Donnerstag, 14. August 2014

Tag 6: Bautzen - Görlitz (und Tag 6a: immer noch Görlitz)


wären wir mal lieber heute für große Anstrengungen gewappnet gewesen – heute kommen sie nämlich, und wir waren ein wenig naiv davon ausgegangen, dass es sich so leicht fahren würde wie gestern – aber dann: Hügel und Berge, Wind aus wechselnden Richtungen (oder hat unser Weg so oft die Richtung gewechselt?), jedenfalls die Summe davon … die lässt japsen
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als Mittagszeit ist, haben wir lächerliche 18 Kilometer geschafft, die (gefühlt) meisten davon bergauf, und der Ort an dem wir uns befinden, heißt Hochkirch: ein sprechender Name (später folgt dann: Grube – und so geht das immer abwechselnd) – mal wieder kann man nirgendwo Milchkaffee o.ä. trinken, immerhin gibt es einen Supermarkt, den wir plündern, um dann eine Bank an einem Teich zu finden, zum Sitzen, Essen und über „Es ist wie es ist“ zu sprechen (beim Radfahren und im Leben)
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für ein paar Kilometer begleiten uns Regenwolken (man muss das wirklich so sagen: rechts blau, links blau, vorn blau, nur über uns, uns hartnäckig folgend, grau) – als es loströpfelt und bald schüttet, greifen wir den nächstgelegenen Baum zum Unterstellen (die trockenste Stelle ist 6 Meter neben dem Baum – dies nur mal zur Windstärke) und wühlen in den Tiefen unserer Taschen nach der kompletten Regenmontur; als wir uns hineingewurschtelt haben, inklusive wilder Kopfschutzkonstruktionen, sehen wir aus wie Mondmänner und lachen uns erstmal schlapp, über unser Aussehen, und vielleicht weil Lachen in diesem Moment einfach dran ist :))
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so – eine Weile beregnet, bald aber wieder in der Sonne – schaffen wir uns, heute wirklich mit wackerer Anstrengung, vor bis Reichenbach, bis zu den Orten, deren vertraute Namen ich schon von Kindheits-Fahrradtouren mit dem Bruder kenne, mit meinem zartlila Klappfahrrad damals, und verdammt – damals sind wir diese Wege doch auch hochgekommen …
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in Reichenbach eine letzte Pause (im einzigen Gasthaus seit Kilometern, mit fast tschechischen Preisen – so erschreckend arm ist es immer noch, hier im abgeschiedenen ehemaligen „Tal der Ahnungslosen“), und dann fliegen wir auf Görlitz zu – ich mit gespannter Erwartung: die Landeskrone am Horizont, bald neben uns, wir umrunden sie, stehen vor der Endhaltestelle der Linie 2 (immer noch die 2!, und immer noch das gleiche Quietschen! – es gibt Dinge, die ändern sich offenbar nicht), brettern die breite Straße hinab – und stehen plötzlich wirklich wirklich vor dem Haus meiner Oma
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seit sie vor 20 Jahren zu uns nach Berlin gezogen war, war ich nicht mehr hier – das berührt, weil alles noch so vertraut ist, weil ich jede Ecke, jeden Blick, jeden Winkel wiedererkenne – und es tut weh, weil „ihr“ Haus das einzige in der Straße ist, das nicht saniert, das verkommen und verfallen ist – es ist zugesperrt (gut: sicher würde es noch viel mehr schmerzen, in einem vermoderten Treppenhaus zu stehen, und in der Wohnung erst …), die kleine Wäschetrocken-Wiese hinter dem Hof ist zugewuchert, man kann kaum noch das Haus sehen – so stehe ich mit dem Sohn, zeige ihm, hinter welchen Fenstern was war … und er, um mich zu trösten: Wir könnten das Haus ja irgendwann kaufen und wieder herrichten (ach nee, Söhnchen, das geht nicht nur deswegen nicht, weil es eine gute Übung im Loslassen ist …)
