Dienstag, 15. September 2009

Laune oder Verzweiflung?

Mit dem linken Bein aufgestanden ist noch eine arge Untertreibung für das, was der Sohn heute aufgeführt hat, seitdem ich ihn um ein Uhr von der Schule abgeholt habe.

Ich wage auf seine Ein-Wort-Auskunft über den Verlauf des Schultages eine Nachfrage - er faucht mich an: "Ich hab´s doch schon gesagt."

Er will im Auto wissen, "wie viel zwischen zwei Advents" liegt, ich versuche ihm wortreich Zeitabläufe zu erklären (ein Jahr zwischen zwei Adventszeiten, eine Woche zwischen zwei Adventssonntagen und noch ein paar Details), gebe mir wirklich Mühe und bin echt geduldig - aber es ist alles nicht recht: "Du verstehst nicht, was ich meine!" (Ne, wirklich nicht.)

Als er in der Bücherei immer ungebremster tobt, dabei kleine Kinder umrennt und auf meine Ermahnung zu stoppen aber sowas von gar nicht reagiert, mache ich die angekündigte Konsequenz wahr, dass er dann heute keine Bücher mitnehmen darf - da rennt er gerade weiter mit einem "Mir doch egal." - Ähm, wir verlassen alsbald die Bibliothek.

Auf der Straße tob-spielt er mit der Schwester in gefährlicher Autoverkehrsnähe, ich ziehe beide, jetzt schon leicht entnervt, zum Gehweg - darauf kommt ein: "Andere Kinder haben viel bessere Eltern."

Kurz darauf fragt er mich etwas zu einer Schaufensterauslage, ich antworte alters-, sach- und situationsgemäß, wie ich finde - und bekomme nur ein scharfes: "Das ist jetzt gar nicht das Thema."

Im Bus kann ich ihn mit keinem Mittel der Welt dazu bringen, dass er sich, da wir stehen, festhält - ich gebe auf und riskiere bei der sehr zackigen Fahrweise einen Unfall :( (GsD blieben wir verschont).

Zu Hause der nächste Wutanfall, als ich ihm um kurz vor Acht nicht mehr erlaube, seine Einladung mal eben zum Nachbarsjungen zu tragen - er ist kurz davor, die sorgfältig gebastelte Einladung wütend zu zerstören, ich kann sie gerade noch retten.

An die vielen kleineren Wutanfälle dazwischen mag ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls ging es pausenlos so.

Oh man, mein armer kleiner Großer, was geht nur in ihm vor, was drückt ihn, was macht ihn so wütend-traurig-verzweifelt - oder ist das nur Laune? Ich würde so gern hinter seine Stirn und in seine heute so hilflose Seele schauen, würde ihm helfen --- nur heute habe ich den Weg irgendwie nicht gefunden. Überhaupt nicht.

Erst abends, zu einer Zeit, wo er eigentlich schon schlafen sollte, da fällt ihm ein, dass er noch gar nicht Klavier gespielt habe nach der heutigen Unterrichtsstunde, und dass er bis morgen sonst alles wieder vergessen hat, wenn er jetzt nicht mehr übt. Ich sage erst automatisch nein, aber plötzlich wird mir klar, dass die pünktliche Schlafenszeit jetzt absolut nachrangig ist, nur damit dieser Tag für ihn noch ein gutes Ende findet.

Er stürmt zum Klavier, beginnt den Beethoven, wandelt ihn auf seine Art, es wird wild, es werden immer mehr Cluster daraus - und hätte ich nicht gerade die Tochter einschlafend im Arm, würde ich das ungezähmte atonale Treiben sicherlich abbrechen. Wie gut, dass die Tochter mich daran hindert. Denn so werde ich akustische Zeugin, wie sich aus Clustern und Disharmonien die Wogen allmählich wieder glätten, wie mehr und mehr Harmonien aufscheinen, und wie schließlich sogar wieder Beethoven erklingt!

Nach einer Weile gehe ich zu ihm, er spielt mir noch alles mögliche vor, ich lausche, mal wieder staunend, woher er diese Töne zaubert --- und trage ihn schließlich hoch in sein Zimmer. (Ja, mein Rücken ist noch gesund ...)

Wir reden ein wenig über den Tag, kuscheln, finden noch zu einem gemeinsamen Lachen.

Jetzt schläft er. Und ich bleibe etwas hilflos zurück.

Bin ich zu ungeduldig? Gebe ich seinem So-Sein mit allem, was dazugehört, zu wenig Raum? Müsste ich ihn so lassen, wenn er diese Phasen durchlebt und einfach (ähm: einfach??) mit offenem Herzen und offenen Armen abwarten, bis er wieder auf mich zukommt, bis es sozusagen wieder wie Beethoven klingt?

5 Kommentare:

  1. Du hast es ganz bestimmt richtig gemacht, weil nur du so wie seine Mutter reagieren kannst.
    Ich hätte in einer solcher Situation in der Schule (bei der Lehrerin) angerufen, denn es klingt doch sehr danach, als hätte sich dort eine Stausituation entwickelt. Schön, dass ihr den Tag so habt ausklingen lassen können.
    Und wie geht es mit deiner Gesundheit? Fängst du morgen an?

    Lieben Gruss
    Gabriela

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  2. Ja, mir geht es wieder gut - wirklich. Und deswegen sitze ich auch noch hier ;-))
    Morgen erster richtiger Schultag für mich - und nachmittags kommt der Opa!
    Daran die Lehrerin zu fragen, habe ich auch gedacht, bloß ist das hier so spontan (mal eben in der Schule anrufen) nicht möglich, sie ist nicht dort am Nachmittag. Ich werde sie aber in den nächsten Tagen ohnehin sehen - vielleicht sollte ich mal fragen, Du hast recht.

    Liebe Gute-Nacht-Grüße
    Uta

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  3. Ich wünsche dir einen guten Start heute – in der Schule und mit dem Opa!
    Lieben Gruss
    Gabriela

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  4. Ich hoffe, Du hattest heute einen guten Start.
    Vor solchen Wutausbrüchen stehe ich auch immer wieder hilflos. Wie reagiert man richtig? Ich weiß nicht, ob ich ihn noch hätte Klavierspielen lassen, dabei war das anscheinend genau richtig.

    Sigrid

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  5. Ja, danke, mein Schulstart war sehr gelungen - fühle mich nun wieder wie ein Fisch im Wasser ;-)))

    @Sigrid:
    Das mit dem Klavierspielen ist bei uns sehr speziell - das ist sozusagen das Lebenselexier meines Sohnes, im Moment. Eine andere Beschäftigungsidee hätte ich ihn zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr umsetzen lassen.

    LG Uta

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