Dienstag, 29. Dezember 2009

Ohne dich ...

Es ist schon eine Weile her, aber ich kann diesen kurzen Dialog nicht vergessen. Besser gesagt: ich kann ihn nicht auflösen, für mich.

Eines Abends beim Zubettbringen sage ich zu meinem Sohn einen Satz, an dessen genaue Formulierung ich mich nicht mehr erinnere, er kam aus mir heraus und muss etwa so gelautet haben: „Wie unendlich schön, dass es dich gibt – ohne dich wäre ich viel weniger glücklich.“
Unvermittelt fragt er zurück:
Wenn du noch ein Kind hättest, ein drittes, würdest du das zu dem dann auch sagen?
Ja bestimmt, warum?
Ach nix.“
Ich frage nochmal nach, doch eine Erläuterung will er mir nicht geben. Für ihn ist das Gespräch beendet.

Aber mir wird, je öfter ich darüber nachdenke, immer weniger klar, was ihn bewegte.

Ist es seine konkrete Frage: „Was wäre, wenn ich nicht wäre?“
Oder überhaupt die Frage nach unseren Was-wäre-wenn-Wegen?
Oder bewegt ihn, dass ich mir vorstelle, dass es ihn nicht gäbe?
Entdeckt er damit eine Sichtweise, die uns so oft beherrscht: dass wir unseren Fokus auf den Mangel, nicht auf das Da-Seiende richten?


Und was ist mit mir?

Bin ich tatsächlich in einer solchen Defizit-Perspektive gefangen, oder jedenfalls nicht frei davon?
Blicke ich – bewusst oder unbewusst – zu sehr auf andere, fremde Wege, um in meinem eigenen einen Mangel zu spüren?
Oder kam mir diese Formulierung, weil in meiner tiefen Dankbarkeit die Ahnung des Verlustes immer schon enthalten ist?
Ist das vielleicht normal oder sogar gut so, gerade weil Leben ohne Tod nicht Leben wäre?



Wie aber vermag es dieser karge Baum, ganz unberührt, ganz er selbst, ganz auf dem eigenen Weg, neben dem viel reicheren zu stehen – ohne Fülle und Form zu vergleichen, ohne Neid, ohne das Gefühl des Mangels, ohne je auch nur in Frage zu stellen, dass dies karge Wachstum sein eigener Weg, seine eigene Form ist, die er und nur er allein auszufüllen hat?
Was kann ich von diesem Baum nicht alles für mein Leben lernen!



Und noch ganz andere Gedanken treiben mich um …

Was löse ich mit meinen Worten in meinen Kindern aus?
Ich weiß oft gar nicht, worum sich ihre Gedanken und Träume drehen. Dabei wüsste ich gern mehr. Gebe ich unseren Gesprächen nicht genug Raum? Bin ich im Alltag nicht bereit und offen genug dafür?
Oder ist es ein Stück weit normal, dass mir meine Kinder „fremde Welten“ sind, gehen sie doch vom ersten Tag an auf dieser Erde eigene (Gedanken)Wege --- was ich ja so will, eigentlich?


Dieser Gesprächs-Splitter ist mir schon lange Geschenk geworden. Vielleicht wird er eines Tages zum Türöffner für eine Fortsetzung des Dialogs mit meinem Sohn.

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