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der Weg zum Bahnhof dann ebenso voll gespickt mit Erinnerungen und Geschichten, so stehen wir irgendwann mitten aus dem Erzählen heraus plötzlich vor unserer Ferienwohnung
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diese befindet sich – sehr passend gerade – auch in einem bis auf unsere Etage noch nicht sanierten Haus: der Vermieter – wir reden eine Weile mit ihm – scheint so alte Häuser zu kaufen und Schritt für Schritt instand zu setzen: na, wenn ich mit meiner Ferienwohnungsmiete zur Sanierung der Stadt beitrage: bitte gern :)) (es gibt nämlich wirklich noch in jeder Straße Häuser, derer man sich dringend annehmen muss, weil sie sonst vielleicht einstürzen – es ist ein sehr eigenes Bild, diese Mischung aus gut renovierten und fast zusammenbrechenden Häusern)
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natürlich bleiben wir den nächsten Tag noch hier, fahren vormittags nochmals in die Oma-Ecke, in der ich eine Kindheit hindurch jede Ferien verbrachte, immer wochenlang, mein zweites Zuhause sozusagen, wir gehen all die Wege, ich zeige den Garten (wie winzig der ist!) und den Kreuzkirchenpark (erstaunlicherweise gar nicht geschrumpft, immer noch ein Rodelparadies), in dem wir drei Winterferienwochen lang täglich vom Aufstehen bis zum Dunkelwerden Schlitten und Gleitschuhe (kennt die außer mir eigentlich jemand?) fuhren, wir stehen in meiner Taufkirche – und fahren mit der Quietsche-Straßenbahn zurück ins Zentrum, das wir dann, schon leicht ermüdet, auch noch erwandern
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ja, hier ist Erstaunliches geschehen, hier entstand eine wunderbare Altstadt, wo damals nur ruinenartige Häuser waren (die Pläne für den Abriss des gesamten Altstadtzentrums lagen wohl schon in der Schublade, hören wir, die Wende kam gerade noch zur rechten Zeit), hier gibt es jetzt eine Fußgängerbrücke auf die polnische Seite hinüber und man läuft einfach so hin und her (ich erinnere mich an lange Autoschlangen durch die Stadt, ewige Grenzkontrollen, bis es irgendwann überhaupt nicht mehr möglich war, die andere Seite zu besuchen)
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ein guter, erschöpfender Görlitztag – wir können am Abend kaum noch Fuß vor Fuß setzen, schlappen ohne es zu merken, über den 15. Meridian und sind zu müde, nochmals zurückzugehen – dann eben nächstes Mal – fallen völlig ausgehungert über ein griechisches Restaurant her und danach umgehend ins Bett … ab morgen wird flusswärts nach Norden geradelt

3 Kommentare:

  1. Wie rührend, der Trost des Sohnes! Wir können das Haus ja kaufen...
    Scheint mir eine Heimwehsehnsuchtsreise zu sein...Und unterwegs die Gedankenfetzen sich rotten lassen, in einer Schonung ankommen lassen- Wurzeln und Flügel!

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  2. In unserem Ferienort dort oben in den Bergen ist einer der häufigsten Familiennamen: Reichenbach!
    Ich finde es toll, wie du die Spuren deiner Kindheit aufrollst. Schlaft gut, wo auch immer heute!
    Gabriela

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  3. Ja, man sieht mehr, was man kennt - bei mir ist das sicher so, nicht nur auf dieser Reise. Nach all den vertrauten Orten (die mir der wichtigste Teil der Route waren), folgen nun unbekannte Gegenden - an der Neiße und Oder war ich wohl noch nie für mehr als ein paar Stunden. Ich bin gespannt, wie ich dieses "Fremdland" durchfahren werde, was dort in mir entstehen mag ...
    (Ob die Herkunft dieser Familien mit DIESEM Reichenbach zu tun hat?)

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