Montag, 18. August 2014

Tag 10: Frankfurt/Oder - Hohenwutzen


wir stehen noch vor der Stadt auf: die Straßen sind menschenleer, als wir auf der Suche nach einem Frühstücksort kreuz und quer fahren – wohingegen es abends (oder wohl eher: morgens) in der Nähe unseres Bettes grölend laut war --- es ist immer schwer, überhaupt den Hauch einer Ahnung vom Lebensgefühl eines Ortes zu bekommen, wenn man ihn nur kurz am Wegesrand berührt
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weil das Bettfinden gestern so schwer war und das vor uns liegende Oderbruch nicht gerade dicht besiedelt ist, setzen wir uns gleich nach wenigen Kilometern auf eine Bank am Wegesrand und telefonieren herum – na bitte, geht doch, wenn auch weiter entfernt als eigentlich geplant (aber wir sind früh genug dran) – später am Tag treffen wir ein Paar, das erst mittags gesucht hat und 15 Mal telefoniert hat … upps … was haben wir Glück gehabt, denke ich
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ich sinne nach: warum ich diese Sicherheit brauche, warum mir unwohl ist, wenn ich nicht weiß wohin es geht, obwohl ich mich ja auch danach sehne, spontan am Weg zu entscheiden, wie weiter und wohin und wo bleiben – immer siegt das Bedürfnis, die Dinge sicher vor mir zu sehen ---- nun könnte ich es, jedenfalls beim Radfahren, ja damit begründen, dass ich das Kind bei mir habe und dieses eben ein Dach über dem Kopf braucht, doch das wäre Ausrede: er könnte locker immer noch weiter fahren, auch einen Schlenker vom Weg weg, es gibt zur Not Gartenlauben zum Übernachten, man würde nicht unter der Brücke bleiben müssen – also was ist der wirkliche Grund tief in mir?
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Landschaften: kurz hinter Frankfurt die letzte Anhöhe für lange Zeit – Felder, Hügel, Wälder mir sehr vertraut (und tatsächlich: irgendwo steht ein Radwegweiser: zum S-Bahn-Bereich von Berlin sind es keine 45 Kilometer) --- danach endlich wieder an den Fluss, wir begrüßen ihn mit Steinchenspringen und verlassen ihn bis zum Abend nicht mehr --- zunächst die Arme der Alten Oder, durch urwüchsige Bäume, Sträucher und Gehölze mäandernd, ein Meer von Grün- und Gelbtönen, und die besonders hellgelben, kargen Ausblicke könnte man mir auch in einem Erdkundebuch mit der Bildunterschrift „Serengeti“ oder „mongolische Steppe“ verkaufen (soviel zu meiner botanischen und geographischen Unbewandertheit) --- ab mittags bewegen wir uns für 50 km durchs Oderbruch, fahren fast nur auf dem Deich, es ist flach wie in Friesland, die wenigen Höfe links des Weges wirken wie Warften – nein, sie wären viel zu niedrig, denn Oderbruchland liegt teilweise unter dem Oderspiegel: sollte bei einem nächsten Hochwasser hier ein Deich brechen, würde dieses Stück Land zum Meer werden – überall erzählen Schautafeln von vergangenen kritischen Situationen – wie leben die Menschen mit der allgegenwärtigen Bedrohung vor Augen?
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apropos Oderbruch: schon zu meinen Berliner Zeiten hatte diese Gegend den Ruf, nicht besonders belebt zu sein, um es neutral zu formulieren … ich muss daher lachen, als unsere Wirtin vom Nordrand des Oderbruchs auf meine morgendliche Frage, bis wann es in ihrem Dorf Abendessen gebe oder ob wir uns besser schon unterwegs darum kümmern sollten, spontan herausplatzt: „Im Oderbruch? Da find‘n se doch nüscht.“ --- tatsächlich aber hätten wir gefunden, nicht wenig sogar – möglicherweise zieht die Gegend genug ruhesuchende Menschen an, für die ein wenig Gastronomie eingerichtet wurde --- wir aber, nicht wissend davon, suchen lieber schon im letzten größeren Ort Küstrin-Kietz nach einem Mittagsimbiss, werden auf der deutschen Seite nicht fündig, fahren auf die polnische, landen am Grillstand eines Sonntagsmarktes, zu dem busseweise Butterfahrten aus Berlin gekarrt werden – naja … --- später trifft es uns dafür sehr gut: in der ersten Radwegekirche (sic!) in Kienitz gibt es ein Sonntagscafe, in dem man im unüberdachten Kirchenschiff im Liegestuhl sitzt … dringend notwendige Erholung vor den letzten 30 km des heute sehr langen Ritts
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dazu der Wind – Merke: ab einer gewissen Stärke ist Seitenwind wie Gegenwind! – und einmal wirft er sogar mein Fahrrad um (zum Glück sitze ich gerade nicht drauf)
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ja, sehr lang wird es, Tagesrekord für den Sohn: 98,4 – und ich muss noch zum Geldautomaten radeln (Anfängerfehler: einsame Pension mit Karte bezahlen wollen:)) und schaffe daher die 100
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Belohnung: erstmals wohnen wir direkt am Wasser, ich bleibe bis zum Einschlafen draußen und gehe nach dem Aufstehen sofort wieder hin, sitze dort, lese, schreibe …

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