Samstag, 23. Januar 2010

Mitbringsel

Spannend, sich in die Schülerrolle zu begeben. Wie müde ein Vortrag nach dem Mittagessen macht, wie schwer nicht einzuschlafen, wie schwer 90 Minuten ohne Toilette auszuhalten, wie schwer (unmöglich?) nicht zwischendurch mit der Nachbarin zu reden. Und wie unerträglich öde, wie schlecht können Vorträge sein. (Und wie gut auch: Der am zweiten Tag riss alles raus.)
Nebeneffekt einer Fortbildung: die Schülerrolle mal wieder von innen zu erleben, fortan milder auf die Schüler zu schauen.

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Wem von denen sieht man den Mathelehrer an? - denke ich beim Betreten des großen Saales. Und wem würde ich mein Kind gern für den Matheunterricht anvertrauen wollen? Leichtes Schaudern …
Es liegt wohl am Thema. Denn auf anderen Fortbildungen habe ich das nie so empfunden, immer eine ganz andere Atmosphäre erlebt. Auf dieser hier geht es um Computereinsatz im Unterricht und im neuen Abitur, und alle hier scheinen irgendwie eine Liebesbeziehung mit ihrem Rechner zu pflegen. Die Fragen, die gewälzt werden, sind nicht meine. Klar, sie sind Bestandteil meines Handwerks, sind notwendig, aber sie sind nicht der Kern meines Lehrgeschäfts. Die hier wallende Leidenschaft kann ich nicht teilen, ein Eros für meinen Rechner wird in mir nicht wachsen.
Während der Sitzungen arbeitet es in mir im Stillen. Ich habe eine intensive Begegnung mit meinem eigenen Lehrerbild, mir werden langgärende Fragen bewusst, ich werde angestoßen, es wird weiterarbeiten. Aber alles eher in eine andere Richtung als die des Konzepts, welches hier ausgebreitet wird.
Immerhin gibt es einen fantastischen Vortrag am zweiten Tag, der über den Tellerrand des „Technologieeinsatzes“ hinausblickt. Der Fragen berührt, die auch für mich zentral stehen. (Der Vortrag war von einer Frau gehalten – Zufall, dass er das Meine berührte?). Beim Zuhören befallen mich Neugier, Erregung, Reflexion und Ideen, in der anschließenden Diskussion melde ich mich zu Wort.

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Ein abendlicher Gesprächsfetzen:
Ich sitze mit meinem Tee in der Cafeteria und höre das Gespräch herannahen. Höre Erregung in der Stimme:
Ja, ich habe Angst. Wie die Schüler. Neulich haben wir lange drüber gesprochen. Die sind zum Teil richtig aufgelöst vor Angst. Das mit den Wellen, das ging ja noch, da konnte ich sie noch beruhigen. Aber die mit den Flugzeugen – da ist es mir auch kalt den Rücken runtergelaufen.
Hm? Zweites Fach Religion. Oder Klassenleiterstunde: Gespräch mit jüngeren Schülern über Naturkatastrophen, denke ich, naheliegendes Thema im Moment.
Nein, andere Auflösung: Es geht um Abituraufgaben und die Angst vor ihnen. Die Wellenaufgabe und die Flugzeugaufgabe müssen besonders beunruhigend gewesen sein. So erschließe ich mir das.
Oh je, und ich habe von diesen Aufgaben noch nicht mal was gehört. Wie soll ich meine Schüler bloß gescheit auf´s Abitur vorbereiten? Denkt ein Teil in mir. Und der andere Teil beschließt, jetzt nicht mit denen in die „Klause“ zu gehen. Ich gehöre nicht dazu. Mir ist es wegen einer Abi-Aufgabe noch nie kalt den Rücken runtergelaufen. Es gibt andere Dinge im Leben, die dies rechtfertigen, aber eine Aufgabe?




In den Bergen ist es kälter als bei uns, und schneeiger, und nebliger. Was ich leider nur durch die großflächigen Fenster des Tagungsraumes wahrnehmen kann, erst abends kann ich hinaus. In einem Kurort im Januar hat man die Straßen nach 8 Uhr für sich allein. Vorher vielleicht auch, aber das konnte ich nicht überprüfen. Seltsame Stimmung, wie ausgestorben, Welt zwischen den Welten. Riesige Hotelschuppen, Leuchtreklame, Laserhimmelsstrahler, daneben alte Fachwerkhäuser mit Namen wie „Pension Alte Post“ und „Villa Edeltraut“. Thermalbad, Evangelische Akademie und Psychosomatische Klinik, alles irgendwie gottverlassen. Durch die Nacht lärmen allein die Enten im Kurpark. Und ein streitendes, betrunkenes Paar, das den Heimweg noch nicht gefunden hat.



