Mittwoch, 27. Januar 2010

Druckschmerz

Ein Nachmittag voller Notenkonferenzen ist lang. Wir sprechen über 150 Schüler. Eigentlich nur über 20 bis 30 davon. Über die, die uns Sorgen bereiten, weil sie dem Druck nicht standhalten können.
Weil wir ihnen „Versetzung gefährdet“ oder „Wechsel zur Realschule empfohlen“ oder „21 unentschuldigte Fehltage“ oder „sollte dringend … verbessern“ oder „muss unbedingt an … arbeiten„ ins Zeugnis schreiben.

Und dann hören wir die Geschichten dahinter:
Eltern frisch getrennt – Kind beim Vater, der aber tagsüber nicht da ist – Eltern lassen sich von uns nicht beraten – muss sich mittags sein Essen allein kochen – Eltern schicken ihn dreimal pro Woche zur Nachhilfe – hat Angst davor, nächstes Jahr mit der Familie wieder in die Heimat zurückzukehren – rastet regelmäßig aus und schlägt Klassenkameraden - sitzt den ganzen Tag am Computer – Mutter in psychotherapeutischer stationärer Behandlung – die Geschwister reden nicht mehr mit ihr – ritzt sich – niemand wartet zu Hause auf das Kind – Vater liegt im Sterben – Eltern üben bei jeder schlechten Note Druck aus – Kind ist in Nacht- und Nebelaktion zu Hause ausgerissen … … …

Und von Sitzung zu Sitzung wird mir schlechter. Ich bin dünnhäutig, stecke das heute nicht weg, wundere mich, wie alle anderen das scheinbar können. Mir kommen die Tränen, ich bin bedrückt und traurig.
Und fühle den Druck, den diese Kinder erleiden müssen, in meiner eigenen Magengrube.

Als ich gehe, lasse ich meine Bücher und Hefte in der Schule liegen. Meinen Unterricht in allen Einzelheiten vorzubereiten, erscheint mir heute so sinnlos. Lieber werde ich darüber nachsinnen, wie ich den Schülern morgen gegenübertreten werde.

Nun bin ich zu Hause. Die Kinder warten schon. In einigen Jahren werden Lehrer in Konferenzen über sie sprechen.

1 Kommentar:

  1. es gab mal eine spruch: geht es Ihnen gut oder haben Sie ein kind am gymnasium?
    ohh, wie ich das nachempfinden kann...deine empfindlichkeiten, dünnhäutigkeiten! in unserem lz hängt das foto eines schülers- damit man ihn unter 700 erkennt- er ist suicidgefährdet- und vor einiger zeit kam ein beitrag im tv über das haus, in dem seine familie und er leben- die reine harmonie! ich hatte ihn 2 jahre in der grundschule- und weiß, dass da mit harmonie nix ist, aber mit lügen alles voll...

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