Donnerstag, 5. November 2009

Vom Rückwärts-Schauen und Vorwärts-Wachsen

Schüler zu mir: "Der Herr A., bei dem haben wir viel bessere mündliche Noten bekommen."
Ich: "Hm."

Spreche ich bei Gelegenheit Herrn A. drauf an: "Ja ja, zu mir hat `ne Klasse neulich gesagt: 'Die Frau C., bei der waren die Arbeiten immer viel einfacher.'"

Erzählt mir heute die Frau C., ne Schülerin hätte sie vor der Klausur angefleht: "Bitte machen Sie das wie letztes Jahr die Frau B., die hat immer so großzügig Punkte gegeben."
(die Frau B. bin in diesem konkreten Falle ich)

Aha.
Denkt sich der Mathematiker in mir: A ist besser als B ist besser als C ist besser als A ist besser als B ist besser als C ist besser als A ist besser als ... und kann die Verwirrung angesichts dieses Zirkels nicht recht auflösen.
Aha.
Hier kommen wir mit der Mathematik mal wieder nicht weiter.

Mischt sich ein Kollege ein (Religionslehrer, aber das ist unwichtig), das Ganze könnten wir eigentlich nur so verstehen, als dass wir alle wahnsinnig freundlich und großzügig korrigieren, bewerten, benoten, bepunkten, wir drei jedenfalls ;-)) --- Diese Interpretation wäre ja zu einfach und will mir auch nicht recht einleuchten.

Nein, nein, eher teile ich das gelassene "ja, ja" meines erfahrenen Kollegen A., womit er wohl sagen will, dass Schüler halt über verflossene Lehrer so reden.
Regelmäßig werde ich zu Schuljahresbeginn in neuen Klassen mit einer geballten Ladung an "letztes Jahr die Frau / der Herr X hat aber ..." konfrontiert. Es bedarf oft eines ganzen Schuljahres, bis diese "früher war alles besser"-Meldungen nachlassen. Manchmal geschieht dies erst mit dem nächsten Lehrerwechsel, wenn nämlich Eltern und Schüler mir im Nachhinein in verschiedener Form mitteilen, wie sie mir nachtrauern. Früher war ich naiv genug, mich dadurch geschmeichelt zu fühlen, heute beginne ich zu durchschauen, dass es hier offenbar einen Mechanismus des Rückwärtsgewandten gibt.

Erstaunlich, wie schon die Kinder in dieser "früher war alles besser"-Perspektive gefangen sind. Erschreckend, wie viele Eltern ihren Kindern dabei den Rücken stärken. Denn wie sollen diese eigentlich nächste Schritte auf ihrem Weg setzen können, wenn der Blick in das Vergangene ausschließlich sehnsuchtsvoll, trauernd gar, gefärbt ist ... denkt es in mir. Wie sollen die Kinder wachsen, reifen, erblühen können, wenn Rückschau dominiert und damit Vorwärts-Richtung im Keim erstickt wird?

Und noch etwas denke ich mir, mit einem Schmunzeln:
Besäße diese Regel Gültigkeit, wäre tatsächlich jeder Lehrer schlimmer als sein Vorgänger, wie kann es dann sein, dass meine geliebten 12er noch als solch froh gestimmte, gut gelaunte, das Leben in seiner heiteren Fülle ausstrahlende Wesen durchs Schulhaus laufen? Haben sie doch in jedem ihrer Fächer schon bis zu 11 Lehrerwechsel hinter sich, und jeder davon hätte ihnen eine Verschlechterung ihrer (Schüler)Lage gebracht?!
Nein, ein solches kann denen - jedenfalls den meinen hier - einfach nicht widerfahren sein. Noch nie (!) habe ich mit einem Kurs oder einer Klasse Unterricht in einer solch heiteren, entspannten, gelösten Atmosphäre erleben dürfen, noch nie haben so viele Lachsalven meine Stunden durchzogen wie mit denen, noch nie (glaube ich) bin ich so sehr beschenkt worden in meinem (beruflichen) Tun wie in der Beziehung mit gerade diesen jungen Menschen.

Oder umgekehrt gedacht:
Wie glücklich, wie frei, wie heiter müssen sie dann erst in der ersten Klasse gewesen sein, noch bevor all die verschlimmernden Lehrerwechsel über sie hereingebrochen sind ;-))

Kann ja mal Frau W. dazu befragen, das ist die Lehrerin meines Sohnes, und viele meiner 12er waren in den ersten beiden Schuljahren bei ihr.

Apropos Frau W.:
Ich bin ja überzeugt davon, dass ich viele Früchte der Heiterkeit, der Fröhlichkeit, der lebendigen Beziehungen, die ich in meinen 12er-Mathe-Stunden derzeit ernten darf, den Samen verdanke, welche diese Frau einst ausgesäht hat. Welche Blüten sind aus diesen Keimen mittlerweile erstrahlt! Welch wunderbare Wesen sind hier aufgegangen!
Und fast noch mehr beglückt mich dabei der Gedanke, dass auch mein eigener Sohn jetzt in Frau W.s Händen lernen darf und dabei solch wohlbringender Same in ihn getragen wird. Aber das ist schon wieder ein anderer Faden ...

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