Dienstag, 19. Januar 2010

Sehnsuchtsströme

"Ich habe keine Probleme mehr, mein Leben ist in ein breites Flußbett geraten und treibt gemächlich zum Meer, ohne Hindernisse, ohne Umwege, ohne Tiefen und Strudel. Es sieht eine freundliche Landschaft an seinen Ufern vorüberziehen, nicht abwechslungsreich, aber auch nicht beunruhigend, es ändert seine Geschwindigkeit nicht, aus Trägheit und Gewöhnung, fließt geruhsam dahin, verweilt nicht, drängt nicht, kennt keine anderen Bedürfnisse als dieses beschauliche Dahingleiten, bis es eines Tages ins Meer münden wird, aufgehoben für die Ewigkeit, auf die es nicht vorbereitet ist.
Auf seinem dunklen Grund aber führt dieses Wasser die Sehnsucht nach dem verlorenen Bergquell mit sich, nach den Mühen der Gebirge, es möchte aus dem sonnigen Flußbett ins Ungewisse einer verirrten Strömung, in dunkles Gestein vorstoßen, das nirgendwohin führt oder ins Paradies. Es möchte sich in einen abseitigen Bergsee ergießen, sein Geheimnis spüren, bei den Fremden, den Schweigsamen, den Fischen bleiben, möchte dann in Stromschnellen mit allen Gefahren sich messen, noch einmal jünger und stärker werden oder sterben im Rausch
."

(Maxie Wander)


Und als ich dies vorhin las, schienen mir Zweifel auf:
Was, wenn auch ich so gemächlich dahinplätschere, wenn ich mir nur selbst vortäusche, in Wachheit zu leben?
Wenn mein "es geht mir gut" gar nicht aus einer Tiefe heraus geboren ist, sondern im behäbig-beschaulichen Dahintreiben sich erschöpft?
Wenn ich jeden Keim des wirklichen Erwachens sofort wieder ersticke, aus Furcht vor der Unbehaglichkeit des Weges?
Wenn ich feige und kleinmütig vor jedem Wirbel, jeder Untiefe, jeder Stromschnelle ausweichen möchte?
Wenn tief in meinem Innern Scheu und Hemmnis davor ist, mich meinem Ich-Weg bedingungslos auszusetzen?
Wenn ich zu vorsichtig, zu wenig hingabefähig bin für wirkliche Wandlung?
Was also, wenn auch ich in seicht-trägem Dahingleiten gefangen bleibe, trunken noch dazu von der Einbildung, es sei anders?

Wäre es anders - warum würde dann diese leise Sehnsucht in mir allzu oft allzu laut dröhnen?
Sehnsucht, das breite bequeme Flussbett zu verlassen ...
Sehnsucht nach dem Bergquell, nach geheimnisvoll verirrter Strömung ...
Sehnsucht, die Kräfte dafür aus meinem Ich heraus geschenkt zu bekommen ...
Wäre die Sehnsucht so stark, wenn das Objekt des Sehnens nahe wäre?

Und dann diese meine arme kleine Sehnsucht nach Dialog, auch die lässt mich zweifeln.
Braucht das wahre Strömen Dialog?
Ist es dann nicht Illusion, wenn es nur auf dem Boden des gemeinsamen Wortes gedeihen kann?

Fragezeichen.

2 Kommentare:

  1. Als ich den Text von M. Wander las, kam mir meine Schwiegermutter in den Sinn. Ich glaube wirklich, das ist das Erleben eines alten Menschen, und das bist du mit Sicherheit noch nicht. Dein anschliessender Text sprudelt ja förmlich von Stromschnellen und Umspülung von Steinen....
    Du schreibst, du hättest Sehnsucht nach der Strömung. Was anderes ist denn dieses Sehnen? Und ich glaube, mehr als diese Offenheit darbringen für das, was werden will aus der Gegenwart heraus, mehr können wir gar nicht tun. Wir können uns sehnen, aber die Antwort darauf, die können wir nicht vorwegnehmen. Das meinte ich mit: Die Zukunft kommt mir entgegen.
    In dem Moment, wo die Sehnsucht erfüllt wäre, wäre da ja wieder die Ruhe.
    Du kannst deine äussere Ruhe auch als Chance sehen für innere Lebendigkeit. Die Menschen in Haiti haben mit Sicherheit keine Chance, sich jetzt solchen inneren Prozessen hinzugeben. Je mehr du vertraust, dass dein Jetzt richtig ist, desto mehr wird dir zufliessen, was du brauchst.
    Ich wünsche dir viel Geduld.

    Gabriela

    AntwortenLöschen
  2. Danke, Gabriela,
    und doch fühlt es sich manchmal so an, als würde ich mich sehnen und gleichzeitig sperren dagegen. Ich kann nichts tun - es wird, was werden will - ja!, aber da ist etwas in mir, das das Offenwerden vielleicht verhindert, unbewusst? Ist es nur, dass ich mich noch nicht reif fühle für den Frühling?

    Davor habe ich Angst: mich in der seichten Belanglosigkeit zu verlieren, und damit meine ich nicht die äußere Ruhe. Eher das äußere Schweigen, das unveränderte Leben, während ich innerlich bebe - wie lange geht das? Nur im Innern, ohne jeden Dialog?

    ... Ach, ich muss jetzt wohl erstmal schlafen, um klar werden zu können.

    Und zu Maxie Wander: Interessant, Deine Assoziation mit einer alten Frau.
    Als sie dies schrieb, war sie 39, hatte 4 Jahre zuvor eine Tochter verloren und noch 4 Jahre Zeit, bevor der Krebs sie endgültig aus dem bequemen Flussbett vertreiben sollte. In dem sie, von außen betrachtet, wohl nie war - auch in ihr eben (nur?) dieses Gefühl. So weit sind wir von dieser Frau altersmäßig (und sonst) also nicht entfernt ...
    Und ob ich mir ein solches Erleben im Alter wünschen soll?

    Danke für Deine Gedanken
    Uta

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.