bin ich ganz ich, immer? Nach außen auch?
Welche Masken trage ich? Warum eigentlich???

Danke, E., für dieses geteilte Erleben.
Auch wenn Du hier nicht liest.

2 Kommentare:

  1. Ooooh, ich mache seit dieser Woche mein Praxissemester und da beruhigt es mich doch ungemein, wenn auch erfahrenere Lehrer aufgeregt sind... Ich denke immer, ich bin das Nervenbündel in Person und alle anderen stehen ganz cool hin... :)

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  2. Sie sind aber nicht zufällig die Praktikantin, die heute bei mir hospitiert hat? ;-)))
    In dem Falle sehen wir uns ja morgen früh ...
    Ansonsten (oder auch in dem Falle): Viel Erfolg und gute Erfahrungen in diesen wichtigen Wochen wünsche ich Ihnen!
    Herzliche Grüße
    Rebis

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