Montag, 13. September 2010

Zwischen Reue und Sehnsucht

In dem Buch, welches ich gerade lese, wandelt ein Mann umher. Unwichtig wo, unwichtig warum, wichtig für mich beim Lesen nur seine Aufzeichnungen. Über das, was die ihm begegnenden Menschen auf zwei Fragen geantwortet haben.

Was bereust du?
Wonach sehnst du dich?

Diese beiden Fragen umfassten das gesamte Leben, stellt jemand fest.
Ja.
Reue und Sehnsucht bilden eine Feder, umspannen das Gegenwärtige mit einem Vergangenheits- und einem Zukunftsblick.
Es stimmt ja nicht, dass allein der Augenblick zu leben ist. Wenn ich zu der werden will, die ich bin, kann das nur geschehen, wenn ich Reue und Sehnsucht ertaste.

Das heißt nicht, mich und meine gewesenen Schritte ungut zu verwerfen.
Das heißt nicht, mich in ein (Noch)Nichtseiendes zu projizieren.
Das heißt nicht, das Jetzt zu verdrängen aus meinem Fokus.
Ertasten heißt für mich: Bewusstwerdung. Die Federn erkennen, die mich in meinem Jetzt halten – aus dem Gewesenen heraus ins Werdende hinein. In diese beiden Richtungen, die meine strömende Bewegung bilden.

Je länger ich diese beiden Wörter in mir bewege, um so mehr öffnet sich mir. Manches geht so tief, darüber werde ich hier nicht schreiben. Manches sind ganz kleine Dinge. Fast scheint es, als wäre jeder meiner Schritte eingespannt in diese beiden Federn.
Reue über ungenutzte, flache Zeiten – Sehnsucht nach tieferem Erleben und Spüren.
Reue über ungelebte Beziehungen – Sehnsucht nach zu lebenden.
Reue über Fehler – Sehnsucht nach Wirklich-Sein.

Weder Reue noch Sehnsucht dürfen mich fortreißen aus meinem Jetzt, aber sie dürfen – sollen! – ihm zum Anker werden. Das Jetzt als eingebunden, gleichsam eingespannt zwischen diesen beiden Federn leben - wenn ich darüber nachsinne, öffnet sich mir mein gesamtes Sein …

2 Kommentare:

  1. Mit der Reue tue ich mich ein bisserl schwer, weil immer das, was ich getan habe, in dem Moment das Richtige für mich war. Und ich mag nichts, was war oder nicht war, bereuen, sondern mein Leben genauso annehmen und meinen Frieden damit haben, wie es war.

    Aber mit der Sehnsucht kann ich etwas anfangen. Die hab ich immer als Motor zum Erreichen meiner Ziele und Wünsche erlebt. Als eben das, wo ich hinein wachsen will, so werden oder mein Leben so verändern, dass meine Sehnsüchte sich erfüllen.

    Und es geht Schritt für Schritt, durch jedes neue Heute, an dem ich die bin, die ich bin. Die muss ich nicht erst werden, die ist immer da, auch wenn sie morgen ganz anders ist, als sie vor 10 Jahren war :-)

    Mit einem großen und warmen Lächeln aus dem Herzen für dich. Danke für das, was du mir immer wieder mitgibst, durch dein Teilen.
    Alles Liebe und eine gute Nacht
    Constanze

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  2. Gerade gestern habe ich das Buch ausgelesen - ein wunderbares. Aber über 700 Seiten, ich habe quasi die ganzen Ferien daran gelesen. Viel mitgenommen. Werde mehr lesen von David Grossman.
    Ja, die Reue ... bei mir sind es nichtgetane Dinge, das Nichttun, das ich verarbeiten muss. Allerdings ist wirklich die Frage, ob man dem Vergangenen mit dem Wort Reue nicht zu viel aufbürdet. Und sich selbst eine Last auflädt ...
    Gern würde ich mit Dir darüber weiterplaudern. Und über so manch anderes!
    Herzlichst
    Uta

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