Als ich gegen 9 Uhr zu Hause anrufe, ist die Tochter noch wach. Zieht sich gerade aus und will nicht mit mir sprechen, wohl aber mich hören. Also monologisiere ich sie an. Dann gibt sie den Hörer wieder ab. Ich höre sie im Hintergrund schimpfen, dass der Pullover nicht über den Kopf passe. Sehr sehr schimpfen, mit dem Pullover argumentieren und ihn anlamentieren. Oh – wie ich sie liebe!
Der Sohn sei schon im Bett, der Wecker gestellt, der Frühstückstisch gedeckt. Die machen das schon gut, die drei.
Als ich wieder zu Hause bin, erzählt mir mein Mann vom Kindergartenaufbruch am nächsten Morgen. Die Tochter erkennt die Situation messerscharf: „Eine Mütze brauch ich nicht, die Mama ist ja nicht da.“ ;-)



In einem karg eingerichteten, zugigen, beengten Zimmer ohne bequeme Sitzmöglichkeit fällt es mir schwer, bei mir zu sein. Ich übe mich darin, mich von der Umgebung zu lösen. Mich auf´s Bett zu setzen, in die Tiefe zu spüren. Aufrecht, ohne Lehne, wach werden, lesen, spüren, schreiben, spüren, atmen, spüren, das Außen abschalten, auch den Kopfschmerz. Es ist eine innige Erfahrung mit mir selbst. Man erfährt andere Dinge über sich, wenn man auf eine kahle Wand und in einen nüchternen Spiegel schaut.
Die Kargheit des äußeren Raums ist leichter zu ertragen, weil ich weiß, am nächsten Abend wieder in meinem warmen Haus zu sein. Doch weiß ich das? Wie wäre es, wenn ich diese Gewissheit nicht hätte? Eigentlich hat man sie nie. Vertrauen ja, Gewissheit nein. Ich muss mich lösen von der äußeren Umgebung, muss mich in meinem inneren Raum bewegen. Ein Erkenntnismitbringsel dieser Tage.



Zelebriert! – würde ich meine Bewegungsform im äußeren Alleinsein beschreiben. Ich habe alles zelebriert. Das Umhergehen im Zimmer, das Fotografieren (das spärliche, mit dem kleinen Knipser), jede Bewegung, das Brilleputzen, das Sortieren meiner Dinge – alles war feierlich, eine Art Sonntag. Lag das an der Ruhe, die ich sonst nicht leben kann?



Und ein Wertvolles bringe ich noch mit. Ich hatte in diesen Tagen mit einem Kopfschmerz-Anfall zu tun, wie ich sie schon lange kenne. Diesmal hatte ich Zeit und Raum, dem nachzuspüren. Und – ich wage es kaum zu sagen – habe etwas gefunden in mir, an mir, mit mir, das Linderung verschafft, das einen Weg aufzeigt, den Schmerzen zu begegnen. Jedenfalls scheint es mir so. Oh – ich wage es noch nicht zu hoffen. Wenn es denn wirklich so sein sollte, wenn dieses eine Mal keine Ausnahme, kein Zufall war, werde ich irgendwann ausführlich dazu schreiben. Im Moment bin ich ganz still und lausche in mir den letzten verstummenden Schmerzblitzen nach.



Erstaunlich, was in mir in diesen 36 Stunden alles geschehen durfte. (Doch, G., ich konnte mich erholen.)
Erstaunlich, wie viel Raum in diesem 9-Quadratmeter-Zimmer für so manches war. (Und C., auch für Dich – hast Du es gespürt?)
Erstaunlich, wieviel ich aus diesen kurzen Tagen mitgebracht habe – auch wenn sich die Veranstalter sicherlich eine andere Art von Impulsen vorgestellt hatten, die ein jeder im Gepäck mit heimnimmt. Meine Mitbringsel sind auch nicht schlecht, meine ich.

3 Kommentare:

  1. Liebe Uta!

    Natürlich hast du mich ein Stück meines Weges durch dein Einfühlen, Offensein mitgetragen, begleitet.
    Für mich sind das ganz reale Möglichkeiten, Hilfen, die unter uns Menschen weben können, die uns grosse Dimensionen unseres Menschseins erahnen lassen.....

    Ich habe mit viel Ruhe und Freude heute Morgen deinen Bericht lesen dürfen und nehme vies davon gerne in den heutigen Tag mit!
    Danke dir.

    Herzlichst

    Christina

    (Mehr erzähle ich dir gerne per Mail :-) )

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  2. Das war gut zu lesen.
    Gibt es den guten Vortrag nicht irgendwo im Netz?
    Wie war das Thema?
    Die Fotos erinnern mich an meinen geliebten Tagungsort, ein Kloster mitten im Wald!
    Wer dort ist und keine wärmende, nährende Beziehung hat, der kann sich ja nur an seinen Rechner halten- kleiner Scherz am Rande....

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  3. Liebe Sonia,
    sie wird die ppt-Folien ins Netz stellen (noch sind sie nicht drin). Aber ich glaube ja kaum, dass das für Nichtmathematiker von Interesse sein könnte, war nämlich ein innermathematisches Thema ("Technologiegestützte Konzepte im Math.unt.") - und dennoch fantastisch (ja, das gibt's ;-)), weil bei ihr in jedem Satz das Grundsätzlichere durchschien, nämlich die respektvolle Beziehung zum Schüler, auch oder gerade zu dem, der in Mathe nur winzige Brötchen backt. Da wurde das Konzept für mich wirklich mit Leben gefüllt, und dann verfeinere ich auch gern mein Handwerkszeug.
    Nun – die Männer brachten doch ihre Rechnerliebe schon mit von zu Hause?! (*grins*)
    Nein, ein altes Kloster war die Tagungsstätte nicht, sondern ein unkuscheliger Neubau. Wird also kein "geliebter" Tagungsort werden.
    Lieben Gruß
    Uta

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