Freitag, 9. April 2010

"Ich bin zu schlecht"

Ein kleines Mädchen spielte heute mit unseren auf der Straße, eines, das ich hier noch nie gesehen hatte. Es war ein buntes, fantasievolles, einträchtiges Kindertreiben auf unserer kleinen Straße, mit viel Lachen und viel Juchzen, so dass einem das Herz warm werden konnte.
Abends frage ich den Sohn, wer das war. – Die M. – Ob sein Freund die aus der Schule kennen würde. – Nein, die M. sei schon in der Dritten. „Aber sie muss die Dritte nochmal machen, weil sie zu schlecht ist.

Oh“, sage ich, „sprich bitte nicht so. Schau …“, und dann rede ich mit ihm, welch großes Glück es für ihn sei, weil ihm in der Schule alles so leicht falle, und dass es in seiner Klasse doch auch Kinder gebe, denen es schwerer fällt zu lesen oder zu rechnen, oder die eben mehr Zeit bräuchten. Und dass die doch bestimmt traurig darüber wären, weil sie immer nicht fertig werden und so lange für die Hausaufgaben brauchen und in den Tests so wenige Punkte bekämen, weil für sie eben alles schwieriger ist. Dass sie aber deswegen noch lange keine „schlechten“ oder „zu schlechten“ Kinder sind, und ich sie nie so nenne, und auch nicht möchte, dass er das tut. – Ja, das wisse er schon, und manche Kinder in seiner Klasse seien tatsächlich oft traurig, aber „die M., die hat das doch selbst so gesagt. Sie hat gesagt ‚Ich bin zu schlecht.‘

Oh nein, ich glaub‘ ihm das, und kann es doch kaum glauben. Wie ein Kind, solch ein kleines schon, das Selbstkonzept „Ich bin zu schlecht“ mit sich tragen muss, weil – wer weiß? – die Lehrerin oder – wer weiß? – die Eltern oder – auf jeden Fall – der allgemeine Sprachgebrauch, die Sichtweise der Gesellschaft, das Schulsystem als riesige Gut-Schlecht-Sortiermaschinerie ihr das so lange ins Ohr flüstern, bis sie es selbst verinnerlicht.



Wenn die kleine M. mal wieder in unserer Straße spielen sollte, dann möchte ich sie am liebsten auf den Schoß nehmen und ihr sagen, wie witzig ich ihre Lausbuben-Schelmen-Ideen finde und wie toll ihr glucksendes Lachen und wie schön ihr Strahleaugenzwinkern. Und dass ich glücklich bin, wenn sie hier bei uns spielt, und meine Kinder mit ihr zusammen Quatsch machen.
(Und dass ich ihr viel Kraft wünsche. Nur das würde ich in dem Moment nicht laut sagen, weil ich es ihr nämlich nicht so gut erklären könnte … Ach, kleine M. … )

4 Kommentare:

  1. ach uta, es gibt immer mehr kleine kinder, die in dem wissen leben, "nicht gut genug " zu sein.
    seit die tests in den regelkindergärten immer mehr zunehmen, sind es schon dreijährige, die sich als defizitär erfahren müssen.

    heike

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  2. das rührt mein herz.
    und mir fällt ein, wie kinder mit ihren wunderbaren bildern kamen, verschämt fragten: gell, das ist sch...
    und wie ich mal eine fünfte klasse, neu am gym, malen ließ, wie sie sich in der neuen schule fühlten, und ein junge malte einen eiskachelraum...brrrrr. wohin geht unsere welt?
    ich sag nur: qualitätsmanagement und evaluation...

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  3. Liebe Uta,

    ich kann es mir so genau vorstellen - ich kenne die kleine M. nich - aber ich höre es fast. Ich wünsche Ihr Menschen um sie herum, die sie bestärken in ihrer eigenen Persönlichkeit und sie annehmen wie sie ist - sie sollte öfter bei Euch in der Straße spielen!
    Genau dieses 'Einsortieren' der Kinder beobachte ich schon länger, es macht mich oft fassungslos und lässt mich das Globusgefühl im Hals nicht immer wegschlucken.

    C.

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  4. Diese kleinen Kinder gab es doch leider immer schon, die (scheinbar) nicht genügten, es keinem Recht machen konnten und glaubten, es läge an ihnen.
    Eine solche Nachbarin, später vielleicht eine Lehrerin oder einen Tutor, der das, was in einem steckte, sah und als "Geburtshelfer" tätig wurde, wer hat das schon (gehabt)? Früher, heute?

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