Donnerstag, 25. März 2010

Pubertätsszenen

Als ich noch in der kleinen Stadt am Fuße unseres Dorfes arbeitete, fuhr ich jeden Morgen mit dem Zug in die Schule, und jeden Mittag wieder zurück. Mit mir zusammen immer viele Schüler, rings um mich eine einzige kostenlose Fortbildungsmöglichkeit, lauschte ich ihren Gesprächen (es waren ja nicht meine Schüler, und ich war "inkognito" unterwegs). Tagtäglich lernte ich Neues über Schülers Befindlichkeiten, über leichte und schwere Fächer, über gute und schlechte Lehrer, über Ärger mit den Eltern, über ihre Lebenswelten, ihre Weltsicht.

Heute arbeite ich im Nachbardorf, radle, fahre Auto – diese täglichen Zugschülerlektionen gibt es leider nicht mehr. Nur zweimal in der Woche fahre ich mit der S-Bahn heim, sitze/stehe genau 3 min drin.
Und gestern endlich wieder eine Lektion. Ja, ein ganzes Lehrstück - in Sachen Pubertät.

Szene 1:
S-Bahn fährt los, eine Gruppe 11-12 jähriger Mädchen steht neben mir im Gang. Plötzlich die eine: „Sch … ich hab meinen Ranzen liegenlassen.“ – „Ja wo?“ – „Na auf dem Bahnsteig, da am Ende.“ – „Ja wie?“ – „Hab ihn halt abgestellt als wir kamen. Hab ihn einfach vergessen.“
Die anderen glauben’s kaum, sie selbst auch nicht.
Beginnt ihre Überlegungen, was jetzt zu tun sei. Ob sie allein mit dem Zug zurück – aber dann kommt sie nicht pünktlich zum Training und schafft vorher die Hausaufgaben nicht – oder ob die Mutter mit dem Auto – doch nein, die hat sowieso immer so viel zu tun, die Arme – und wenn ich mit dem Fahrrad? – ach nee, der Gepäckträger – die Freundin fragt, ob nicht ihre Mutter – nee, das ist mir peinlich, und was kann die denn dafür – und der große Bruder, aber der hat wohl noch Schule …
Ich höre und sehe 3 Minuten lang ein ernsthaft reflektierendes, Verantwortung übernehmendes, einen Ausweg suchendes Kind. Bin beeindruckt. (Auch wenn das alles den Ranzen in dem Moment nicht herbeischafft.)

Szene 2:
S-Bahn fährt in unserem Dorf ein, das Mädchen steigt auch aus. Mutter lehnt am Auto, wartet. Ein Blickwechsel mit der Tochter, und diese bockt, sperrt sich, rebelliert.
Erster Muttersatz, vorwurfsvoll: „Was ist denn das?“
Erster Tochtersatz, trotzig: „Ja was denn?!?“
(Kind wird gemustert, fühlt sich in die Ecke gedrängt).
Zweiter Muttersatz, mehr als vorwurfsvoll: „Ja sach ma, spinnst Du?!“
Zweiter Tochtersatz, mehr als trotzig: „Ooo ej, lass mich doch in Ruhe!!!“


Weiter habe ich’s nicht mitbekommen. Das reichte.
Die Szenen sprechen für sich …


***

Und ich, ich werde mir dringend abgewöhnen müssen, meinen Sohn nach der Schule mit dem Satz „Und wo ist die Strickjacke?“ zu begrüßen. Dass ich nämlich gebranntes Kind bin, das kann als Entschuldigung hierbei wirklich nicht zählen.

3 Kommentare:

  1. wenn aber jede woche eine mütze in der schule bleibt, handschuhe sowieso, schals waren zum ende des winters auch alle... da kann ich den unmut jeder mutter verstehen. ich mag mich ja auch nicht dafür. und dann fehlt wieder eine brotdose, eine flasche oder oder... für dieses problem wird es nie eine lösung geben, die für beide seiten annehmbar ist. schwierig :)

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  2. Ach podruga, wem sagst Du das ... Mein Sohn vergisst nun fast drei Jahre lang morgens seinen Schulranzen, fast täglich. Würde ihn vergessen, wären da nicht wir ... Und in der Schule dann entsprechend.
    Tja, was gibt es statt der "Meckervariante" (die ja nun seit Jahren offenbar nicht hilft)? Ich kaufe auf Kleiderflohmärkten, wo's nicht viel kostet, ein paar mehr Jacken, Schals, Mützen, damit Vorrat da ist. Dito bei Flaschen und Dosen. Damals der morgendliche Schulbusfahrer hat es geschafft, jeden Tag den vergessenen Rucksack durch einen Scherz zu kommentieren. Die (4 Jahre jüngere!) Schwester trägt ihm den Ranzen selbstverständlich und kommentarlos ins Auto, sooo oft. An diesen beiden ein Vorbild nehmen?
    Und wenn er ohne Jacke zum Auto kommt, versuche ich (wenn die Viertelstunde Zeit übrig ist), ihn zuerst zu begrüßen, Ranzen ins Auto legen, kurz ein paar Sätze wechseln, und ihn dann ganz ruhig nochmal in die Schule zurückzuschicken, seine Sachen holen. Manchmal habe ich die Ruhe dazu - hätte sie gern öfter. Er wird nicht weniger vergesslich, aber wenigstens ist an solchen Tagen nicht auch noch die Stimmung verdorben.
    Ja, es ist schwierig, aber wenn er so verträumt daher kommt, durchflutet es mich manchmal: er kann doch nichts dafür ...

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  3. Ach Uta,

    sprichst du von meinem Sohn? Jetzt kann ich es mal schreiben: Er ist deinem soo ähnlich, ich glaub es kaum :-)

    Und Jaaa, auch ich wünsche mir viel öfter eine größere Portion Gelassenheit.

    Liebe Grüße
    Rina

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